Lebensaufgabe Völkerverständigung
29. Mai 2013Deutsche Welle: Frau Zacharaki, wie haben Sie den Brandanschlag hier in Solingen vor 20 Jahren erlebt?
Ionna Zacharaki: Das war für mich und alle, die ich kannte, ein Schock. Aber als sich der Schockzustand legte, wurde uns klar, dass es im Bereich Völkerverständigung viel zu tun gab. Die Stadt war zwar vorher schon aktiv, aber danach wurden die Maßnahmen intensiver und zielgerichteter. Wir haben nun ein gut funktionierendes Netzwerk. Und wir arbeiten daran, damit der Umgang mit der Vielfalt der Menschen Normalität wird und man das Fremde als normal akzeptiert.
Bedeutet das, Migranten sind hier noch längst nicht in der Gesellschaft integriert?
Ja, das betrifft doch ganz Deutschland. Ich glaube, die Anschläge am 11. September 2001, gesellschaftliche Entwicklungen und die Finanzkrise haben dazu beigetragen, Vorurteile zu bestätigen und dass Unsicherheiten und Ängste da sind. Ich habe das Gefühl, gerade jetzt müssen wir noch mehr zur Völkerverständigung tun, weil ich eine Zunahme an extremen Haltungen beobachte. Auch hier in Solingen gab es wieder Demonstrationen der rechtsextremen Szene auf der einen und von Salafisten auf der anderen Seite. Das zeigt, dass solche Gruppen aktiv sind, und die Mehrheitsgesellschaft muss wachsam sein, denn es geht um den Erhalt der Demokratie. Wir möchten Kosmopoliten werden, aber das ist ein langer Weg.
Sind es Solinger, die hier fremdenfeindliche Demonstrationen initiieren oder kommen die Extremisten von außerhalb in diese gebrandmarkte Stadt?
Es sind externe Akteure, die den Standort Solingen auf Grund des Brandanschlags als Ort für fremdenfeindliche Aktionen nutzen. Wir kämpfen dagegen mit Bündnissen wie "Bunt statt braun".
Wo setzen Sie denn an, um gegen Ausländerhass vorzugehen?
Das ist schwierig. Wenn man Milieustudien betrachtet, ist solches Gedankengut nicht nur in den sozial schwachen Schichten vorhanden. Sorgen machen uns auch die Bildungsschichten, die solche etxremen Gruppierungen unterstützen. Gerade jetzt, beim NSU-Prozess, muss man die Frage stellen, ob nicht auch viele Akteure in den Behörden auf dem rechten Auge blind sind. Die Vorfälle sind doch ein Skandal für Deutschland!
Wie sicher fühlen Sie sich selbst, als Deutsche mit griechischen Wurzeln, einem griechischen Namen und einem Akzent, die sich noch dazu politisch für die Belange von Migranten einsetzt?
Ich glaube, keiner ist sicher. Aber wir müssen uns aktiv für Völkerverständigung stark machen. Über meinen Arbeitgeber, das Diakonische Werk, leite ich das Projekt "Werteerziehung für ein respektvolles Miteinander", das wir in den sechsten und siebten Schulklassen umsetzen (also mit etwa zwölf- bis dreizehnjährigen Kindern, Anm. d. Red.).
Wir lernen, mit Schülern, Lehrern und Eltern zu kommunizieren, Vertrauen aufzubauen, soziales Engagement und Konflikte gewaltfrei zu lösen. Es muss zu einer Bewusstseinsveränderung kommen. Übrigens haben nicht nur Deutsche Vorurteile, sondern auch innerhalb der Migrantengruppen gibt es großen Bedarf, Verständnis für andere zu zeigen und sich für Begegnungen mit anderen zu öffnen. Es gibt diesbezüglich noch viel zu tun. Für mich ist es eine lebenslange Aufgabe, damit es die nächsten Generationen leichter haben.
Ionna Zacharaki kam mit 18 Jahren aus Griechenland nach Deutschland. Die Solingerin arbeitet seit 1994 als Referentin der Diakonie Rheinland im Bereich für interkulturelle Belange. Für die SPD sitzt sie seit 15 Jahren im Stadtrat Solingens. Dort ist sie Mitglied im Zuwanderer - und Integrationsrat, migrationspolitische Sprecherin ihrer Partei.