Vom Nutzen des Aus- und Einwanderns
28. August 2004
Lateinamerikaner, Asiaten und Afrikaner, die drei großen ethnischen Minderheiten der USA, sind die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe des Landes. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden sie in wenigen Jahrzehnten die Mehrheit der Bevölkerung stellen. Schon heute leben fast 40 Millionen Lateinamerikaner in den USA. Momentan lassen sie sich gerade wieder von den beiden Präsidentschaftskandidaten umwerben – auch wenn nur ein Bruchteil von ihnen letztendlich eine Stimme abgeben wird.
Kampf ums Kreuzchen
Knapp ein Drittel der Lateinamerikaner hat keine US-Staatsbürgerschaft, außerdem ist der Anteil an Kindern und Jugendlichen sehr hoch. Die Schätzungen schwanken zwischen 7 und 9 Millionen wahlberechtigter Lateinamerikaner, im Jahr 2000 waren es noch 6, 1980 lediglich 2,5 Millionen. Dennoch ist vor allem in Bundesstaaten wie Kalifornien, wo die Lateinamerikaner fast 30 Prozent der Bevölkerung ausmachen, und in Florida der Kampf um das "voto latino" entbrannt. Denn die bevölkerungsreichen Teilstaaten haben rein arithmetisch großen Einfluss auf das Wahlergebnis. Traditionell wählt die Mehrheit der aus armen Verhältnissen stammenden Lateinamerikaner die Demokraten. Doch das Kreuzchen kommt nicht mehr automatisch.
Vermögende Wechselwähler
Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts HispanTelligence zeigt, dass inzwischen immer mehr Lateinamerikaner die Republikaner wählen würden. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass sie nicht mehr nur als Billigarbeitskräfte ins Land kommen, sondern dass sich viele inzwischen nach oben gearbeitet haben. Diese Mittelständler sehen sich besser von den Republikanern vertreten. Bush versucht demzufolge, seinen Heimvorteil als Texaner zu nutzen: Als erste Partei schaltete die Republikanische Partei im aktuellen Wahlkampf Werbespots in spanischer Sprache. Außerdem kann er mit seinen paar Brocken Spanisch Sympathiepunkte sammeln. Aber nicht nur in ihren neuen Heimatländern haben die Emigranten Einfluss.
Viel Geld hilft viel
Die wirtschaftlich Bessergestellten in den Diasporagemeinschaften leisten nicht selten unentbehrliche Entwicklungshilfe für die Daheimgebliebenen: In vielen Ländern Lateinamerikas und der Karibik sind die Geldtransfers der Exilanten nach Hause eine wichtige Stütze der Wirtschaft. Das Gesamtvolumen der Überweisungen betrug 2002 immerhin 32 Milliarden US-Dollar, wie der Multilateral Investment Fund ermittelt hat. "Überweisungen von Einkünften an die Familienmitglieder zu Hause ist die verbreitete Form, wie Migranten aus Übersee die heimatliche Volkswirtschaft unterstützen", erläutert Lee Cassanelli, Afrikaexperte der University of Pennsylvania. "Finanzielle Überweisungen sind eines der effizientesten Mittel zum Transfer von Wohlstand aus den industrialisierten in die aufstrebenden Länder." Durch ihre Geldtransfers unterstützen die Exilanten aber auch die politischen Machthaber in ihren Herkunftsländern. Und das nicht selten unfreiwillig.
Eritrea: Ohne Exilanten kein Einkommen
Eritrea lieferte sich von 1998 bis 2000 einen erbitterten Grenzkrieg mit Äthiopien. Das flächenmäßig zehn Mal größere Äthiopien mit seinen knapp 70 Millionen Einwohnern war allerdings genauso überrascht wie die Weltgemeinschaft, dass das kleine und arme Eritrea mit seinen nur drei Millionen Menschen überhaupt mit in den Krieg zog – der nur finanziert werden konnte, weil die rund 300.000 Exil-Eritreer das Geld lieferten. Denn die Regierung hatte es geschafft, eine zweiprozentige Steuer auf überseeische Einkommen durchzusetzen. Eritrea profitiert zudem von den ca. 300 Millionen Dollar Privatüberweisungen in harter Währung pro Jahr: Sie sind die sicherste Einnahmequelle des Landes.
Wer das Geld hat, hat das Sagen
Der Wohlstand und das hohe Bildungsniveau der Exilanten verhilft ihnen auf indirektem Weg zu Macht und Einfluss in ihrem Heimatland. Als Gegenleistung für die Finanzhilfen garantieren immer mehr Staaten ihren Exilanten bestimmte Bürgerrechte, zum Beispiel das Wahlrecht. Mexiko, die Türkei und Eritrea haben dafür sogar ihre Verfassung geändert. Und das kam im Fall von Eritrea so: 1993 haben rund 90 Prozent der Exil-Eritreer dem Unabhängigkeitsreferendum des Landes zugestimmt. Danach "halfen" sie bei der Ausarbeitung der Verfassung – die ihnen unter anderem das Abstimmungsrecht bei weiteren Referenden und Wahlen zusichert. (arn)