Von den Tücken des chinesischen Marktes
5. Februar 2006Begrüßung im neuen German Centre in Schanghai. Hausherr Christian Sommer führt eine Delegation von Magdeburger Unternehmern aus der Bauwirtschaft durch den Neubau in der Zhangjiang-Industriezone. Ohne Umschweife warnt er sie davor, sich von Chinas gigantischen Wachstumszahlen blenden zu lassen. "Es ist ja schön, wenn man weiß, dass alles vorangeht. Nur die Frage ist doch für Sie, wo da die Chance ist, dass Sie etwas tun können", sagt Sommer. Es helfe ja nicht automatisch, dass es acht, neun oder zehn Prozent Wirtschaftswachstum gäbe. Interessant sei, wo etwas für die deutschen Unternehmer zu holen ist.
Christian Sommer leitet seit dem 1. August 2005 das German Centre Shanghai. Der gebürtige Kieler, der mit großem Erfolg sechs Jahre lang das Deutsche Haus in Peking führte, steht vor einer schwierigen Aufgabe. Rund 30.000 Quadratmeter Bürofläche und 47 Service-Appartements gilt es in den nächsten Monaten zu vermieten. Der 41-jährige bezeichnet sich selbst als den "Hausmeister von Shanghai". Doch das beschreibt seine Aufgabe nur unzureichend. Sommer soll Mittelständlern aus Europa nicht nur Büroräume zur Verfügung stellen, sondern sie auch durch die chinesische Bürokratie lotsen, indem er wichtige Kontakte herstellt, auf Änderungen in den rechtlichen Rahmenbedingungen hinweist und bei der Personalsuche behilflich ist.
Auf der Suche nach den Erfolgsfaktoren
Rund 8000 Deutsche leben inzwischen im Großraum Shanghai. Mehr als in jeder anderen Stadt Asiens. Derzeit drängen besonders mittelständische Zulieferer nach, die von Großunternehmen wie Siemens, Volkswagen oder Thyssen-Krupp aufgefordert wurden, ihnen zu folgen. Christian Sommer lebt seit knapp zehn Jahren in China. Er weiß inzwischen, worauf es ankommt. Bestehen könne nur, wer mit der hektischen Umgebung umzugehen wisse, sagt er. "Leute, die nur geringe Kommunikationsfähigkeiten besitzen, weil sie in starren Rastern denken, werden es hier sehr schwer haben", so Sommer. Was man sicherlich brauche sei ein sehr starkes Nervenkostüm und innere Ruhe, um die äußere Unruhe ausgleichen zu können. "Sonst, sage ich immer so schön, besteht die Gefahr, dass man irgendwann am Tresen landet, weil man das nicht mehr ertragen kann."
Es war einer der großen Jubeltage in den deutsch-chinesischen Beziehungen. Mit buntem Konfetti aus goldenen Kanonen und Löwentanz wurde Ende September 2005 im ostchinesischen Nanjing der neue Verbundstandort der BASF eingeweiht. Die BASF und der chinesische Chemieriese Sinopec haben Industriegeschichte geschrieben. Dieser Satz war bei der Einweihung des Prestigeprojektes immer wieder zu hören. Rund 2,3 Milliarden Euro haben die Ludwigshafener und der chinesische Joint-Venture-Partner investiert. Damit handelte es sich um die größte Auslandsinvestition der BASF und zugleich der deutschen Wirtschaft überhaupt. China ist der am schnellsten wachsende Chemiemarkt der Welt. Sinopec und die BASF planen bereits die nächste Ausbaustufe des Nanjinger Verbundstandortes, kündigte Asienvorstand Andreas Kreimeyer am Rande der Feierlichkeiten an. "Die Stärke unserer Partnerschaft zeigt sich daran, dass wir das Projekt ausbauen wollen", sagte der BASF-Manager. Nach der erfolgreichen und reibungslosen Anlaufphase wolle die BASF und Sinopec in weitere nach geordnete Werke investieren. Ziel ist, die Kapazität des Standortes in Nanjing allmählich zu steigern, um die Synergieeffekte weiter zu stärken.
Chinas Problem der Importabhängigkeit
Bis zum Jahr 2010 will die BASF zehn Prozent ihres Umsatzes in der Volksrepublik erwirtschaften. Das Unternehmen profitiert von Chinas enormem Bedarf an hochwertigen Chemieprodukten und Kunststoffen. Die Auftragsbücher der Nanjinger Anlage seien bereits fast gefüllt, heißt es. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass China bisher 50 Prozent seines Chemiebedarfs aus dem Ausland decken musste. Sinopec-Präsident Wang Tianpu betonte am Rande der Feierlichkeiten, wie wichtig es für China sei, die Zahl der Importe so schnell wie möglich zu verringern. Obwohl viele Projekte angestoßen wurden, könne China seinen Bedarf bisher nicht selbst decken. Nach Ansicht des Sinopec-Präsidenten ist es unmöglich, dass ein Land von der Größe Chinas so sehr abhängig ist von Importen. Der Abschluss des Projektes mit der BASF sei daher wichtig für Chinas Bemühen, seine Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.
