Sinn und Unsinn von Übergewinnsteuern
10. Juni 2022Im Mai kündigte die Regierung des Vereinigten Königreiches eine Übergewinnsteuer für Energiekonzerne an. Und zwar für solche, denen der Ukraine-Krieg außerordentliche Gewinne eingebracht hatte, weil nach dem Überfall auf das Land die Öl- und Gaspreise stark gestiegen waren. Damit folgte London Ländern wie Italien und Rumänien, die Energieproduzenten auferlegten, ihre wegen des Krieges angehäuften "Übergewinne" zu teilen. Andere, darunter die USA und die Europäische Union, erwägen eine "Kriegsgewinnsteuer" für große Energie-Firmen.
Große Öl- und Gasunternehmen wie Shell, BP und Exxon werden als Kriegsgewinnler beschimpft, nachdem sie mitten im Krieg von enormen Profiten berichteten, die aus den explodierenden Lebensmittel- und Energiepreisen stammten, während Verbraucher global unter steigenden Preisen leiden. Weltweit wird die Forderung laut, die Energieriesen sollten mit einem Teil ihrer Profite Regierungen dabei unterstützen, die Last armer Konsumenten zu lindern.
"Jetzt ist ein sehr passender Moment für eine Übergewinnsteuer. Gerade verdienen Energieunternehmen außerordentlich viel Geld, während normale Menschen, die ja Kunden dieser Unternehmen sind, sehr hohe Kosten schultern müssen", sagt der Vorsitzende des Tax Justice Networks (Netzwerk Steuergerechtigkeit), Alex Cobham. "So ist eine einmalige Abgabe auf einen Teil dieser Profite absolut sinnvoll, um die Inflation abzumildern."
Was ist eine Übergewinnsteuer?
Eine Übergewinnsteuer ist eine einmalige Abgabe für Unternehmen, deren Einnahmen außerordentlich stark gestiegen sind - und zwar nicht auf Grund kluger Investment-Entscheidungen, Innovationen oder Effizienzsteigerung, sondern schlicht wegen günstiger Marktbedingungen.
Bei der Industrie kommen Übergewinnabgaben aber gar nicht gut an. Diese Einmal-Abgabe, die immer erst im Nachhinein erhoben werden kann, gilt ihnen als willkürlich und verunsichernd.
Bitte keine Überraschungseier!
"Ich bin kein großer Fan von Übergewinnabgaben", sagt Stuart Adam, Ökonom beim Institute for Fiscal Studies in London zur DW. "Es ist besser, schon im Vorhinein zu sagen, welche Steuern unter welchen Umständen anfallen werden, als im Nachhinein eine Extra-Überraschung ins Steuersystem einzubauen."
Laut Adam sind Übergewinnsteuern potentiell unfair Firmen gegenüber, die Investment-Entscheidungen auf Grundlage des bestehenden Steuersystems getroffen haben, um dann im Nachhinein zu erfahren, dass sie mehr zahlen müssen. Das rufe den Eindruck von Zweideutigkeit und Zufälligkeit hervor und würde zukünftige Investments nicht gerade ermutigen.
"Wenn sie Geschäftsleute oder Steuerfachleute fragen", so Adams, "was sie vom einem Steuersystem erwarten, dann stehen meistens Stabilität, Sicherheit und Vorhersagbarkeit ganz oben. Übergewinnsteuern stehen dem entgegen."
"Ich kann aber auch sehen, warum man eine solche Steuer haben will: Wenn so etwas wie der russische Überfall auf die Ukraine stattfindet, kann man sagen, dass man für einen solchen Fall keine fiskalischen Vorkehrungen treffen kann", so Adam. "Dann erscheint es fair, Unternehmen nachträglich zu besteuern, weil sie von Umständen profitieren, zu denen sie nicht beigetragen haben."
Was ist überhaupt ein "Übergewinn"?
Die deutsche Regierung will von russischen Energielieferungen unabhängig werden und versucht zugleich, die Konsumenten von den steigenden Energiekosten zu entlasten. Daher spielt auch sie mit dem Gedanken an Übergewinnsteuern, ist in diesem Punkt aber weiterhin gespalten.
