Vom Politstar zur Hassfigur
5. August 2010Wenn Adolf Sauerland im Sommer mit dem Motorroller zu kleinen Jubiläumsfeiern oder zu einer Rede in seiner Stadt unterwegs ist, wird er von den Einwohnern erkannt. Obwohl der Helm einen Teil seines Kopfes verdeckt: Der markante, angegraute Kinnbart und seine Brille sind charakteristisch für ihn. Sauerland ist ein Mann des Volkes, ein Kumpel-Typ: Klein gewachsen, etwas füllig, hemdsärmlig.
Der Bergarbeitersohn spricht die Sprache des ehemaligen Bergbau-Reviers. Bei Heimspielen des Fußballclubs MSV Duisburg zeigt sich der vierfache Familienvater gerne mit dem blau-weißen Fanschal, zu Karneval leitet er mit Turban und Kaftan verkleidet eine Ratssitzung. Es gibt viele dieser Bilder aus besseren Tagen. Meistens grinst er darauf verschmitzt. Bilder eines Lokalpolitikers auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn.
Doch dann sterben durch eine Massenpanik bei der Loveparade in Duisburg am 24. Juli 2010 mehr als 20 Menschen, hunderte werden zum Teil schwer verletzt. Auch gegen Sauerland werden seitdem schwere Vorwürfe erhoben: Er habe die Loveparade um jeden Preis in die Stadt holen wollen, heißt es. Es sei Druck in der Stadtverwaltung ausgeübt worden, um den Antrag des Veranstalters und sein Sicherheitskonzept zu bewilligen. Andere sprechen von politischer Verantwortung, auch wenn Sauerland keine eigene Schuld treffe. Einen Rücktritt lehnt Sauerland bislang jedoch ab. Ein tiefer Fall für einen Politiker, der bislang eine Vorzeigelaufbahn vorzuweisen hatte.
Schnell die Karriereleiter hinauf
Nach dem Maschinenbau- und Geschichtsstudium arbeitet Sauerland zunächst als Berufsschullehrer in Krefeld. In der Jungen Union, der Jugendoranisation der CDU-Partei, und der Duisburger CDU macht er schnell Karriere und erlangt 2004 erstmals die Oberbürgermeister-Würde in Duisburg - als erster CDU-Politiker in der sozialdemokratischen Hochburg des Reviers seit mehr als einem halben Jahrhundert.
Im vergangenen Jahr wird er von den Bürgern mit knapp 45 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Erstaunlich: Seine christliche-demokratische Partei erhält bei der Kommunalwahl nur ein Drittel der Stimmen. Sauerland hält das Rathaus, obwohl die sozialdemokratische SPD die stärkste Partei wird.
Seine Themen: Außenwirkung und Finanzen der Stadt
Der Stadt-Chef hat vor allem zwei Themen: Die Außenwirkung der Stadt und die maroden Finanzen. Er setzt sich ein für Einkaufszentren, eröffnet Spaßbäder und Sportanlagen. All das soll das Image der Stadt verbessern. Da kommt das Angebot zur Ausrichtung der Loveparade gerade recht: Größtmöglicher Image-Gewinn bei relativ bescheidenem finanziellen Engagement.
Als Sauerland im Juni das Musikspektakel in Duisburg vorstellt, frohlockt er: "Mit der Loveparade werden mehrere Millionen Jugendliche diese Stadt bevölkern und viel Spaß haben", sagt er. "Und ich glaube, das ist in der jetzigen Situation, nicht nur der Stadt, sondern auch des Landes und der Bundesrepublik Deutschland, ein richtig tolles Event."
Buhrufe und Demonstrationen
Nur sechs Wochen später: Noch am Abend der Katastrophe tritt Sauerland erschüttert vor die Presse: Mit hängenden Schultern, den Tränen nahe, bekundet der 55-Jährige sein Beileid: In seinen Gedanken sei er bei den Opfern und deren Angehörigen, sagt er sichtlich bewegt. Die Loveparade sollte ein fröhliches, ein friedliches Fest für junge Menschen werden. Nun habe sie sich zur größten Tragödie der Stadt Duisburg entwickelt.
Seit dem Unglück ist Sauerland vom regionalen Polit-Star zum vielleicht meistverachteten Politiker Deutschlands geworden. Er erhält Morddrohungen, seine Familie bringt er zur Sicherheit aus der Stadt. Als er an der Unglücksstelle Blumen niederlegt, wird er ausgebuht und angerempelt. Bei einer Demonstration vor seinem Rathaus halten seine ehemaligen Wähler Schilder hoch mit Worten wie "Schämen Sie sich, Herr Sauerland!". Politiker aller Parteien - auch der eigenen - legen ihm den Rücktritt nahe.
Nein zum Rücktritt, ja zum Abwahlverfahren
In einer persönlichen schriftlichen Erklärung räumt Sauerland zwar ein: "Wenn ich in den letzten Tagen Fehler gemacht habe, bitte ich, mir das zu verzeihen". Freiwillig räumen werde er aber seinen Posten nicht. Stattdessen können die Mitglieder des Duisburger Stadtrates den ungeliebten Oberbürgermeister abwählen.
Bis dieses Abwahlverfahren in Gang kommt, wird es aber noch dauern. Frühestens im September könnte die Abstimmung erfolgen. Ob Sauerland den Druck auf seine Person bis dahin aushält, weiß nur er selbst. So lange verschanzt er sich in seinem Rathaus. Und das sieht ein wenig aus wie eine uneinnehmbare Festung, mit dicken Mauern und schweren Holztüren.
Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft um die Schuldfrage zu klären, wird auch noch geraume Zeit in Anspruch nehmen.
Autor: Thomas Kalus
Redaktion: Klaudia Prevezanos