Seit gut 15 Jahren investieren Unternehmen wie Siemens, Volkswagen, Bayer, die BASF und Thyssen-Krupp in China, bauen Produktionsstätten auf, schulen Mitarbeiter und übertragen Technologien an ihre Joint-Venture-Partner. Inzwischen ist Deutschland der größte europäische Investor in China, wenngleich weit abgeschlagen hinter Hongkong, den USA oder Taiwan. Die deutschen Direktinvestitionen belaufen sich mittlerweile auf rund zehn Milliarden US-Dollar. Bis zum Jahr 2010, so schätzen viele Beobachter, werden sich diese Zahlen verdoppeln. Lohnt sich das, wird immer wieder gefragt. Die viel zitierte Antwort von Heinrich von Pierer, Aufsichtsratschef von Siemens und bekennendem China-Fan lautet: das Risiko, nicht dabei zu sein ist größer als das, in China auf die Nase zu fallen.
Gerhard Mairhofer gehörte zu den Ersten, die für ein deutsches Unternehmen nach China gingen. Seit mehr als 16 Jahren lebt er im Reich der Mitte. Von Thyssen-Krupp erhielt er 1998 die Aufgabe, auf einer grünen Wiese außerhalb von Shanghai ein Stahlwerk zu errichten. Shanghai Krupp-Stainless heißt das Joint-Venture mit dem chinesischen Stahlriesen Baosteel. Die Deutschen halten 60 Prozent der Anteile, die Chinesen 40 Prozent. Ein Verhältnis, wie Peking es heute nicht mehr genehmigen würde. Gerade die Stahlindustrie gilt inzwischen als äußerst sensibel. Doch damals ahnte man weder in Deutschland noch in China, wie schnell sich Chinas Hunger nach Stahl, Öl und Eisenerzen entwickeln würde. Das Stahlwerk wurde zu einem der größten Prestigeprojekte der deutsch-chinesischen Beziehungen. Als das erste Blech vom Band rollte, war der ehemalige Bundeskanzler, Gerhard Schröder, höchstpersönlich dabei.
Keine Wahl für deutsche Unternehmen
Vermutlich in keinem anderen Land der Welt wird momentan so viel und so hoch gebaut wie in China. Allein in Shanghai sind in den vergangenen Jahren rund 10.000 Hochhäuser entstanden. Gebäude, in denen meist Fahrstühle internationaler Hersteller eingesetzt werden. Um seine Kunden aus der Kran- und Aufzugindustrie auch in China beliefern zu können, wagte der Spezialdrahtseilhersteller Pfeifer Drako aus Memmingen unlängst den Sprung nach China. Nur wenn man seinen Auftraggebern folge, könne man den Standort Deutschland erhalten, sagt Geschäftsführer Christian Kotschmar. "Es klingt eigenartig, wir wollen hier produzieren, um unsere Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern", sagt der Unternehmer. Mit Seilen aus Deutschland hätte man hier preislich keine Chance mehr. Ein Aufzugseil aus europäischer Produktion kostet das vier- bis sechsfache seines chinesischen Pendants. Kotschmar glaubt, dass er bei einem Verlust der internationalen Kunden auch die europäischen Auftraggeber verlieren würde. So aber könne man sich in Deutschland immer stärker auf qualitativ hochwertige Produkte konzentrieren. "Das ist die letzte Chance vom Fertigungsstandort Deutschland."
Die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen haben sich mit atemberaubendem Tempo zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt. Das Handelsvolumen erreichte im vergangenen Jahr knapp 60 Milliarden Euro. Vor rund 30 Jahren exportierten deutsche Unternehmen gerade mal Waren für 270 Millionen Euro, heute sind es knapp siebzig Mal mehr. Im vergangenen Jahr kam es jedoch zu einer Schieflage in der Handelsbilanz. So importieren deutsche Unternehmen wesentlich mehr Waren aus China, als sie dorthin liefern. Während die Einfuhren weiter ansteigen, sanken die Exporte im vergangenen Jahr um knapp fünf Prozent. Zu den Gründen zählen das wachsende Know-how im Inland, aber auch die gedämpfte Nachfrage im Zuge der staatlichen Abbremsungspolitik sowie die wachsende Zahl deutscher Produktionsstätten vor Ort.
