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Nervosität und Angst

Florian Bauer
25. September 2018

Darf Deutschland oder die Türkei die Fußball-Europameisterschaft 2024 ausrichten? Die Entscheidung der UEFA-Exekutive am Donnerstag ist für beide elementar. Ein Blick hinter die Kulissen des Duells.

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Schweiz UEFA Zentrale in Nyon
Bild: Reuters/D. Balibouse

Wenn eine Pressemitteilung sprechen könnte, dann hätte jene am vergangenen Freitag Mittag ein lautes "Uff" hervorgestoßen, sogar hervorgeprustet, laut rausgeschrien: "Uff, es könnte doch noch alles gutgehen." So in etwa muss man die Pressemitteilung des Deutschen Fußball-Bunds vom letzten Freitag 12.45 Uhr lesen - keine Stunde nach der Veröffentlichung des Evaluationsberichts des Europäischen Fußballverbands UEFA, in dem beide Bewerber um die Austragung der EURO 2024 beurteilt wurden.

Die Quintessenz des Berichts: Deutschland ist die leicht bessere Wahl. Die Quintessenz der DFB: Deutschland ist die eindeutig bessere Wahl. "Der Bericht zeigt, dass wir unsere Arbeit in den vergangenen Monaten ernstgenommen haben und die UEFA unsere Stärken honoriert", wird der EM 2024-Botschafter und bei einem Sieg auch zukünftige Chef des Organisationskomitees, Philipp Lahm, zitiert. Man wolle bis Donnerstag die "Transparenz und Nachhaltigkeit" der Bewerbung hervorheben.

So weit so gut. An diesem Donnerstag entscheiden voraussichtlich 17 Personen des UEFA-Exekutivkomitees, so etwas wie der Vorstand des europäischen Fußballs, darüber, wer die Fußball-EM im Jahre 2024 austragen soll: Deutschland oder die Türkei.

Bewerbung des kleinen Geldbeutels

Russland Fußball WM 2018 Philipp Lahm
EM-Botschafter Philipp LahmBild: picture-alliance/dpa/F. Gambarini

Die Bewerbung ist das wichtigste Sportversprechen der Bundesrepublik Deutschland seit Jahren. Die EM soll den deutschen Fußball nach dem 27. September als Leitstrahl in die Zukunft führen, für neue Impulse, neue Investitionen und ein neues Fußballgefühl in Deutschland sorgen. Es wäre erst die zweite Austragung einer Männer-Fußball-Europameisterschaft in Deutschland nach 1988.

Und der Deutsche Fußball-Bund bewirbt sich in der Tat mit einer Bewerbung des kleinen Geldbeutels: Alle Stadien sind schon vorhanden, die Infrastruktur rundherum ebenso, Kein großes Bohei um die Bewerbung, zumindest nicht öffentlich.

Aber auch in der Türkei sind fast alle Stadien fertig, nur das in Ankara muss noch gebaut, zwei weitere der zehn vorgesehenen müssen umgebaut werden. Außerdem bietet die Türkei die allesamt staatseigenen Stadien dem Ausrichter UEFA kostenfrei an, in Deutschland müsste der Europäische Fußballverband für die Stadien Miete bezahlen, die Preise seien aber "angemessen", heißt es im Evaluationsbericht. Und natürlich steckt hinter der Bewerbung des Türkischen Fußballverbandes der allmächtige Staatspräsident, Recep Tayyip Erdogan.

Was lässt sich Erdogan noch einfallen?

Schon dreimal hat sich die Türkei um eine Fußball-Europameisterschaft beworben, 2008 zusammen mit Griechenland, 2012 und 2016 alleine, dann für 2020 zurückgezogen, als klar wurde, dass es die erste paneuropäische EM in mehreren Ländern geben würde. Die Bewerbung um die EURO 2024 hat für die Türkei, hat für Erdogan absolute Priorität.

