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Gesellschaft

Volkssport Neujahrsvorsätze: Weniger ist mehr

31. Dezember 2017

Silvester ist ein beliebter Termin für gute Vorsätze. Wer Frust vermeiden will, sollte Umstellungen in kleinen Schritten angehen - und Instagram nicht überbewerten, rät Motivationsforscher Hans-Werner Rückert.

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Silverster Neujahr gute Vorsätze 2018
Bild: picture-alliance/dpa/P.Pleul

"Mehr Sport", "gesünder essen" und "mit dem Rauchen aufhören" - das sind die Klassiker unter den Neujahrsvorhaben. Aber auch weniger Stress und mehr Zeit für Familie und Freunde haben sich laut einer Umfrage der Krankenkasse DAK viele Deutsche für 2018 vorgenommen.

Schade nur, dass die meisten der nach ein paar Gläsern Sekt gefassten Vorsätze scheitern. Oft sind sie nicht ernsthaft genug, nicht genügend durchdacht oder schlicht zu monumental. Laut dem Psychologen und Psychotherapeuten Hans-Werner Rückert ist das Scheitern bereits in das Klischee des Neujahrswunsches mit eingebaut: "Wenn jemand zum Beispiel seine Ernährungsgewohnheiten umstellen möchte, dann kann er das vielleicht zum Jahreswechsel beschließen. Aber die eigentliche Arbeit kommt danach."

Um Frust zu vermeiden, setzt man sich laut Rückert am besten am dritten oder vierten Januar mit einem Blatt Papier und einem Stift hin und entwirft einen Handlungsplan, der sowohl die Vor- als auch die Nachteile umfasst: "Ich handle mir ja erstmal mehr Leid ein, Muskelkater oder Hunger etwa. Es ist gut, wenn ich mir das von Anfang an bewusst mache und die eigenen Hintertürchen in den Blick nehme. Also zum Beispiel: Was mache ich, wenn ich joggen gehen will, und es ist dunkel und regnet? Welches Ritual pflege ich nach dem Essen anstelle des Rauchens?"

Höher, schneller, weiter: Das optimierte Selbst

Viele Neujahrsvorsätze sind über die Jahrzehnte gleichgeblieben, und trotzdem hat sich in den Köpfen vieler etwas verändert. Die Rede ist von Selbstoptimierung, dem Trend, dass Menschen sowohl ihr Privat- als auch ihr Berufsleben perfektionieren wollen. Dazu verleiten unter anderem neue technische Möglichkeiten, etwa Apps, die Schritte zählen oder die Kalorien des Mittagessens berechnen.

Zudem hat das Phänomen auch mit dem "Umbau oder, wie manche sagen, der Demolierung des Wohlfahrtsstaates" zu tun, glaubt Rückert: "Mit dem Aufkommen der neoliberalen Ideologie erleben wir ja eine Verlagerung der Verantwortung weg vom Staat und hin zum Einzelnen. Uns wird suggeriert, dass wir unseres eigenen Glückes Schmied sind. Wir sind für alles, was gut, aber auch was schief geht, selbst verantwortlich. Das setzt den Menschen zu und ängstigt sie."

Psychologe Hans-Werner Rückert.
Hans-Werner Rückert: "Die eigentliche Arbeit kommt danach"Bild: Klaus Mellenthin

Und was eignet sich besser als Katalysator dieser Versagensangst, dieses Wunsches, besser zu werden, als soziale Netzwerke? Auf Facebook, Instagram & Co präsentieren sich Menschen von ihrer Schokoladenseite; mit Hochglanzposts zeigen sie, wie durchtrainiert sie sind, welch tolle Freunde sie haben, wie außergewöhnlich ihr Urlaub oder wie süß ihr Haustier ist. Auch Rückert bestätigt: "Durch das Internet und speziell soziale Netzwerke kann man sich heutzutage permanent mit anderen vergleichen. In einer Gesellschaft, die so tut, als seien die Plätze an der Sonne knapp, erzeugt es einen enormen Konkurrenzdruck, wenn Freunde und Bekannte einen via Internet ständig mit Infos darüber versorgen, was sie alles machen."

Dass soziale Netzwerke für viele Stress bedeuten, legt auch das Ergebnis der DAK-Umfrage nahe. Ihr zufolge wollen 34 Prozent der 14- bis 29-Jährigen nächstes Jahr weniger Zeit mit Handy, Computer und Internet verbringen. Nimmt man alle Altersgruppen zusammen, plant immerhin jeder Sechste einen Rückzug aus der Onlinewelt.

"Einfach am Leben bleiben und halbwegs verträglich sein"

Während permanentes Sich-Vergleichen selbstbewusste Menschen anspornt, kann es die Unsicheren, die sich übermäßig an solchen Vergleichsmaßstäben orientieren, demotivieren und sogar deprimieren. Rückert betont zudem, dass das Phänomen der Selbstoptimierung nicht in allen sozialen Milieus gleich stark ausgebildet ist.

Bei Studierenden jedenfalls - Rückert war Leiter der Studienberatung und Psychologischen Beratung der Freien Universität Berlin - stellt er fest, dass sie sich mehr denn je um ihre Zukunft sorgen und dementsprechend reagieren - und das, obwohl Studierende objektiv gesehen in einer guten Lage sind. Nur vier Prozent der Universitäts- und zwei Prozent der FH-Absolventen sind laut Rückert arbeitslos: "Aber ganz nach dem Motto 'survival of the fittest' wähnen sich viele in einem Überlebenskampf und versuchen daher, sich selbst zu optimieren und Qualifikationen anzuhäufen."

Selbstoptimierung als Ersatzreligion?

Dem Psychologen zufolge ist es schon ein Anfang, wenn Menschen sich darüber bewusst werden, inwieweit sie sich mit anderen vergleichen und warum sie bestimmte Dinge anstreben. In einem zweiten Schritt könnten sie sich dann fragen, ob sie mit ihrer Situation zufrieden sind, welche Ressourcen sie noch aktivieren und erschließen können, ab wann es ihnen zu viel ist. Die meisten Menschen, so Rückert, würden sich zu hohe Ziele stecken: "Man sollte nicht nur an das positive Endergebnis denken, sondern auch die Etappenziele feiern und belohnen." Ein weiterer Tipp lautet: Nicht alles wie ein Einzelkämpfer alleine versuchen, sondern sich emotionale Unterstützung bei Familie und Freunden holen. Auch in sozialen Netzwerken könne man positiven Zuspruch erfahren.

Rückert selbst lässt 2018 übrigens ganz entspannt auf sich zukommen: "Ich hab keine besonderen Vorsätze. Ich versuche einfach, gesund und am Leben zu bleiben und halbwegs verträglich zu sein. Es kommt ja doch immer alles anders, als man denkt. Und ich bin ja nicht mehr so jung: Das, was ich unbedingt erreichen wollte, habe ich schon in der Vergangenheit erledigt."

DW Fact Checking-Team | Ines Eisele
Ines Eisele Faktencheckerin, Redakteurin und AutorinInesEis