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Vor dem Schengen-Beitritt: Europas neue Grenzen im Osten

18. Oktober 2007

Am 21. Dezember treten neun neue EU-Mitglieder dem Schengen-Raum bei. Mit EU-Hilfe werden Grenzübergänge nach Osten gebaut. Doch in Ländern wie der Ukraine oder im russischen Kaliningrad gibt es dazu auch Sorgen.

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Bild: dpa

Seit die baltischen Staaten und Polen 2004 EU-Mitglieder geworden sind, ist das russische Gebiet Kaliningrad in einer einmaligen geopolitischen Lage. Abgetrennt vom Mutterland Russland, im Süden begrenzt von Polen, im Osten liegt Litauen, im Westen die Ostsee. In der russischen Exklave leben rund eine Million Menschen. Früher zählte das Gebiet um das ehemals ostpreußische Königsberg zu den ärmsten Regionen Russlands, heute wächst die Wirtschaft um rund zehn Prozent pro Jahr, eine der größten Wachstumsraten in ganz Europa.

Ein ständiger Zankapfel zwischen der Europäischen Union, Kaliningrad und Russland ist die Ausstellung von Reisevisa für die Kaliningrader Bürger. Bei einer internationalen Konferenz der EU und Russlands in Kaliningrad forderte der Gouverneur der Region, Gregorij Boos, visafreien und kostenlosen Reiseverkehr. Aber im Dezember treten Polen und die baltischen Staaten dem sogenannten Schengen-Abkommen der EU bei. Dann brauchen die Kaliningrader ein so genanntes Schengen-Visum. Damit können sie zwar in der ganzen EU umherreisen, aber die Antragstellung wird langwieriger.

Warteschlangen an den Grenzen

Mehrmals pro Woche fährt Jewgenij Romatschow als Berufskraftfahrer von Kaliningrad aus nach Polen oder Litauen. Er hat ständig mit der Visavergabe und den schleppenden Grenzkontrollen zu tun. Während er ein Dauervisum und gewisse Vorrechte hat, verzweifeln normale Touristen an der Grenze. Für sie haben die EU und Russland seit dem Sommer ein 35 Euro teures Visum vereinbart. "Meine Familie ist früher zum Einkaufen nach Polen oder in die Ferien nach Litauen gefahren. Jetzt müssen meine Frau und mein Sohn Einladungen vorweisen. Als Berufskraftfahrer kann ich über die Grenze, ohne in der Schlage zu stehen. Freunde oder Verwandte müssen die Zöllner direkt bezahlen, wenn sie nicht stundenlang warten wollen", sagte Romatschow. Gegen ein saftiges Trinkgeld, man könnte es auch Bestechung nennen, darf man in der Schlange vorrücken.

Mit Finanzhilfen der EU bauen Russland, Litauen und Polen inzwischen neue Grenzübergänge. Zurzeit dauere die Abfertigung eine Ewigkeit, beklagt Gregorij Dychanow. Er ist Unternehmensberater in Kaliningrad: "Das Problem mit der russischen Seite ist, dass dauernd Bestimmungen ohne Ankündigung geändert werden. Die Geschäftsleute werden dann plötzlich mit neuen Gesetzen überrascht. Auf der litauischen Seite sind das Problem nicht so sehr die Regeln, sondern die Zölle."

Diskussion um Sonderregelungen

Um das Wirtschaftswachstum in der aufstrebenden russischen Exklave nicht abzuwürgen, will sich die EU-Kommissarin für Außenbeziehungen, Benita Ferrero-Waldner, für eine Sonderregelung bei der Visa-Vergabe für Kaliningrad einsetzen. Benita Ferrero-Waldner hatte das frühere Königsberg kürzlich (12.10.) besucht. Sie betonte: "Daher muss man sich überlegen, was noch möglich ist. In den Schengen-Regeln gibt es gewisse Flexibilitäten, und die muss man ausnutzen. Nun hängt es von den Mitgliedsstaaten ab, die betroffen sind, Litauen und Polen, aber es hängt auch von den Russen ab."

Die russische Seite, die bislang jede Sonderregelung für das bis 1945 deutsche Gebiet ablehnte, hat jetzt überraschend den Kurs geändert. Nach einem Gespräch mit der EU-Kommissarin sagte der europapolitische Berater des russischen Präsidenten, Sergej Jastrschembskij: "Wir hoffen, dass wir sehr bald Verhandlungen mit unseren Nachbarn Litauen und Polen beginnen können. Das Ziel sind Abkommen für den kleinen Grenzverkehr." In einer Zone von 50 Kilometern beiderseits der Grenzen könnte quasi visafreier Reiseverkehr vereinbart werden. Auch die Visagebühr könnte wegfallen. Dem müssen aber Litauen und Polen zustimmen, die kein sonderlich gutes Verhältnis zu Russland haben.

Erfolge und Probleme

Die EU fördert mit 132 Millionen Euro in den nächsten sieben Jahren zahlreichende grenzüberschreitende Projekte in der Region und in Kaliningrad selbst. Die praktische Arbeit vor Ort funktioniere, so Sergej Jastrschembskij, auch wenn die Beziehungen auf höchster Ebene zwischen Polen und Russland beispielsweise eher gestört sind: "Aber das heißt nicht, dass wir mit der EU in einer Krise stecken. Überhaupt nicht! Denn die Zusammenarbeit in der Wirtschaft, in der Forschung und bei der Erleichterung des Grenzverkehrs wird immer besser und besser und besser! Das ist ein gewisses Paradox: Auf der einen Seite haben wir echte Erfolge. Auf der anderen Seite gibt es noch einige politische Probleme. Aber so ist halt das Leben."

Die Menschen in Kaliningrad hoffen auf baldige Fortschritte in der Visafrage. Das, so Natalia Chaljuk vom EU-Büro in Kaliningrad, sei das wichtigste Problem im Alltag, neben den verstopften Straßen und den bröckelnden Fassaden der Plattenbauten aus Sowjetzeiten.

Bernd Riegert
DW-RADIO, 14.10.2007, Fokus Ost-Südost