Vom Zeitgeist verweht? Kino, Klischees und Kritik
Nach dem Tod von George Floyd und den Diskussionen über Rassismus wurde "Vom Winde verweht" vorübergehend aus dem Programm eines US-Anbieters genommen. Müssen auch andere Filme zurückgezogen werden?
Streitfall "Vom Winde verweht"
Folgt jetzt eine Neubewertung der Filmgeschichte? Der Klassiker "Vom Winde verweht" wurde nach den aktuellen Diskussionen über Rassismus in den USA von einem Streaminganbieter vorläufig aus dem Verkehr genommen. Die Situation der Sklaven sei in dem Film geschönt dargestellt und nicht realitätsnah geschildert, so das selbstkritische Eingeständnis des Warner-Konzerns, der die Rechte am Film hat.
Jetzt wieder im Programm - mit kritischer Einordnung
Der Sender "HBO Max", der "Vom Winde verweht" vorübergehend aus dem Programm nahm, bietet den Klassiker inzwischen wieder an. Jetzt wird der Film von einordnenden Hinweisen in Text und Bewegtbild ausgestrahlt. Das wirft natürlich Fragen auf. Denn "Vom Winde verweht" ist bei weitem nicht der einzige Film, der historische Abläufe und gesellschaftliche Entwicklungen verzerrt darstellt.
Amerikanischer Kinomythos: "The Birth of a Nation"
Der berühmteste und innovativste Film der amerikanischen Stummfilm-Ära war "The Birth of a Nation" von David Wark Griffith. Das dreistündige Historienepos von 1915 schildert Episoden aus dem amerikanischen Bürgerkrieg. Auch dort ist die Darstellung der Afroamerikaner grob verzerrend: Entweder sind sie negativ dargestellt - oder sie fügen sich den Vorstellungen der weißen Amerikaner freiwillig.
Blackfacing: "The Jazz Singer"
Und wie sollte in Zukunft dieser Film gezeigt werden? Schließlich handelt es sich um eines der berühmtesten Werke der Filmgeschichte. "The Jazz Singer" aus dem Jahre 1927 gilt als erster Tonfilm der Kinohistorie. Hauptdarsteller Al Jolson war ein bekannter weißer Sänger und Entertainer. Im Film tritt er - schwarz geschminkt - als Afroamerikaner auf. Nicht nur für Schwarze heute unerträglich.
Diskriminierend: Blackfacing
"Blackfacing" ist der Begriff, den man heute dafür verwendet: Afroamerikanische Charaktere wurden lange von weißen Schauspielern verkörpert. Hier ist Eddie Cantor, der eigentlich Isidore Itzkowitz hieß, im Film "Whoopee" von 1930 zu sehen. Diese lange gepflegte Unart der Rollenbesetzung gilt heute als rassistisch. Wie also umgehen mit diesen Spielfilmen aus einer anderen Zeit?
"Red-Facing" im Western
Man gelangt dann auch schnell zum uramerikanischen Film-Genre schlechthin: dem Western. Auch dort spielten weiße Stars Charaktere, die eine andere Hautfarbe haben - in diesem Fall Indianer. Im Film "Taza, Sohn des Cochise" spielt Rock Hudson (zweiter von rechts) einen friedfertigen Häuptlingssohn. Regie führte Douglas Sirk, der - unter dem Namen Hans Detlef Sierck - 1937 vor den Nazis flüchtete.
Kultfilm "The Searchers"
Ein Paradebeispiel für den Zwiespalt zwischen Moral, Ästhetik und Historie ist auch der Western "The Searchers". Kaum ein anderer amerikanischer Film wird noch heute so enthusiastisch besprochen wie John Fords Western von 1956. Für viele Experten gehört er zu den besten Filmen aller Zeiten. Auf der anderen Seite propagiert er ein rassistisches Weltbild - auch dies ein Fall für eine Neubewertung?
Versteckter Rassismus in Vietnam-Filmen?
Verbreiten amerikanische Filme - mehr oder weniger versteckt - rassistische Vorurteile? Diese Diskussion müsste ehrlicherweise auch auf andere Werke ausgedehnt werden, in denen es nicht um afroamerikanische Filmcharaktere geht. Ist ein Film wie "The Deer Hunter", zweifellos ein brillant in Szene gesetzter Film über den Vietnam-Krieg, nicht auch ein Werk, das Vorurteile gegen Vietnamesen schürt?
Wie umgehen mit "Apocalypse Now" und Co.?
