Vorratsdatenspeicherung, Gesetz Nr. 2
16. Oktober 2015Man kann über Gesetze auf verschiedene Art reden. Der SPD-Abgeordnete Christian Flisek versuchte es im Bundestag auf die schöngeistige Art. "Die Tonlage dieses Gesetzes ist eine ruhige und keine hitzige", interpretierte er. Dabei setzt der Gesetzesentwurf aus dem Justizministerium den vorläufigen Schlusspunkt unter eine Debatte, die in den letzten zehn Jahren alles andere als wohltemperiert geführt wurde. Es geht um die Vorratsdatenspeicherung, die nach vielen Jahren des Streits in der Öffentlichkeit, im Parlament und vor den höchsten Gerichten, am Freitag (16.10.2015) im Bundestag beschlossen wurde.
"Blick in die Vergangenheit"
Das Gesetz sieht vor, dass Telekommunikationsanbieter – also alle Firmen, die Festnetzanschlüsse, Mobiltelefonnetze oder Internetzugang anbieten - alle Kommunikationsdaten zweieinhalb Monate lang speichern müssen, für den Fall, dass Polizei und Justiz darauf zugreifen möchten. Bisher bleibt es den Dienstleistern selbst überlassen, wie lange sie Daten speichern. Die Befürworter des Gesetzes glauben, die Nutzung dieser Daten könne Straftaten verhindern und bei der Aufklärung von Verbrechen helfen. "Wenn ich mit meinen ehemaligen Kollegen spreche, gibt es keine zwei Meinungen", sagte der CDU-Abgeordnete Thorsten Hoffmann, der von Beruf Kriminalpolizist ist. Alle Ermittler hielten dieses Gesetz für nötig. "Diese Daten erlauben einen Blick in die Vergangenheit. Sie erlauben eine Rekonstruktion der Tatvorgangs", pflichtete ihm seine Parteikollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker bei. Bisher entscheiden die Anbieter selbst, welche Daten sie wie lange speichern. Damit bleibt es dem Zufall überlassen, ob Daten noch vorhanden sind oder nicht, wenn Polizei und Staatsanwaltschaft bei den Anbietern anfragen.
Nach Ansicht von Internetaktivisten und den Abgeordneten der Linken und der Grünen ist das Gesetz dagegen ein zu schwerer Eingriff in die Grundrechte. "Sie rücken den Freiheitsrechten der Menschen und der Verfassung zuleibe", warnte der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz. Die Linken-Abgeordnete Halina Wawzyniak warf der Großen Koalition vor, sie stelle die Bürger unter Generalverdacht. "In einer Demokratie gehört sich das nicht", empörte sie sich.
"Eingriff in die Privatsphäre"
Die Anbieter müssen künftig zehn Wochen lang speichern, wer wann mit wem gesprochen hat, von wann bis wann und von welchem Standort aus jemand im Internet war. Inhalte von Gesprächen, Emails oder besuchten Internetseiten werden dagegen nicht gespeichert. Vier Wochen lang gespeichert wird außerdem, wann ein Mobiltelefon in welcher Funkzelle angemeldet war. Damit, so kritisieren Datenschützer, könnten lückenlose Bewegungsprofile jedes Bürgers angelegt werden. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International spricht von einem "menschenrechtswidrigen Eingriff in das Recht auf Privatsphäre".
Justizminister Heiko Maas (SPD) verteidigte das Gesetz. Der Eingriff in die Grundrechte sei "nicht nur zulässig, sondern auch verhältnismäßig". Das Gesetz sehe strenge Beschränkungen für die Nutzung dieser Daten vor. "Deutsche Daten sind ausreichend und gut geschützt", bekräftigte er. Das Gesetz genüge allen "höchstrichterlichen Vorgaben". Das Bundesverfassungsgericht hatte 2010 einen Vorgänger des Gesetzes gekippt. Der Europäische Gerichtshof setzte 2014 eine EU-Richtline zur Vorratsdatenspeicherung außer Kraft. Maas selbst hatte sich lange gegen die Vorratsdatenspeicherung gesträubt, schließlich aber dem Kompromiss in der Koalition zugestimmt. Dafür musste er sich auch persönliche Kritik anhören. Die Grünen-Politikerin Renate Künast verglich ihn mit einem "Vögelchen, das statt das Lied der Grundrechte zu singen vom Ast gefallen ist."
Dass in der Debatte jetzt tatsächlich eine ruhigere und weniger hitzige Tonlage einkehren wird, ist jedenfalls nicht zu erwarten. Die Opposition kündigte an, erneut vor dem Verfassungsgericht zu klagen.