Wähler in Ankaras Slums unentschlossen
In den Armenvierteln Ankaras profitieren die Menschen von den Sozialleistungen, die Präsident Erdogan ihnen garantiert. Trotzdem sind vor dem anstehenden Referendum am Sonntag viele Wähler unentschlossen.
Schall und Rauch
Ständig hängt eine Dunstglocke über den Armenvierteln der türkischen Hauptstadt. Grund sind die veralteten Kohleheizungen in den meist schlecht isolierten Häusern, auf türkisch "gecekondu" genannt, "Nachtlager". Die Kohle erhalten die Menschen seit Erdogans Wahl kostenlos vom Staat. Das schlägt sich allerdings nicht unbedingt in Wählerstimmen nieder.
Omnipräsente AKP
"Evet", also "ja", dazu das Konterfei von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan oder wie hier von Ministerpräsident Binali Yildirim - solche Wahlwerbung der führenden Partei AKP ist vor dem Referendum in den Slums überall zu finden. In Ankaras ärmsten Vierteln sind trotzdem viele Bürger unentschlossen.
AKP - die Partei der Armen
"Als mein Mann arbeitslos war, war ich verzweifelt", sagt die dreifache Mutter Emel Yildirim, der DW. "Seit Erdogan an der Macht ist, hat sich das geändert. Früher bekam man ja nicht einmal einen Arzttermin. Das ist jetzt anders, die Krankenhäuser öffnen ihre Türen auch für sozial Schwache."
Was hilft den Kurden?
Yildirim ist Kurdin. Sie macht sich Sorgen, dass die Spannungen zwischen Türken und Kurden heftiger werden könnten. "Wenn Erdogan ein 'Ja' bekommt, könnte sich das verbessern, er beteuert, er sei für Frieden", sagt sie. "Andererseits: Selahattin Demirtas [inhaftierter kurdischer Oppositioneller, d. Red.] sagt, Erdogan wolle die Kurden in ihrem eigenen Blut ertränken. Eine schwere Entscheidung."
Unverhohlene Skepsis
Ein Wahlplakat als Sofabezug, mitten auf einer Gasse in Ankara. Stiller Protest der AKP-Kritiker. Ali, 25 Jahre alt und Brötchenverkäufer, ist einer von ihnen. "Gerade wieder hat die Partei Kohlen an die Menschen verteilt - mitten im Frühling! Die braucht doch jetzt keiner. Es geht ganz klar nur um Stimmenfang."
Wie hältst Du's mit der Religion?
Ali macht sich Sorgen über eine wachsende Bedeutung der Religion: "Ist es die Religion, die Probleme schafft - oder sind es die Leute, die die Religion missbrauchen?" Das gleiche gelte für Korruption, sagt Ali: "Ist das System schuld - oder die Leute, die das System für sich nutzen?"
Vorbild Erdogan
Die dreijährige Ayse steht vor ihrem Haus. Ihre Mutter sagt der DW, dass sie mit "Ja" stimmen werde. Wieso? Weil ihr Ehemann auch mit "Ja" stimmt. "Mein Mann glaubt alles, was Erdogan sagt. Er hinterfragt das nicht. Es ist zwecklos, sich darüber mit ihm zu streiten."
Familienangelegenheit
Feride Turhan und ihr Mann Mustafa. In der Mitte die beiden Söhne. Feride sagt, sie habe immer noch nicht verstanden, worum es beim Referendum gehe. "Ich interessiere mich nicht für Politik, die Nachrichten schaue ich aber schon. Was sich nach einem 'Ja' ändern würde, wird einem da nicht erklärt."
Sicherheit zuerst
Sicherheit ist die Hauptsorge der meisten Bewohner in den Slums von Ankara. Mustafa Turhan (hier nicht im Bild) arbeitet in der Nachtschicht bei einem Gemüsegroßmarkt. Zwar habe die AKP dafür gesorgt, dass Krankenwagen auch in die ärmeren Viertel kommen - gleichzeitig stieg aber auch die Gewalt. "Die Leute werden hier ausgeraubt und mit Maschinenpistolen bedroht", berichtet er.
Steile Lernkurve
Mustafa beklagt außerdem die schlechte Ausstattung der Schulen in den Slums. "Die kostenfreie Heizkohle nehmen wir gerne an, schließlich zahlen wir auch Steuern. Aber lieber wären mir Investitionen in Bildung, dann hätte mein Sohn bessere Chancen."