Auch ein als filmisches Meisterwerk apostrophiertes Werk wie "Apocalypse Now" könnte sich den Vorwurf gefallen lassen, sich stets nur um die Darstellung der weißen US-Amerikaner zu kümmern. Die Vietnamesen hingegen dienen als filmische Staffage ohne Gesicht und Charakter. Wie muss man also in Zukunft mit einem solchen Film umgehen? Und vor allem mit den vielen wirklich schlechten Vietnam-Filmen?
Ein falscher Japaner in "Frühstück bei Tiffany"
Viele asiatische Filmcharaktere werden in Hollywood-Filmen grob verzerrend dargestellt. Ein Beispiel ist auch der Klassiker "Frühstück bei Tiffany". Dort spielt der weiße amerikanische Darsteller Mickey Rooney einen Nachbarn von Hauptfigur Holly Golightly (Audrey Hepburn) - den Japaner Mr. Yunioshi. Man kann das mit Humor betrachten. Es ist aber auch eine Figur, die Vorurteile fördert.
Latinos in Hollywood: "Manhattan Love Story" und Co.
"Lateinamerikaner sind mit etwa 18 Prozent der Bevölkerung die größte ethnische Minderheit in den USA", heißt es in einer DW-Studie. Auch das führe zu stereotypen Darstellungen. Das ist nicht immer nur herabwürdigend wie bei Schwarzen oder Asiaten. Doch bleibt die Frage: Was geschieht in den Zuschauer-Köpfen, wenn Schauspielerinnen wie Jennifer Lopez stets als sexy und temperamentvoll rüberkommen?
Schwieriges Verhältnis: Japan/China
Auch andere Nationen tun sich schwer, wenn es um Klischee-Vermeidung geht. Ein eklatantes Beispiel ist die Darstellung von Chinesen in japanischen Filmen - und umgekehrt. Grund sind die langen kriegerischen Auseinandersetzungen dieser Länder. In jüngster Zeit deutet sich Entspannung an: Regisseur Zhang Yimou (China, r.) und der japanische Schauspieler Ken Takakura arbeiteten 2005 zusammen.
Blick zurück - Deutsche in Hollywood
Viele österreichische und deutsche Schauspieler, die vor den Nationalsozialisten flohen, gingen nach Hollywood ins Exil. Dort bekamen sie vor allem Rollen als Nazis angeboten - wie hier Conrad Veidt als Major Strasser (l.) im berühmten Film "Casablanca". Das führte dazu, dass sich das Rollenklischee für deutschsprachige Schauspieler verfestigte - auch Jahre nach Kriegsende.
Nazis bis heute: Christoph Waltz und Co.
Dieses Rollenklischee wird bis heute gepflegt. Ein relativ junges Beispiel ist der deutsch-österreichische Schauspieler Christoph Waltz, der in Quentin Tarantinos "Inglorious Basterds" virtuos einen SS-Standartenführer verkörpert. Eine brillante schauspielerische Leistung. Doch was löst das in den Köpfen der Zuschauer aus: Deutschsprachige Darsteller, die auch im neuen Jahrtausend Nazis spielen?
"Vorbehaltsfilme" aus Nazi-Deutschland: "Jud Süss"
Dass Filme, die üble Vorurteile und Klischees verfestigen, manchmal tatsächlich aus dem Verkehr gezogen werden müssen - auch dafür gibt es Beispiele. Einige besonders krasse antisemitische Propagandafilme der Nazis (wie hier "Jud Süss") dürfen auch heute nur "unter Vorbehalt" gezeigt werden, im Rahmen von Seminaren oder Workshops mit Historikern oder Film-Experten.
Nach dem Tod des Schwarzen George Floyd und den aktuellen Diskussionen über die US-Polizei und Rassismus in den Vereinigten Staaten wurde der amerikanische Filmklassiker "Vom Winde verweht" aus dem Jahre 1939 vorübergehend aus dem Programm eines US-Anbieters genommen. Mit einer aufklärerischen, historischen Einbettung ist er inzwischen wieder zu sehen. Das wirft Fragen auf: Müssen auch andere Filme zurückgezogen werden? Oder: Wie sollen sie in Zukunft gezeigt werden? Dazu kommt: Es ist nicht nur ein Problem der US-amerikanischen Kinogeschichte. Verzerrende Darstellungen bestimmter Charaktere gibt es zum Beispiel auch in Asien - und in der deutschen Filmgeschichte.