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Von Normalität weit entfernt

Peter Philipp13. November 2003

Zwei Jahre nach ihrem Sturz sind die Taliban in Afghanistan wieder auf dem Vormarsch. Weite Teile im Südosten des Landes sind inzwischen wieder in ihrer Gewalt. Ein Kommentar von Peter Philipp.

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Zum Jahrestag gab es düstere Warnungen. Von einem, der in der Vergangenheit gezeigt hat, dass er es bei Warnungen nicht belässt: Gulbuddin Hekmatyar, Führer der afghanischen "Hisb-e-Islami" ("Islamische Partei"), bezeichnete es als "großen Fehler" der Europäer, den USA in Afghanistan zu helfen und das Einsatzgebiet der internationalen Truppe ("ISAF") dort auszuweiten. Und Hekmatyar warnte, dieser Versuch werde "dem Untergang geweiht" sein.

Europäer, Amerikaner und die Regierung Karzai hätten sich sicher nettere Glückwünsche vorstellen können zum zweiten Jahrestag der Befreiung von Kabul. Aber sie wissen selbst auch nur zu gut, dass dieses Datum immer noch nicht das Zeug zum Freudenfest hat. Zwei Jahre, nachdem die Taliban sich vor den nahenden Milizen der damaligen "Nordallianz" aus Kabul schlichen - zum Glück für alle Betroffenen kam es dabei kaum zu Kämpfen - sind die radikalen "Koranschüler" dabei, sich wieder Stützpunkte im Land zu erobern.

Auch die Anhänger von Hekmatyar mischen wieder mit. Ihr Anführer war hauptverantwortlich für die blutigen Kämpfe vor dem Taliban-Sieg. Seine Rückkehr aus dem iranischen Exil versprach nichts Gutes: Hekmatyar hat mit den Taliban nichts gemein außer dem Hass auf die Amerikaner und die von diesen gestützte Regierung Karzai.

Dass man in Afghanistan weit entfernt ist von dem, was man anderenorts "Normalität" nennen würde, das musste kürzlich auch der deutsche UN-Botschafter, Gunter Pleuger, einräumen, der mit den Kollegen des Sicherheitsrates nach Afghanistan gereist war. Die Sicherheitslage in weiten Teilen des Landes sei unzureichend; Afghanistan sei wieder zum Spielfeld der verschiedensten Lokalherrscher und "warlords" geworden, so das Urteil des Diplomaten.

Dieser Zustand - und nicht die erhoffte Ruhe und Demokratisierung des Landes - war allzu lange "Normalität" in Afghanistan, er war aber auch immer das Haupthindernis auf dem Weg in ein besseres Gesellschaftssystem. Und auch die ambitioniertesten Projekte - wie etwa der Entwurf einer neuen Verfassung und die Vorbereitung von Wahlen - werden die Nachteile dieses traditionellen Missstandes in Afghanistan kaum aufwiegen können.

Ein Grund hierfür ist, dass die Zentralregierung - wie auch schon früher - kaum Macht über Kabul hinaus hat und dass sie sich auf die Unterstützung auch zweifelhafter Regionalherrscher verlassen muss. Gulbuddin Hekmatyar sprach es ganz offen aus: Mit der Regierung werde er nicht reden - die habe ja keine Macht. Ein zweiter Grund freilich liegt zwar nicht in Afghanistan, er ist aber auch nicht zu unterschätzen: Je weniger es den USA gelingt, im Irak Fortschritte zu erzielen, desto mehr Auftrieb erhalten auch ihre Gegner in Afghanistan.