Festplatte statt Filmrolle
2. Mai 2012Er hebt die 35-Millimeter-Filmrolle vom Boden und legt sie auf eine horizontale Platte, die sogenannte Telleranlage. Oliver Hauschke sucht den Anfang des Streifens und zieht ihn schräg nach oben durch die vielen Umlenkrollen zum Projektor. Ein 2500 Watt starker Lichtkolben durchleuchtet dann die einzelnen Bilder und projiziert sie auf die große Leinwand. Das Rattern des Projektors ist ohrenbetäubend. "Der macht Lärm wie ein alter VW-Käfer", sagt Hauschke. "An den Geräuschen kann man erkennen, ob etwas nicht in Ordnung ist. So kann man direkt reagieren." Dann schaut er aus dem kleinen Fenster des Vorführraums in den Kinosaal: Die Schärfe muss noch angepasst werden. Ein Handgriff, und schon kann der Film beginnen.
Oliver Hauschke arbeitet seit 15 Jahren als Filmvorführer. Im Kölner Programmkino Cinenova führt er täglich bis zu 14 Filme vor. Eine aufwendige Arbeit: "Der Film wird in einem Karton verschickt, in dem die Akte, sprich die einzelnen Teile der Filmrolle, aufbewahrt sind. Wir müssen den Film aufziehen, das heißt die Akte aneinander kleben. Allein dafür brauchen wir eine Stunde."
Licht aus, Vorhang auf, Film ab - auf Knopfdruck
In den großen Multiplex-Kinos ist die digitale Projektion längst Standard. Im Cinenova wurde die neue Technik erst vor kurzem geliefert. Jetzt werden Filme in einem der drei Kinosäle im Cinenova digital projiziert und nicht mehr von einer 35-Millimeter-Filmrolle. Alle manuellen Vorgänge werden durch die digitale Technik überflüssig, und dafür ist Hauschke dankbar. Der Abschied von der alten Filmrolle fällt ihm nicht besonders schwer.
Seine Kollegin Nicole Wegner sieht das anders. Die Filmvorführerin und angehende Regisseurin liebt es geradezu, die alten Maschinen zu bedienen. "Das ist toll, wenn man den Projektor anmacht", sagt sie. "Dann fängt er an zu rattern, die Lampe geht an. Es ist wunderschön. Jetzt mit der digitalen Technik macht mein Job nicht mehr so viel Spaß."
Bei der digitalen Projektion wird der Film auf einer Festplatte oder als Datei über einen Server geliefert, mit dem der Projektor verbunden ist. Viel muss Hauschke dann nicht machen: "Man muss nur auf den Play-Knopf drücken und fertig. Alles verläuft dann automatisch: angefangen von Vorhang auf, Licht aus, Blende auf, der Film startet und am Ende geht alles automatisch den Rückweg." Das ständige Auf- und Abziehen, Schneiden und Auseinandernehmen der Filmrollen mache dreckige Finger, sagt Hauschke. Darauf habe er jetzt keine Lust mehr.
Nicole Wegner lässt das nicht gelten. Schließlich sei Filmvorführer ein handwerklicher Beruf - und in jedem Handwerk mache man sich die Hände dreckig. Aber auch sie sieht Vorteile bei der neuen Technik: "Meinen letzten Film hätte ich nicht machen können, wenn ich ihn analog gedreht hätte. Ich hatte 80 Stunden Rohmaterial - und das zu entwickeln, wäre finanziell für mich nicht möglich gewesen."
"Wollen wir das perfekte Bild?"
Die Testphase mit dem digitalen Projektor im Cinenova ist reibungslos verlaufen. "Es war ganz toll, als ich das erste Mal die neue Technik ausprobieren durfte", sagt Hauschke. An diesem Abend wird zum ersten Mal ein Film vor Publikum digital projiziert. Hauschke ist gelassen. Er ist überzeugt von der Qualität der digitalen Projektion: "Das Bild ist schärfer als von der 35-Millimeter-Rolle. Und ich kann den Film mehrmals zeigen, ohne dass er abgenutzt wird. Die Filmrolle bekommt nach mehrfacher Vorführung Streifen und wird milchiger." Aber Wegner fragt sich, ob das den Zuschauer wirklich stört: "Wollen wir das perfekte Bild? Also mir gefällt das atmende Bild, das Unperfekte darin, wenn der Film stolpert, weil da eine Klebestelle ist."
Die Stunde Null der Rolle
Ob Hannibal Goodwin daran gedacht hat, dass die Nutzer seiner Erfindung schmutzige Finger bekommen können? Vor 125 Jahren, am 2. Mai 1887, meldete der US-amerikanische Geistliche die Zelluloidrolle zum Patent an. Eine technische Revolution, denn zuvor ließen sich Bilder nur auf Glasscheiben mit lichtempfindlicher Beschichtung festhalten. Durch die Zelluloidrolle wurde der Film praktisch endlos, man konnte beliebig viele Bilder aneinanderreihen. 24 Einzelbilder pro Sekunde nehmen wir als flüssige Abfolge wahr.
Aber erst dem Unternehmer George Eastman gelang es, die Zelluloidfilmrolle erfolgreich zu vermarkten. Der Kodak-Gründer machte die Kamera mit Rollfilm auf Zelluloidbasis für jedermann zugänglich. 1888 brachte er mit der "Kodak Nr. 1" eine kompakte und leicht zu bedienende Fotokamera auf den Markt.
Zelluloid erwies sich jedoch als hochexplosiv. Seit den 1950er Jahren wird es daher nicht mehr verwendet. Seitdem hat sich der so genannte Sicherheitsfilm auf Polyesterbasis etabliert.
Die Filmrolle – ein museumsreifer Streifen
Die Insolvenz von Kodak Anfang des Jahres bereitete das Ende der Filmrolle. Zwar wird immer noch auf 35-Millimeter-Streifen gedreht, doch schon seit Jahren ist die Post-Produktion fast immer digital. Bei großen Produktionen wie "Avatar" oder "Der Hobbit" kommt nur noch digitale Aufnahmetechnik zum Einsatz.
Vor allem die Verleiher profitieren von der Digitalisierung des Filmes. Sie sparen die hohen Kosten für das Kopieren und den Transport der bis 25 Kilogramm schweren Filmrollen. Dagegen müssen die Kinos die Kosten für die technische Umstellung zum größten Teil alleine tragen - eine digitale Projektoreinheit kostet zwischen 60.000 und 80.000 Euro.
Doch die kleinen Programmkinos haben keine Alternative. Bald hat die herkömmliche Filmrolle ausgedient. Filmvorführer werden dann weitgehend überflüssig. Hauschke wird bald nur noch 20 Stunden in der Woche im Kino arbeiten und möchte in einem anderen Berufsfeld Fuß fassen. Wegner will weiter Filme machen und vorführen – bevorzugt analog.