Vorsicht vor falschen Erwartungen
Dennoch: Egal ob Weltkonzern oder Familienbetrieb, kaum ein deutsches Unternehmen hat wohl noch nicht daran gedacht, sich in China nach neuen Märkten umzusehen. Steffi Schmitt von der Bundesagentur für Außenwirtschaft warnt vor zu großen Erwartungen und verdeutlicht dies anhand von einigen Beispielen. So gäbe es in China beispielsweise 18.000 Krankenhäuser, aber wirklich finanzkräftig seien nur ungefähr 900 der obersten Kategorie. Ein anderes Beispiel sei der Kfz-Markt. Zwar würden in China knapp 90.000 Busse hergestellt, die mehr als 20 Plätze haben. Doch wirklich interessant für deutsche Zulieferfirmen seien nur die Busse, die mehr als 600.000 Renmimbi, das sind etwa 60.000 Euro, kosten. Davon werden aber nur 1.500 Stück hergestellt. "So relativiert sich der Markt doch ganz schnell", sagt Schmitt. Die promovierte Ökonomin rät Neuankömmlingen dringend, China ernst zu nehmen, genügend Zeit für die Vorbereitung einzuplanen und auf gutes Personal zu setzen.
Falsche Personalpolitik gilt als einer der Hauptgründe, warum der einstige Marktführer Volkswagen in den vergangenen vier Jahren so massive Umsatzrückgänge verzeichnete. Vor mehr als 20 Jahren begannen die Wolfsburger in Shanghai mit der Autoproduktion und investierten seitdem Milliarden in den Aufbau zusätzlicher Standorte. Bis China der Welthandelsorganisation beitrat, besaß Volkswagen einen Marktanteil von mehr als 50 Prozent, mittlerweile ist dieser auf unter 18 Prozent gesunken. Mehr noch: Kürzlich musste VW seine Spitzenposition auf dem wohl am härtesten umkämpften Automarkt der Welt an General Motors abtreten. Volkswagen schweigt dazu und sucht nach einer Neuausrichtung seiner China-Strategie. Selbst für alte Hasen scheint China kein einfacher Markt zu sein.
Das große Problem der Produktpiraterie
In der Automobilindustrie macht sich seither Katerstimmung breit. Die Abkühlung des Marktes, die von vielen Seiten als notwendig beschrieben wird, hat in erster Linie die westlichen Konzerne getroffen. Denn diese hatten ihre Kapazitäten gerade ausgeweitet. In zahlreichen Betrieben musste vorübergehend Kurzarbeit angemeldet werden. In den Lagerhallen stapeln sich die Autos. Zwar wuchs der Markt im vergangenen Jahr um rund elf Prozent, doch es sind inzwischen zu viele Hersteller in China vertreten. Der Verdrängungskampf tobt, und so wird der Kostendruck immer größer. Rabattschlachten waren unvermeidbar. In Europa und den USA wächst unterdessen die Angst vor Billigautos made in China, die eines Tages den Weltmarkt überschwemmen. Nicht selten mit Modellen, die ausländischen Typen verblüffend ähnlich sehen. Die GM-Tochter Daewoo klagte unlängst gegen Plagiate aus der Produktion des staatlichen chinesischen Automobilherstellers Chery. Der hatte zwei komplette Autos kopiert, den Chevrolet Spark und den Matiz - beides Modelle, die in China produziert und verkauft werden.
Produktpiraterie ist in China inzwischen in fast allen Branchen zu einem der größten Probleme geworden. Gefälscht wird so ziemlich alles, was Erfolg verspricht, sagt Steffi Schmitt von der Bundesagentur für Außenwirtschaft. Betroffen seien eigentlich alle Branchen, völlig gleich, ob es sich um KFZ- oder Medizinfirmen handelt. Vor allem wenn Schäden auftreten, sei es schwierig, zwischen Original und Fälschung zu unterscheiden.
Auch das Kapitel "Technologietransfer" sorgt gelegentlich für Dissonanzen. So haben sich deutsche Politiker immer wieder über Pekings Druck auf ausländische Unternehmen beschwert, sie sollten Know-how übertragen. Wolfgang Röhr, deutscher Generalkonsul in Shanghai, sieht die Frage des Technologietransfers dagegen gelassen. "Deutsche Unternehmen sind bekannt dafür, dass sie zum Technologietransfer bereit sind. Das können sie auch, denn ihre Technologie ist weltweit führend", sagt Röhr. Nach Meinung des Generalkonsuls weiß man dies in China manchmal besser als zu Hause in der deutschen Öffentlichkeit. In vielen Bereichen ist die Halbwertzeit der gegenwärtigen Technologien außerordentlich kurz. Deshalb würden nach Ansicht Röhrs deutsche Unternehmen auch Technologien transferieren, ohne dass sie ihren eigenen Vorsprung gefährden.
Nicht gewappnet für den Krisenfall
Rund 3.000 deutsche Unternehmen haben sich in den vergangenen Jahren in China angesiedelt. Sie alle träumen vom Markt der Zukunft und jährlichen Wachstumsraten zwischen acht und neun Prozent. Dafür sind sie auch bereit, Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen. Doch ist die Volksrepublik wirklich auf Wachstum abonniert? Analysten und Sozialwissenschaftler warnen eindringlich vor den Gefahren sozialer Proteste, politischer Instabilität, kriegerischen Auseinandersetzungen mit Taiwan, Energiekrisen und den Folgen schwerer Umweltkatastrophen. Auf Rückschläge allerdings sind die wenigsten Investoren vorbereitet.