Vor 50 Jahren: Große Solidarität mit Biafra
Der Biafra-Krieg im Osten Nigerias erschütterte vor 50 Jahren die Weltgemeinschaft. International forderten Prominente das Ende des Krieges - auch deutsche Persönlichkeiten. Doch woher kam diese Solidaritätswelle?
50 Jahre Biafra - das Echo der Unabhängigkeit
Zweieinhalb Jahre, mehr als zwei Millionen Menschenleben: Am 15. Januar 1970 endete in Nigeria ein Bürgerkrieg, der die Weltöffentlichkeit erschütterte, gekämpft mit der Waffe des Hungers. Ein halbes Jahrhundert später werden die Rufe nach einem unabhängigen Biafra erneut immer lauter. Damals sprachen sich auch viele Deutsche gegen den Biafra-Krieg aus. Ein Rückblick nach 50 Jahren.
Krieg zulasten der Schwächsten
Angehörige der Igbo, einer vorwiegend christlichen Bevölkerungsgruppe Nigerias, hatten am 30. Mai 1967 die unabhängige Republik Biafra ausgerufen. Die fast 14 Millionen Bewohner der Region feierten die Gründung, doch ein Jahr später tobte der erste Krieg seit der Entkolonialisierung in Afrika. Der Name Biafra wurde zum Synonym für Elend, Hunger, Verzweiflung und Massensterben.
Einschneidender Verlust
Als nigerianische Truppen im Mai 1968 die Hafenstadt Port Harcourt eroberten, verlor der Separatstaat Biafra seinen einzigen Zugang zum Meer. Fortan mussten die Eingeschlossenen aus der Luft versorgt werden - ein klarer Sieg für das nigerianische Bundesheer. Mit einer Stärke von 40.000 Mann waren die Aufständischen unter Führung des Generals Ojukwu weit unterlegen und schlecht ausgebildet.
Die "Biafra-Babys"
Die nigerianischen Truppen begannen einen Belagerungskrieg, in dem sie versuchten, die Separatisten auszuhungern. Die "Biafra-Babys" waren bald in der ganzen Welt bekannt, eine beispiellose Solidaritätsbewegung setzte ein, die humanitäre Katastrophe bewegte Menschen auf der ganzen Welt. Die Zahl der an Hunger sterbenden Kinder und alten Menschen erreichte im Sommer 1968 bis zu 10.000 am Tag.
Demonstration für ein Volk in Not
Der Krieg um Biafra mobilisierte Menschen in Deutschland, wie es kein anderes afrikanisches Ereignis jemals zuvor vermocht hatte. Im August 1968 starteten biafranische und deutsche Studenten von Frankfurt aus einen fünftägigen Fußmarsch nach Bonn. Sie forderten die diplomatische Anerkennung Biafras als souveräner Staat. Die Fahne mit der aufgehenden Sonne war Biafras Nationalflagge.
Prominente Unterstützung
"Als Deutsche sollten wir wissen, was wir sagen, wenn wir das Wort Völkermord aussprechen,… denn Schweigen wird zur Mitschuld." Schriftsteller Günter Grass war der wohl prominenteste Redner auf einer Kundgebung gegen den Krieg in Biafra im Oktober 1968 in Hamburg. Das Thema traf in Deutschland einen Nerv: In den 1960er-Jahren begann dort Vergangenheitsbewältigung nach dem Zweiten Weltkrieg.
"Hungern nach Gerechtigkeit"
In Deutschland engagierten sich Bischöfe, Parlamentarier und Bürgerinitiativen - auch der Evangelische Kirchentag 1969 setzte sich mit Biafra auseinander. Gesammelt wurden Geld und Hilfsgüter, die ins belagerte Biafra geflogen wurden. Der ehemalige deutsche Luftwaffenpilot Friedrich Herz bildete zunächst in Biafra Kampfpiloten aus, bevor er selbst Einsätze gegen die nigerianische Armee flog.
Geburtsstunde der GfbV
In Hamburg riefen die Studenten Klaus Guerke und Tilman Zülch (Bild) das "Komitee Aktion Biafra-Hilfe" ins Leben. Unterstützung erhielten sie von so unterschiedlichen Personen wie dem Berliner Bürgermeister Heinrich Albertz, den Schriftstellern Günter Grass und Luise Rinser, oder dem Münsteraner Bischof Heinrich Tenhumberg. Später ging daraus die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hervor.
Ein Krieg abseits aller Denkmuster
Der Historiker Golo Mann lobte die Biafra-Hilfe, die unter Kommilitonen nicht immer nur auf Verständnis gestoßen sein dürfte: "Ein Krieg, in dem englische 'Imperialisten' und russische 'Kommunisten' am gleichen Tau des Verbrechens ziehen, eine ehemalige Kolonie um die angebliche Einheit ihres Staates kämpft, gegen einen Stamm, der nicht einmal 'sozialistisch' ist, ... da schadet alle Theorie."
"Biafra - Millionen sterben"
In London marschierten Demonstranten von der damaligen sowjetischen Botschaft zum Sitz des Premierministers in 10 Downing Street. Sie protestierten dagegen, dass sowohl die Sowjetunion als auch Großbritannien Nigerias Krieg gegen Biafra mit Waffenlieferungen unterstützten. Auch der britische Labour-Parteipolitiker Michael Barnes sprach auf einer vom "Biafra-Komitee" organisierten Kundgebung.
"A wie Auschwitz - B wie Biafra"
Viele engagierte Menschenrechtler waren fassungslos über das ausbleibende internationale Engagement. In Zeitungsanzeigen, auf Plakaten mit Slogans wie "A wie Auschwitz - B wie Biafra" oder in scharf formulierten Appellen entluden sie ihren Frust. Bekannte Deutsche wie Erich Kästner (Bild), Ernst Bloch, Paul Celan, Marcel Reich-Ranicki oder Martin Walser als Unterzeichner gaben dem Gewicht.
Anstoß zur Ärztehilfe
Der französische Arzt Bernard Kouchner reiste 1968 nach Biafra, wo er als Teil des Internationalen Roten Kreuzes (IRK) versuchte, der notleidenden Bevölkerung medizinische Hilfe zu leisten. Kouchner kritisierte die Haltung des IRK, sich nicht in die Politik der Kriegsparteien einzumischen. Er legte mit den Grundstein für die international tätige Nichtregierungsorganisation "Ärzte ohne Grenzen".
Die Rufe sind nicht verstummt
Spenden aus aller Welt hatten Biafra am Leben erhalten. Hilfsorganisationen der Kirchen und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz schickten 7350 Flugzeugladungen mit 81.300 Tonnen Lebensmitteln und Medikamenten in den Buschkessel. Trotzdem musste Biafra am 15. Januar 1970 vor Nigeria kapitulieren. Doch die Rufe nach einem unabhängigen Biafra sind bis heute nicht verstummt.