Vom Umgang mit der Sorge
10. September 2021Pfrn. Angelika Obert, Berlin
Für Deutsche Welle Spurensuche am 11.9.2021
Vom Umgang mit der Sorge
Wie lässt sich der Sorge beikommen? fragt Angelika Obert und entdeckt: Goethes Faust macht‘s falsch. Seltsamen Rat gibt ein Bibelwort.
Die Macht der Sorge
‚Die Sorge, sie schleicht sich ein durchs Schlüsselloch‘ - so heißt es bei Goethe. Bei keinem Geringeren als Faust schleicht sie sich ein, obwohl der doch wegen seines Pakts mit dem Teufel sehr reich und stark ist: Die Not, der Mangel und auch das Schuldgefühl können ihn nicht erreichen. Aber die Sorge schleicht durchs Schlüsselloch… und gleich verfinstert sich Fausts prächtiger Palast. ‚Ich werde dir das Leben zur Hölle machen‘, verspricht die düstere Gesellin, ‚tagsüber wirst du schwanken und zaudern und nachts nicht schlafen können. Ich werde dich so bedrücken, dass du nichts mehr genießen kannst.“ (Bei Goethe sagt sie das natürlich in Versen und viel ausführlicher.)
Fausts Irrtum
‚Was denn‘, wehrt sich Faust, ‚du bist doch nur ein elendes Gespenst. Ich erkenne deine Macht nicht an.‘ Aber da wird es erst recht Nacht um ihn: Er erblindet und sieht nicht mehr, was ihm wirklich bevorsteht. Mit Hochmut lässt sich die Sorge nicht besiegen. Nichts von ihr wissen zu wollen, das bedeutet so viel wie blind sein für die realen Bedrohungen, von denen es in den Wirrnissen der Menschenwelt ja doch viele gibt, vor allem für diejenigen, die es nicht so weit bringen wie ein Faust.
Fragen über Fragen
Muss ich also der Sorge das Feld überlassen, wenn sie sich bei mir durchs Schlüsselloch schleicht? Wenn sie mich mit all den ungewissen Fragen plagt: Was, wenn...? Was, wenn das Geld nicht reicht? Wenn ich krank werde? Was wird aus den Kindern? Schaffen sie‘s? Und was, wenn ich versage? Wenn ich ausgelacht werde? Die Sorge kann sich ja in so vielerlei Gestalt einschleichen. Die Einen sorgen sich, wenn ihre Aktien fallen, die anderen wissen nicht, wie sie die Miete bezahlen sollen. Wie auch immer: Wo sie sich erstmal eingenistet hat, die Sorge, da drückt sie und vergällt den Tag. Macht die Schritte unsicher und die Nächte zur Qual. Das hat Goethe schon sehr trefflich bedichtet.
Aber er verrät nicht, wie dem denn nun zu entkommen ist, ohne zu erblinden.
Der Rat des Apostels
Rat gibt dagegen der biblische Wochenspruch für diesen Sonntag, freilich seltsamen Rat: ‚All eure Sorgen werft auf Gott, denn er sorgt für euch‘ heißt es da (1. Petrus 5,7). ‚Aber‘, denke ich da gleich, ‚lassen sich Sorgen denn werfen? Und stimmt es denn, dass Gott so schön für mich sorgt?‘ Ich versuche zu verstehen und entdecke: Für den Apostel ist das eine Frage der Demut. ‚Seid demütig vor Gott‘, heißt es im Satz davor und das bedeutet wohl: Glaubt nicht, dass ihr das Kommende unter Kontrolle haben könnt. Darum lasst euch nicht einklammern von der Sorge, die das Herz verdüstert. Starrt nicht ins Dunkle, sondern richtet euren Blick dem Schöpfer entgegen, der ‚Wolken, Luft und Winden gibt Wege Lauf und Bahn‘ - wie es im Gesangbuchlied so schön heißt (EG 361). Ihr seid nicht dazu da, die Zukunft in der Hand zu haben, sondern heute zu leben mit dem Boden unter den Füßen, der euch trägt, der Luft zum Atmen, die euch erhält, der Kraft für diesen Tag – und der Vernunft, den Herausforderungen mit offenen Augen zu begegnen - ‚nüchtern und wachsam‘, so sagt es der Apostel dann auch.
Ganz ohne Kraft geht‘s nicht.
Eine sichere Zukunft verspricht mir das Bibelwort nicht. Es geht dem Apostel nur darum, die düstere Macht der Sorge zu brechen, die das Leben zur Hölle machen kann. Mit Hochmut kommt man ihr nicht bei, aber doch mit einer kraftvollen Demut. Denn eine gewisse Kraft gehört ja wohl dazu, die schwere Sorge abzuwerfen, rüberzuwerfen, auf Gott zu werfen…Mit etwas Übung wird es sicher leichter.
Angelika Obert geboren 1948, Theologin und Journalistin, leitet seit 1994 den Evangelischen Rundfunkdienst Berlin. Sie hat zahlreiche Hörfunksendungen produziert, insbesondere für den rbb und den Deutschlandfunk, darunter immer wieder literarische Porträts, u.a. von Mascha Kaléko, Gertrud Kolmar, Teresa von Ávila und Vincent van Gogh. 2011 veröffentlichte sie eine Biografie der Kaiserin Auguste Viktoria.