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Die Volkskammer beschließt das Ende der DDR

Matthias von Hellfeld23. August 2015

In einer dramatischen Nachtsitzung vom 22. auf den 23. August 1990 beschließen die Abgeordneten der Volkskammer den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland - nach Artikel 23 des westdeutschen Grundgesetzes.

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DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière (Foto: dpa)
DDR-Ministerpräsident Lothar de MaizièreBild: picture-alliance/dpa/T. Wattenberg

Jener Artikel des westdeutschen Grundgesetzes legte in seiner damals gültigen Fassung fest, dass die Verfassung für die westdeutschen Bundesländer gelte: "In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen." Mit dem Beitritt nach Artikel 23 wird in dieser Nacht auch verhindert, dass es eine neue gesamtdeutsche Verfassung geben muss.

Heftige Debatten

In den Wochen zuvor verging kaum eine Volkskammer-Sitzung, in der nicht das Thema sofortiger Beitritt zur Bundesrepublik debattiert wurde. Für Ministerpräsident Lothar de Maizière ist an diesem Tag der Moment gekommen, die Initiative zu ergreifen. "Nach einer regulären Sitzung am Nachmittag des 22. August" - wie er sich heute noch erinnert - beantragt er, "noch heute eine Sondersitzung durchzuführen mit dem einzigen Tagesordnungspunkt: Festlegung des Zeitpunktes der deutschen Einheit."

Aber nicht alle Abgeordneten sind mit dem Vorgehen des Ministerpräsidenten einverstanden. Wolfgang Ullmann, Abgeordnetes von Bündnis 90, bestürmt Lothar de Maizière, von seinem Vorhaben abzulassen. Falls nicht, wolle er ihn umgehend beim Generalstaatsanwalt der DDR wegen Hochverrates anzeigen. De Maizière erinnert sich an diese Szene: "'Denn man tau', habe ich gesagt, das wird spannend werden." Dann eröffnet der spätere Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner, die Sitzung.

Bei einer Sitzung des Zentralen Runden Tisches der Parteien und Bürgerbewegungen der DDR im Berliner Schloss Niederschönhausen im Januar 1990. Die Mitbegründer der DDR-Bürgerrechtsbewegung "Demokratie jetzt", Wolfgang Ullmann und Konrad Weiß (l.) (Foto: dpa)
Mitbegründer der DDR-Bürgerrechtsbewegung "Demokratie jetzt", Konrad Weiß (l.) und Wolfgang UllmannBild: picture-alliance/ ZB

Suche nach dem richtigen Datum

Sofort beginnen heftige Diskussionen, da Lothar de Maizière zwar den Antrag zum Beitritt gestellt, aber kein Datum genannt hat. Er hatte den Fraktionen vorher den 7. Oktober vorgeschlagen. An diesem 41. Jahrestag der DDR-Gründung sollte während einer Sondersitzung der Volkskammer der Beitritt zum 14. Oktober 1990 beschlossen werden. "Am 14. Oktober sollten die ersten freien Landtagswahlen sein und meine Idee war, wir geben die Macht beim Souverän wieder ab, und der wählt sich neue Parlamente", erinnert sich der damalige Ministerpräsident heute.

Aber schnell stellt sich heraus, dass dieser Termin keine Mehrheit finden würde, denn außer der SED-Nachfolgepartei PDS (Partei des Demokratischen Sozialismus) will niemand den 41. Jahrestag der Gründung der DDR eine Woche vorher am 7. Oktober erleben. Nach einer langen Debatte kommt der entscheidende Vorschlag von Wolfgang Thierse, der für die SPD in der Volkskammer sitzt. Er bringt einen Termin im Anschluss an die 2-plus-4-Verhandlungen ins Spiel.

Porträt des SPD-Politikers Wolfgang Thierse (Foto: dpa)
Wolfgang Thierse (SPD) Mitglied der DDR-Volkskammer und des Deutschen Bundestags seit 1990Bild: picture-alliance/ ZB

Bedingungen

Denn, so Thierse, mit diesen Gesprächen seien alle außenpolitischen Aspekte der Deutschen Einheit geklärt. Die Gesprächsrunden der beiden deutschen Außenminister Markus Meckel und Hans-Dietrich Genscher mit ihren vier Amtskollegen der alliierten Siegermächte des Zweiten Weltkriegs liefen seit April und sollten am 12. September in Moskau abgeschlossen werden.

Die beiden deutschen Außenminister Markus Meckel (SPD, l.) aus der DDR und Hans-Dietrich Genscher (FDP) aus der Bundesrepublik Deutschland (Foto: dpa)
An den 2-plus-4-Verhandlungen beteiligt: DDR-Außenminister Markus Meckel (SPD, l.) und Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP)Bild: picture alliance/ dpa

Innenpolitisch muss vorher vor allem das Ländereinführungsgesetz, mit dem die ehemaligen ostdeutschen Bundesländer wieder hergestellt werden sollten, beschlossen und der deutsch-deutsche Einigungsvertrag unterzeichnet werden. Wolfgang Thierse beantragt, den 13. September 1990 zum Beitrittstermin zu erklären.

Aber auch dieser Termin findet keine Zustimmung, denn, so Lothar de Maizière: "Es war klar, dass am 12. September der 2-plus-4- Vertrag wohl unterzeichnet, aber nicht ratifiziert sein würde." Schließlich wird der 3. Oktober 1990 gefunden. Die Alliierten hatten angekündigt, auf einer Außenministerkonferenz am 1. Oktober 1990 in New York von ihren Besatzungsrechten in Deutschland zurückzutreten. Da die beiden deutschen Außenminister an den Beratungen teilnehmen sollten, konnten sie - wegen der Zeitverschiebung - erst am 3. Oktober wieder in Deutschland sein. "Auf diese Weise ist der 3. Oktober entstanden", erinnert sich Lothar de Maizière.

Besonderer Tag

Für Lothar de Maizière ist der 3. Oktober ein ganz besonderer Tag. Der damals 50-Jährige hatte die erste Hälfte seines Lebens in der DDR verbracht und war in diesen Jahren vom sozialistischen Staatswesen geprägt worden. "Unabhängig davon, ob man das System verneint oder ablehnt hat, habe ich doch eine eigene Loyalität entwickelt." Deshalb ist für ihn und für viele DDR-Bürger "dieser Neuanfang nicht leicht". Aber allen Politikern, die in der Volkskammer den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik organisiert haben, ist nach der entscheidenden Abstimmung in der Nacht des 22. auf den 23. August 1990 klar, dass "ihr Hauptauftrag lautete, sich selbst abzuschaffen", so de Maizière.

Porträtfoto von Sabine Bergmann-Pohl, Volkskammer-Präsidentin, und ihr Stellvertreter Reinhard Höppner (Foto: dpa)
Mission erfüllt: Die Volkskammer-Präsidenten Sabiner Bergmann-Pohl und ihr Stellvertreter Reinhard Höppner (rechts oben)Bild: picture alliance/ dpa