Wütende Proteste gegen Erdogan
28. September 2018"Erdogan ist ein Terrorist, Erdogan ist ein Faschist, Erdogan ist ein Diktator", ruft Hakan Tas über den Potsdamer Platz. Der gebürtige Türke, der seit 1980 in Deutschland lebt und für die Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, ist einer der Redner auf der "Erdogan Not Welcome"-Kundgebung, die sich am Nachmittag versammelt hat. Deutsche, kurdische und türkische Vereine und Initiativen haben dazu aufgerufen, gegen den Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auf die Straße zu gehen.
"Dieser Mann gehört nicht auf den roten Teppich, er gehört nach Den Haag" ruft Tas und meint damit den Internationalen Strafgerichtshof, der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgt. "Freiheit für alle politischen Gefangenen in der Türkei und in Türkisch-Kurdistan", fordert der Berliner Parlamentarier. "Nieder mit dem Faschismus, nieder mit der AKP, nieder mit der Erdogan-Diktatur." Die Menge johlt. Linke Gruppen, Junge, Alte, Studenten, Kurden, Deutschtürken sind dabei. Sprechchöre formieren sich. "Erdogan Terrorist, Erdogan Terrorist", rufen sie.
Stoppt den Staatsterror
Bis 17 Uhr sind etwas mehr als 1000 Menschen zur Kundgebung gekommen. Die Veranstalter hatten mit weitaus mehr gerechnet, bei der Polizei hatten sie bis zu 10.000 Demonstranten angemeldet. Entsprechen groß ist die Präsenz der Sicherheitskräfte. In langen Reihen sind Mannschaftswagen der Berliner Polizei, aber auch von Polizeieinheiten aus anderen deutschen Ländern und der Bundespolizei rings um den Potsdamer Platz aufgereiht. Beamte in voller Montur stehen in Gruppen am Rand der Kundgebung und beobachten aufmerksam das Geschehen.
Plakate werden hochgehalten, Fahnen wehen im Wind. "Stop the state terror in Turkey" ist zu lesen, auf einem Plakat wird Erdogan mit Hitlerbärtchen dargestellt. Auf einem nachgebildeten Panzer steht "Made in Germany", am Bug ist eine mit blutroter Farbe beschmierte Figur befestigt, die eine Leiche darstellt, am Kanonenrohr baumelt eine Baby-Puppe. "Einen faschistischen Diktator und Kriegsverbrecher musste diese Stadt lange genug erleben", ruft Hakan Tas in die Menge. "Deshalb mein Appell an Erdogan: Hau ab aus unserer Stadt!"
Erdogan-Besuch eine "Schande für Deutschland"
Ähnlich wütend äußern sich auch andere Demonstranten. "Ein derartig pompöser Empfang ist nicht nur eine unnötige Aufwertung des Erdogan-Regimes - es ist auch ein Schlag ins Gesicht aller demokratischen Aktivisten in der Türkei, die eingesperrt, unterdrückt oder gefoltert werden", sagt ein Redner und erntet lauten Applaus und Pfiffe.
"Ein Diktator, der im eigenen Land Nazi-Methoden anwendet und deutsche Politiker als Nazis beschimpft, wird heute in Deutschland eingeladen, als wenn nichts gewesen wäre." Das sei "eine Schande für Deutschland" und weder "im Sinn der deutschen Bevölkerung" noch "im Sinne der Migrantinnen und Migranten hier".
Gegen 17.15 Uhr setzt sich der Zug der Demonstranten in Bewegung. Eineinhalb Stunden lang ziehen sie durch die Stadt bis zur Siegessäule am Großen Stern, also ganz in die Nähe von Schloss Bellevue, wo der Bundespräsident am Abend das Staatsbankett für den türkischen Präsidenten ausrichtet.
Immer mehr Menschen haben sich der Demonstration angeschlossen, die Polizei geht zwischenzeitlich von mehr als 6000 Teilnehmern aus. Damit ist es die größte Kundgebung gegen Erdogan an diesem Tag.
Weitgehend friedliche Proteste
Für die Abschlusskundgebung mit 14 Rednern hat die Polizei den Großen Stern weiträumig abgesperrt. Bis auf ein paar unterwegs gezündete Feuerwerkskörper bleibt es bis zum Schluss friedlich. Das war auch bei den übrigen Demonstrationen an diesem Tag so. Nur in Berlin-Kreuzberg warfen aus einer Gruppe von rund 150 Demonstranten Vermummte Flaschen und Steine auf Polizisten. Zwei Polizisten wurden leicht verletzt, mehrere Autos und die Fenster einer Bank beschädigt. Acht Demonstranten wurden festgenommen und Feuerwerkskörper sowie Fahnen der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) beschlagnahmt.
Am Vormittag machte die Organisation "Reporter ohne Grenzen" bei einer Kundgebung vor dem Berliner Hauptbahnhof auf die zahlreichen inhaftierten Journalisten und die Einschränkung der Pressefreiheit in der Türkei aufmerksam. Eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei dürfe es nicht geben, solange die Unterdrückung der Medien anhalte, sagte der Geschäftsführer von "Reporter ohne Grenzen", Christian Mihr, vor rund einhundert Demonstranten. In Sichtweite des Kanzleramtes forderte Mihr Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, sich für die Pressefreiheit in der Türkei einzusetzen. Dialog dürfe kein Selbstzweck sein.