Türkei Erdogan spielt bei der Eröffnung des Fatih Terim-Stadions 2014
In der Türkei ist die EM-Bewerbung Chefsache von Präsident Erdogan (r.) Bild: picture alliance/AA/K. Ozer

Und genau diese Unterstützung durch Erdogan bereitet vielen beim DFB Sorge. Hinter vorgehaltener Hand heißt es: Wer weiß schon, was der Staatspräsident Erdogan sich noch alles einfallen lässt in den letzten Tagen bis zur Entscheidung? Gerüchte sagen, er träfe sich mit Staatsoberhäuptern der Länder, die Mitglieder im UEFA-Exekutivkomitee haben, um sie zu überzeugen, dass sie wiederum ihre ExKos überzeugen, für die Türkei zu stimmen.

Bei der UEFA sagen manche hinter den Kulissen, die Türkei sei nun endlich mal dran. Und damit sind wir beim Stichwort: hinter den Kulissen.

Die im Evaluationsbericht der UEFA und in der Pressemitteilung des DFB so lieblich anmutende Konkurrenz zweier Bewerber um die Ausrichtung eines Sportgroßereignisses ist in den vergangenen Wochen mehr als intensiv geführt worden. Nervös. Ängstlich. Aggressiv. Türken und Deutsche haben Angst, das sportlich größte Projekt ihres Landes in den nächsten Jahren nicht zu bekommen. Also wird geworben und umworben, gereist und vertrauliches Papier verarbeitet. 

Grindel will Strategiepapier nicht kennen

Deutschland Reinhard Grindel, DFB-Präsident
DFB-Chef GrindelBild: picture-alliance/dpa/A. Arnold

Wenn man DFB-Präsident Reinhard Grindel heute fragt, was die deutsche Bewerbung denn zu bieten hat, dann sagt er: "Eine ökonomisch sparsame und ökologisch schonende EURO mitten in Europa." Es müsste kaum etwas baulich verändert werden in den zehn Städten von Berlin bis München, Dortmund bis Köln und Hamburg bis Stuttgart. Und dann sagt er noch, "dass die EURO in einem Land ausgetragen werden muss, das politisch und wirtschaftlich stabil ist".

So geht das - über den Mitbewerber sprechen, ohne über den Mitbewerber zu sprechen. Das ist laut Artikel 17 des UEFA-Bewerbungsreglements nämlich verboten. Und trotzdem steht genau das als Handlungsanweisung an den DFB in einem streng vertraulichen Strategiepapier, das der Verband bei der international renommierten Kommunikationsagentur Burson-Marsteller in Auftrag gegeben hat. Darin heißt es, man solle "immer wieder sicherstellen", dass "die Schwächen der türkischen Bewerbung erwähnt werden".

Unter den Schwächen der deutschen Bewerbung listet das Dokument "kritische Medien" und den Skandal um die WM 2006 auf. Dieser Skandal und die Wahrnehmung eines nächsten gekauften Sommermärchens könnten den DFB schnell einholen. Immer noch ist unklar, wofür der DFB oder genauer Franz Beckenbauer im Jahre 2002 jene ominösen zehn Millionen Schweizer Franken nach Katar überwies.

Reinhard Grindel sagt, er kenne das Strategiepapier von Burson-Marsteller nicht und würde sich außerdem an die UEFA-Regeln halten. Ein Präsident, der die eigens vom Verband in Auftrag gegebene Strategie nicht kennen will?

Menschenrechte sollen einen Rolle spielen

Der türkische Fußballverband wiederum weiß, es darf keine Diskussion über Politik und Wirtschaft geben, über den Verfall der türkischen Währung, der Lira, über den autokratischen Präsidenten Erdogan oder über Menschenrechte - sonst wird es schwer zu gewinnen. Denn zum einen sind mehr als die Hälfte der UEFA-Exekutivkomitee-Mitglieder aus Staaten Westeuropas, die Erdogan eher kritisch gegenüberstehen. Zum anderen - so steht es in den Bewerbungsvorgaben der UEFA - sollen erstmals auch Menschenrechte ganz grundsätzlich eine Rolle bei der Vergabe spielen. Bindend aber ist diese Vorgabe für die 17 Entscheider der UEFA nicht.

