Schwierige Gespräche für Merkel in Warschau
26. August 2016Als Antwort auf den Brexit-Entscheid der Briten machen sich die vier osteuropäischen Visegrad-Staaten für eine engere Zusammenarbeit der übrigen 27 Mitgliedstaaten stark, vor allem in der Sicherheits- und Wirtschaftspolitik. "Die wichtigste Aufgabe ist es, die EU als Ganzes und starke Gemeinschaft zusammenzuhalten", sagte die polnische Ministerpräsidentin Beate Syzdlo nach einem Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Dabei müssen wir die Themen suchen, die uns verbinden und nicht die, die uns teilen", betonte Syzdlo. Auch die Regierungschefs von Ungarn, Tschechien und der Slowakei, Viktor Orban, Bohuslav Sobotka und Robert Fico betonten die Notwendigkeit einer engeren EU-Kooperation.
Vor allem die polnische und ungarische Regierung hatten sich in den vergangenen Monaten, vor allem im Streit um die Flüchtlingspolitik, eher EU-kritisch geäußert. Szydlo betonte jetzt, die EU sei nicht das Problem, sondern die Lösung für Probleme. Allerdings seien dafür erhebliche Reformen notwendig. "Wir sollten auch bei der Flüchtlingskrise eine Einigung finden", sagte Szydlo. Als Beispiel nannte sie die Aufstockung von Entwicklungs- und humanitärer Hilfe in Kriegsgebieten.
Alle vier Visegrad-Staaten sind strikte Gegner der von Brüssel vorgeschlagenen EU-weiten Umverteilungen von Flüchtlingen und gehören zu den härtesten Kritikern der deutschen Flüchtlingspolitik.
Offiziell war Europas Flüchtlingspolitik nicht das Hauptthema des Treffens der vier Regierungschefs mit der Kanzlerin in Warschau, sondern die Vorbereitung des EU-Gipfels im September in Bratislawa, des ersten EU-Spitzentreffens ohne Großbritannien. Die Regierungschefs von Ungarn und Tschechien, Orban und Fico, sprachen sich für eine gemeinsame europäische Armee aus. "Wir müssen der Sicherheit Vorrang einräumen und den Aufbau einer gemeinsamen Armee beginnen", so Orban in Warschau.
Orban bleibt auf Konfrontationskurs
Schon kurz vor der Zusammenkunft mit Merkel war Orban im Streit um die EU-Flüchtlingspolitik auf Konfrontationskurs zur deutschen Regierungschefin gegangen. Sein Ziel bei dem Treffen sei es, die Politik der Europäischen Union (EU) zur Aufnahme von Flüchtlingen und zu ihrer Verteilung nach Quoten rückgängig zu machen, sagte Orban im ungarischen Rundfunk. "Die Frage ist, ob Angela Merkel bereit ist, mit uns die fehlerhafte Entscheidung aus Brüssel zu revidieren oder nicht." Erst am Donnerstag hatte Tschechien eine verbindliche Verteilung von Flüchtlingen auf die EU-Staaten erneut abgelehnt. Es gebe beim Thema Migration unterschiedliche Meinungen mit Deutschland, sagte Ministerpräsident Sobotka nach einem Treffen mit der Bundeskanzlerin in Prag.
Ungarn will an Grenze zu Serbien zweiten Zaun errichten
Zudem wurde bekannt, dass Ungarn an der Grenze zu Serbien einen zweiten Zaun zur Abwehr von Flüchtlingen errichten will. Orban sagte in dem Rundfunkinterview, neben der bereits bestehenden Absperrung solle eine weitere Barriere die Grenze noch dichter machen. Schließlich könnten beim Scheitern des Abkommens mit der Türkei Hunderttausende Flüchtlinge an die ungarischen Grenze strömen. "Wenn wir sie dann nicht mit freundlichen Worten aufhalten können, müssen und werden wir das mit Macht tun." Der bestehende Zaun sei in Eile errichtet worden und müsse durch eine robustere Konstruktion ergänzt werden.
Ungarn hatte 2015 Stacheldrahtzäune entlang seiner Grenze zu Serbien und Kroatien gelegt und damit den Zustrom von Flüchtlingen stark begrenzt. Zuletzt verringerte sich der Andrang von Migranten über die sogenannte Balkanroute aber auch durch das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei. Im Streit um die EU-Visafreiheit für türkische Bürger gibt es aber Drohungen aus Ankara, die Vereinbarung aufzukündigen.
"Ich weiß nicht, wie lange wir Migrationsdruck standhalten können"
Angesichts des gespannten Verhältnisses zwischen der EU und der Türkei befürchtet Bulgarien eine neue Flüchtlingskrise. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan habe gedroht, Europa mit Migranten zu "überfluten", sagte der bulgarische Ministerpräsident Bojkow Borissow der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Falls Europa das EU-Türkei-Abkommen aufkündigen sollte, werde der türkische Staatschef seine Drohung wahr machen.
In der Vergangenheit stand vor allem Griechenland als direkter Nachbar der Türkei im Rampenlicht. Bulgarien besitzt ebenfalls eine gemeinsame Land- und Seegrenze mit der Türkei. Nach Ansicht des bulgarischen Regierungschefs wird die Lage dort bislang jedoch weitgehend ignoriert. Aktuell werde sein Land von der EU "praktisch alleingelassen", sagte Borissow: "Ich weiß nicht, wie lange wir dem Migrationsdruck an unserer Grenze noch standhalten können."
sti/ml (epd, rtr)