Slumdog Millionär
18. März 2009"Slumdog Millionär" spaltet die Filmwelt. Vor allem nachdem der Streifen von Regisseur Danny Boyle in Hollywood acht Oscars eingeheimst hat. Jetzt ist der Film in aller Munde, Kritiker tauschen ihr Für und Wider aus, berühmte Schriftsteller schreiben lange Artikel über "Slumdog Millionär", in den Zeitungen findet sich der Film plötzlich inmitten einer Diskussion über Globalisierung, Kolonialismus und soziale Ungerechtigkeiten wieder. Wie ist es dazu gekommen?
"Slumdog Millionär" ist zunächst einmal der Film eines britischen Regisseurs (Danny Boyle) nach dem Roman eines indischen Diplomaten (Vikas Swarup: "Rupien! Rupien!"). Erzählt wird die Geschichte eines Jungen aus einem Slum von Bombay, der es als Kandidat in die indische Ausgabe von "Wer wird Millionär?" schafft und dort viel Geld gewinnt. Es ist die klassische Kinostory des Underdogs, der zum Millionär aufsteigt, ein Kinomärchen, bunt und schnell inszeniert. Ein Film, der Sehnsüchte bedient, ein typisches "Feelgood Movie" für ein großes Publikum.
Jubel und Ablehnung
Dass der Film jetzt so heiß diskutiert wird, hat gleich mehrere Gründe. Die zum Teil bissig vorgetragenen Argumente der Kritiker als auch die Lobeshymnen sind gar nicht so leicht zu entwirren. Auch in Indien streitet man über den Film, auch dort gibt es Befürworter und eine ablehnende Front. Ebenso in Europa und den USA. Was die Sache noch komplizierter macht: die Gegen-Argumente vom Subkontinent sind nicht die gleichen wie die aus der westlichen Hemisphäre. Doch der Reihe nach.
In Indien bemängeln viele, dass ausgerechnet ein Engländer den Film gedreht hat über das Land und die sozialen Zustände, also ein Vertreter der ehemaligen Kolonialmacht. Auch dass Indien hier vor allem als Nation der Armut, der Slums, der Bettler und Bretterbuden dargestellt wird, stößt auf eine breite Ablehnung. Indien sei schließlich eine führende Atommacht, so ein bekannter Bollywood-Regisseur. Dem Schriftsteller Salman Rushdie bezeichnete die Filmhandlung als kitschig, unglaubwürdig und extrem sentimental.
Spekulieren mit dem Elend
Europäische Kommentatoren bemängeln dagegen eher, dass "Slumdog Millionär" spekulativ das Armut benutze, die sozialen Mißstände für ein Unterhaltungsprodukt ausbeute. Ein Kritiker schrieb: "Das kalkulierte Entertainment samt angegliedertem sozialen Gewissen justiert die Perspektive: Es ist der mild-paternalistische Blick eines wohlmeinenden Unternehmers, der auf das Geschehen fällt." Und ein anderer merkt an: "Die Slums für ein eskapistisches Märchen zu nutzen, das ist durchaus fragwürdig."
Fragt sich nun, warum der Film auf der anderen Seite so vielen gefällt, warum er schon über 200 Millionen Dollar eingespielt hat, obwohl er in vielen Ländern noch gar nicht einmal in den Kinos angelaufen ist. Warum "Slumdog Millionär" neben den acht Oscars, darunter dem für den "Besten Film" weitere Dutzende Preise erhalten hat. Warum der deutsche Verleih ihn mit dem Spruch ankündigt: "Das Feelgood-Movie des Jahrzehnts".
Perfekte Unterhaltung
Vielleicht ist die Antwort ganz einfach. "Slumdog Millionär" ist in erster Linie ein perfekt gemachter Unterhaltungsfilm, einer, der eine ganz und gar klassische Kinogeschichte erzählt, die überall auf der Welt funktioniert. Eine Geschichte von einem, der aufsteigt aus dem sozialen Elend, der Träume wahr werden lässt und damit vor allem eine Sehnsucht der allermeisten Zuschauer bedient. Ein Film auch, das sollte nicht vergessen werden, von einem der virtuosesten und handwerklich interessantesten Regisseure unserer Zeit. Schon mit dem Drogendrama "Trainspotting" hatte der Brite Danny Boyle 1996 einen absoluten Kultfilm gedreht.
Dass das nicht allen gefällt, ist allerdings ebenso klar. Diejenigen, die sich vom Kino vor allem eine realistisch-authentische Darstellung der Welt erwarten, die sich über die Ursprünge der krassen sozialen Unterschiede im modernen Indien Aufklärung erhoffen, für die ist "Slumdog Millionär" der falsche Film. Und ob Boyles Werk nun eine Form von "Kulturimperialismus" ist, nur weil der Regisseur aus England kommt und Indien einmal britische Kolonie war, dass kann nur jeder Zuschauer für sich selbst entscheiden. Und ebenso eine Antwort darauf finden, ob das Kino soziale Mißstände überhaupt in einer Märchenform erzählen darf.
Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Conny Paul