Türkei Silivri Gefängnis
Das Gefängnis, in dem bis Februar der deutsche-türkische Journalist Denis Yücel festgehalten wurdeBild: Reuters/O. Orsal

Es ist ein Duell, bei dem es um viel mehr geht als um Fußball. Über 150 Journalisten sollen in der Türkei immer noch im Gefängnis sitzen, über 100.000 Menschen nach dem vermeintlichen Militär-Putschversuch 2016 entlassen worden sein. Falls die 17 Exekutivkomitee-Mitglieder an diesem Donnerstag wirklich an Politik denken sollten, dürfte die Entscheidung Deutschland oder Türkei wohl von alleine fallen. Aber von Politik will keiner sprechen.

UEFA ahndete Verstöße gegen Bewerbungsregeln nicht

Monaco, Ende August. Es ist der Saisonauftakt des europäischen Fußballs, die UEFA hat Vereinsvertreter und Verbandspräsidenten aus ganz Europa eingeladen. Europas Fußballer des Jahres werden gekürt und die Champions League ausgelost. Und natürlich ist auch ein Großteil des UEFA-Exekutivkomitees da. Es ist eine der letzten Chancen für Deutsche und Türken, die 16 Wahlmänner und die eine Wahlfrau zu überzeugen.

Spricht man mit ihnen wird klar: Es sieht gut aus für Deutschland. Keiner will so richtig begründen, warum er zu Deutschland tendiert. Nur politische und wirtschaftliche Aspekte, soviel sei klar, spielten keine Rolle. Bloß nicht das Dogma des Sports aufbrechen, Sport und Politik hätten nichts miteinander zu tun.

Also bleibt die Nervosität. Bei Deutschen und Türken. Der DFB schreibt allen Exko-Mitgliedern einen Brief und wirbt für die deutsche Bewerbung. Die Türken erfinden plötzlich eine "Turkish Football Gala Night" und laden alle ExKo-Mitglieder persönlich ein. Die Einladung verstößt gegen Artikel 24 der UEFA-Bewerbungsregeln, der untersagt, UEFA-Vertreter im Rahmen der Bewerbung in ihr Land einzuladen. Die UEFA unternimmt - nichts.

CL- Auslosung | Krönung von Luka Modric zum Europas Fußballer des Jahres in Monaco
Treffpunkt Monaco - die UEFA-Entscheider kamen Ende August zur Kür von Europas Fußballer des JahresBild: Getty Images/AFP/V. Vache

Reinhard Grindel sagt in Monaco Sätze wie: "Die Bundesregierung hat uns sehr geholfen. Wir haben so viele Staatsgarantien bekommen wie noch nie zuvor. Sicherlich auch mit Blick auf unseren Mitbewerber, der in der Tat alles zusagt, was die UEFA will, das können wir nicht." Und dann: "Aber das ist eben der Unterschied zwischen der Bundesrepublik und der Türkei." Wieder eine eigentlich verbotene Äußerung zum Mitbewerber. Die UEFA unternimmt auch hier - nichts.

Sicher ist, dass nichts sicher ist

Am Pool in Monaco fragt ein hochrangiger türkischer Vertreter fast flehentlich den Autor dieser Geschichte, was sie denn noch tun sollten. Im am Freitag veröffentlichten Evaluationsbericht der UEFA werden zwar beide Bewerbungen gelobt, die türkische aber auch abgewatscht. Die UEFA spricht mit Blick auf den Ausbau des Atatürk-Olympiastadions in Istanbul sogar von einem "Risiko". Außerdem könnten geplante Investitionen durch die Probleme der türkischen Wirtschaft "unter Druck" geraten. Und es fehle ein "Aktionsplan in Sachen Menschenrechten".

Deutschland liegt vorne, so viel scheint klar zu sein. Bindend ist der UEFA-Bericht für die 17 Entscheider des UEFA-Exekutivkomitees aber nicht.

Deutschland ist die sichere Wahl. Sicherlich. Aber ob das wirklich eine Rolle spielt bei diesem Duell - selbst beim DFB sind sie sich da nicht sicher.