Die Rolle von TikTok bei der rumänischen Präsidentenwahl
3. Dezember 2024Das Oberste Gericht Rumäniens zog die Reißleine: Die Richter annullierten die von Vorwürfen russischer Einmischung überschattete Präsidentschaftswahl vollständig. "Das Verfahren zur Wahl des Präsidenten von Rumänien wird komplett neu aufgenommen", teilte das Verfassungsgericht mit. Es habe die Entscheidung getroffen, "um die Korrektheit und Rechtmäßigkeit des Wahlprozesses sicherzustellen". Dabei habe auch die Video-App TikTok eine Rolle gespielt. Denn darüber sei der rechtsextreme und
pro-russische Präsidentschaftskandidat Calin Georgescu mit Hilfe koordinierter Konten, Empfehlungsalgorithmen und bezahlter
Werbung massiv gefördert worden.
Der bislang weithin unbekannte Georgescu gehört keiner politischen Partei an, tauchte in allen Meinungsumfragen nur unter ferner liefen auf und nahm an keiner Fernsehdebatte vor der Wahl des rumänischen Staatsoberhaupts teil. Dennoch gewann er völlig überraschend den ersten Wahlgang.
Millionen sehen ihn reiten wie Putin
Das lag vor allem an seiner Präsenz in den sozialen Medien - und hier vor allem auf TikTok. Sein Kanal hat 520.000 Follower und 5,7 Millionen Likes.
Darüber wurden Georgescus polarisierende Wahlkampf-Videos von einem Millionenpublikum gesehen. Dort kritisierte er nicht nur die etablierten Politiker - oft mit falschen Tatsachenbehauptungen -, sondern stellt sich auch als Judo-Kämpfer oder auf einem Pferd reitend dar, ganz wie sein Vorbild, Russlands Präsident Wladimir Putin.
Nach Meinung vieler Beobachter haben Social Media-Plattformen, allen voran TikTok, einen großen Anteil an Georgescus Erfolg. Denn die Video-Plattform ist gerade in Rumänien extrem populär: Von den 19 Millionen Einwohnern nutzen sie rund neun Millionen - darunter vor allem junge Menschen.
Hat TikTok Georgescu bevorzugt?
Zwar sind auch andere rumänische Spitzenpolitiker auf TikTok, aber niemand konnte darüber nur annähernd so viele Menschen erreichen wie Georgescu. Die Folge: Knapp ein Drittel der 18- bis 24-Jährigen stimmte für ihn - ungeachtet seiner kruden Thesen, wie die, dass die Mondlandung 1969 gefälscht worden sei.
Die rumänische Wahlbehörde warf TikTok daraufhin vor, Georgescu Vorteile verschafft zu haben. Sie hatte die Plattform vor der Wahl angewiesen, dass die Kandidaten sich als solche zu erkennen geben und ihre Finanzierungsquellen offenlegen. Im Fall von Georgescu habe TikTok diese Regelung nicht durchgesetzt und diesen damit gegenüber anderen Kandidaten begünstigt, bemängelt die Behörde. Rumäniens Medienaufsicht forderte deshalb die EU auf, eine Untersuchung gegen TikTok einzuleiten.
TikTok: Es gab keine Einflussnahme
TikTok selbst wies alle Vorwürfe zurück und verwies darauf, zehntausende von Scheinkonten und Millionen von Schein-Likes und -Followern entfernt zu haben. Man habe zudem keinerlei Anzeichen verdeckter Einflussnahmen aus Rumänien selbst oder aus dem Ausland entdeckt.
Der deutsche Kommunikationswissenschaftler und TikTok-Experte Marcus Bösch sieht darin einen klaren Widerspruch: "Wie kann es sein, dass man etliche Accounts und Likes entfernt hat, obwohl es doch keine Anzeichen von Einflussnahmen gegeben hat?", sagte er der DW.
"Extreme Ansichten werden normal"
Für den US-Linguisten Adam Aleksic besteht das Hauptproblem in den Algorithmen moderner sozialer Plattformen, die nicht mehr vom Prinzip der Follower bestimmt sind. Vereinfacht gesagt, bedeutet das, dass ich nicht mehr die Beiträge derjenigen sehe, denen ich folge, sondern derjenigen, die am lautesten schreien.
In einem Beitrag für das "User Mag"schreibt Aleksic: "Algorithmen verwenden Engagement als Maßstab für Viralität, und Falschinformationen führen tendenziell zu mehr Engagement. Behauptungen, dass Haitianer Haustiere essen, werden die extremen Reaktionen hervorrufen, die für Viralität erforderlich sind. Sogar Versuche, diese Unwahrheiten zu korrigieren, können paradoxerweise als zusätzliches Engagement gewertet werden."
Details, Genauigkeit und Nuancen gingen dabei unter, extreme Ansichten würden normalisiert.
TikTok ist die "App der Stunde"
Bösch zufolge ist das Hauptproblem, dass TikTok von sehr vielen Menschen genutzt wird, während starke unabhängige Medienmarken zunehmend verschwinden. Das sei allerdings nicht nur ein Problem von TikTok, sondern eines aller sozialen Plattformen.
"TikTok ist aber die 'App der Stunde', das heißt, viele Themen und Trends finden sich danach auf anderen Plattformen", so Bösch weiter. "Gesellschaften, Politikerinnen und Politiker sowie Plattformbetreiber müssen sich darüber im Klaren sein, dass es diese Bedrohungslage und Beeinflussungsversuche gibt und weiter geben wird und dementsprechend resilienter, vorbereiteter und bereit zu Gegenmaßnahmen im Kontext der strategischen Kommunikation sein."