Die britische EU-Politik
3. November 2012In den Augen vieler Europäer liegt Großbritannien schon seit längerem auf einem EU-kritischen Kurs: In den vergangenen Wochen hat der britische Premierminister David Cameron wiederholt damit gedroht, mit seinem Veto die bevorstehenden EU-Haushaltsgespräche zu untergraben. Ebenso spielt er mit der Möglichkeit einer Volksabstimmung über das zukünftige Verhältnis der Inseln zum Rest des Kontinents.
Für viele der erbitterten Skeptiker in Camerons eigener konservativer Tory Partei, geht dies jedoch noch nicht weit genug. Sie sehen die aktuelle Debatte und die Krise der Eurozone als eine willkommene Gelegenheit, dass London sich gar daran machen sollte, schlicht aus der EU auszutreten.
Am Mittwochabend erlitt die Regierung eine Abstimmungspleite im Unterhaus, nachdem mehr als 50 Rebellen aus Camerons Partei vorübergehend auf die Seite der in der Opposition sitzenden Labour Partei übergelaufen waren. Sie unterstützen deren Forderung, dass in Anbetracht der gravierenden Einsparungen in Großbritannien selbst, eben auch das EU-Budget gut und gerne einige Kürzungen vertragen könne. Auch wenn die Abstimmung nicht bindend ist, setzt sie Cameron doch mächtig unter Druck, beim Novembergipfel in Brüssel eine harte Linie zu fahren.
Keine Privilegien ohne Solidarität
"Dies ist ein Thema, das sich in Großbritannien in Sekunden aufheizen kann. Ich glaube, dass genau dies hier passiert ist", erklärt Mats Persson, Direktor bei Open Europe, einem Londoner Think Tank, der eine Reform der Europäischen Union anregt. "Es ist eine unglückliche Situation", fügt er hinzu. "Genau zu dem Zeitpunkt, an dem in Großbritannien die Skepsis sowohl seitens der Bevölkerung als auch in der Politik wächst, beschließt die Eurozone, auf weitere Integration zu drängen. Man kann also die Europafrage im Moment nicht beiseite legen, da sich die Eurozone verändert und dies wiederum Fragen für Großbritannien aufwirft."
Die Haltung Londons sorgt im Rest der EU für Sorge, insbesondere hinsichtlich der bevorstehenden Haushaltsplanung. Großbritannien möchte wegen der eigenen klammen Haushaltslage die Beiträge für Brüssel nach unten drücken. Das verärgert Länder wie etwa Polen, deren wirtschaftliche Entwicklung stark von der EU-Unterstützung abhängt. "Man kann nicht Mitglied in einem Club sein, sich verpflichten, einen Beitrag zu zahlen, und dann aber, nachdem man im Club sein Dinner zu sich genommen hat, einfach aufstehen und gehen ohne zu zahlen", erklärt der polnische konservative Europaparlamentarier Jacek Saryusz-Wolski im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Großbritannien profitiert gerne von den Vorzügen des einheitlichen Marktes, von freien Handelswegen für Güter, Dienstleistungen und Kapital, und London hängt durchaus sehr an diesen Privilegien. Gleichzeitig versteht es nicht, dass die andere Seite der Medaille eben die Haushaltssolidarität ist."
Geschlossenheit den Finanzmärkten zuliebe
Saryusz-Wolski sieht Großbritannien auf dem Weg von Europa "weg zu driften". Durch extreme Positionen, glaubt er, werde das Land "jede Chance für einen Kompromiss zunichte machen" und für "Verzweiflung" in jenen Ländern Mittel- und Osteuropas sorgen, die von EU-Geldern profitieren. "London isoliert sich und wird dies wahrscheinlich später bereuen", erklärt Saryusz-Wolski. Die Diskussion schade Großbritannien aber eben auch der Europäischen Union. Inmitten der Krise werfe London einen großen Graben auf. "Gerade jetzt müssten wir den Finanzmärkten signalisieren", so Saryusz-Wolski, "dass wir einer Meinung sind und daran glauben, dass das EU-Budget eines der Werkzeuge ist, mit denen wir der Europäischen Union aus der Krise helfen können."
Neuer Deal für London und Berlin?
Einen Tag nach Camerons demütigender Niederlage im Unterhaus hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel eine versteckte Kritik hinsichtlich der bevorstehenden EU-Haushaltsdebatte in Richtung London gesandt. Merkel sagte es gehöre in der Politik dazu, "dass vor Verhandlungen Positionen abgesteckt werden". Sie fügte jedoch hinzu, dass es nicht die Zeit sei, "noch weitere Vetos in den Raum zu werfen", die eine Lösung des Problems keinen Schritt näher brächten. Die beiden Politiker werden sich nächste Woche zu Gesprächen treffen und versuchen, einen Kompromiss zum EU-Haushalt schon im Vorfeld der Debatte in Brüssel am 22. und 23. November auszuarbeiten.
Mats Persson von Open Europe glaubt, dass Berlin und London auf lange Sicht eine grundlegend neue Abmachung treffen sollten. "Berlin muss erkennen, dass Cameron genau wie Merkel Rücksicht auf die heimische Politik nehmen muss." Beide Länder müssten in die Lage versetzt werden, sich innenpolitischen Debatten zu widmen, aber so, dass die jeweilige EU-Mitgliedschaft weiterhin auf einer sicheren Basis stehe.