"Solche Konzepte sind bereits in den 1970er Jahren diskutiert, aber nicht umgesetzt worden", sagt Finanzminister Christian Lindner, der auch Vorsitzender der als wirtschaftsfreundlich geltenden Regierungspartei FDP ist. "Man kann nicht klar sagen, was ein 'Übergewinn' ist oder nicht und welche Auswirkungen das haben würde."
Und warum die Tech-Unternehmen nicht?
Das Verlangen, an den Übergewinnen der Energieunternehmen zu partizipieren, steht in starkem Kontrast zu der Großzügigkeit, mit der den Tech-Konzernen begegnet worden war, als die von der COVID-19-Pandemie profitiert hatten. Die hatten schließlich auch von etwas profitiert, für das sie nicht verantwortlich waren.
Der E-Commerce-Gigant Amazon steigerte 2020 seinen Netto-Gewinn um satte 80 Prozent, weil seine Konkurrenten im stationären Handel monatelang durch Lockdowns ausgebremst wurden. Apple profitierte von seinen Homeoffice-Produkten und verbuchte Rekordgewinne in der Pandemie, weil die ans Haus gefesselten Kunden versuchten, wenigstens elektronisch am Erwerbsleben teilnehmen zu können.
"Die Hightech-Firmen erlebten einen ungewöhnlichen geschäftlichen Boom zu einer Zeit, als der Staat riesige Summen dafür ausgab, jene zu unterstützen, die unter den Bedingungen litten", sagt Rob Harrison von Ethical Consumer in Großbritannien. Ethical Consumer hatte im vergangenen Jahr eine Kampagne gestartet, die Übergewinnsteuern für Tech-Unternehmen forderte.
Tax Justice Network-Chef Cobham ist der Ansicht, das Versäumnis von Regierungen, Tech-Firmen für ihre Pandemie-Übergewinne nachträglich zu besteuern, könnte zu einem Problem in den kommenden Jahren werden: "Weil wir es ihnen erlaubt haben, diese gewaltigen Übergewinne zu machen und diese nicht zu versteuern, haben wir für einen geringeren Wettbewerb in diesem Markt gesorgt. Es war 2019 schon schwer genug, Amazon herauszufordern, 2022 dürfte das schlicht unmöglich sein", sagte er zur DW.
High Tech gegen Big Oil
Wie konnten die Technologie-Riesen der Extra-Besteuerung entgehen? Cobham führt das auf eine effiziente Lobbyarbeit der Firmen zurück und darauf, dass es in der Pandemie andere Prioritäten gegeben habe als heute. Vor zwei Jahren waren die Menschen mehr von der Sorge um ihre Gesundheit getrieben, sie interessierten sich eher für Impfstoffe und Lockdowns als dafür, wie viel Geld die Tech-Firmen machten.
"Die Verbindung von Krise und Profit ist diesmal viel klarer: Die Strom-Leute machen tonnenweise Kohle und ich hab nicht genug Geld, um meine Bude zu heizen? Das geht mich viel eher an, als die Einsicht 'Ich-sitze-im-Lockdown-und-Amazon-macht-sich den-Geldspeicher-voll'. So ist jetzt der Druck auf die Politik größer."
Wer wann woran und warum was verdient
Stuart Adam vom Institute for Fiscal Studies weist darauf hin, es wäre nicht so einfach gewesen, die Tech-Firmen mit der Extra-Steuer zu konfrontieren, wie jetzt die Energie-Unternehmen. "Die in Frage kommenden Öl- und Gasfirmen kann man relativ eindeutig identifizieren. Man erkennt die Profite und sieht, wie sie erzielt werden und was das mit einem spezifischen Vorgang in der Welt zu tun hat. In der Pandemie war es viel schwerer genau zu definieren, welche Gewinne welche Firma zu genau welchem Zeitpunkt und warum gemacht hat."
Und er fügt hinzu, dass es nicht fair sei, nur die Tech-Firmen wegen ihrer Pandemie-Gewinne ins Visier zu nehmen - es hätten schließlich noch eine große Menge anderer Firmen sehr, sehr gut verdient: Impfstoff-Produzenten wie Pfizer und BioNTech und auch die Hersteller von Medizin-Geräten hätten viel Geld gemacht.