Wacken: eine Erfolgsgeschichte
3. August 2019Mehrere tausend Metalheads drängeln sich vor dem Eingang zum sogenannten "Holy Ground" des Wacken Open Air. Fünf Minuten vor der Zeit gehen plötzlich alle Schranken auf und es beginnt ein Run auf die besten Plätze vor den Hauptbühnen, die "Faster", "Harder" und "Louder" heißen. Es ist Donnerstag, 13:55 Uhr: Eines der größten Heavy-Metal-Festivals der Welt hat begonnen.
Laura Morales kommt aus Guadalajara in Mexiko. Zusammen mit ihren Freunden Abraham und Saul will die 49-Jährige ganz vorne stehen, wenn die Band Skyline auf der "Faster"-Bühne loslegt. Vor ein paar Jahren war sie schon einmal hier in Wacken. Damals hat sie die heilige Erde, die an ihren Schuhen klebte, in ein Gläschen gefüllt. Das bewahrt sie bis heute auf. Im nächsten Jahr will sie wieder in die norddeutsche Provinz reisen: "Die Menschen hier sind unglaublich nett", schwärmt sie, "und das Festival hat eine großartige Atmosphäre."
Wacken – wie alles begann
Eigentlich könnten die Organisatoren das Festival vergrößern. Die Nachfrage ist da. Die 75.000 Tickets für 2019 waren schon nach vier Tagen ausverkauft. Doch Festival-Chef Thomas Jensen will erst mal nicht expandieren. "Höher, schneller, weiter" ist für ihn kein Thema, stattdessen setzt er auf Authentizität und Ehrlichkeit: "Wir wollen den familiären Charakter erhalten und finden, dass wir das so noch gut handeln können."
Thomas Jensen ist einer der Gründungsvater des Festivals. Er stammt selbst aus dem 1800-Seelen-Kaff Wacken in der norddeutschen Provinz. Rückblick: 1989 wartet er zusammen mit seinem DJ-Freund Holger Hübner und einigen anderen Hardrock- und Metal-Fans darauf, dass endlich mal was passiert in ihrer Heimat. Doch es passiert nichts. Also müssen sie die Sache selbst in die Hand nehmen und planen ein Open-Air-Festival, bei dem Bassist Thomas Jensen auch gleich mit seiner damaligen Band Skyline auftreten kann. Gesagt, getan: Am 24. und 25. August 1990 spielen sechs Bands vor 800 Zuschauern auf einer Kuhwiese in Wacken. Die Geburt eines deutschen Mythos, der weltweit fast so bekannt ist wie VW oder Franz Beckenbauer.
Große Stars und verrückte Shows
In den folgenden Jahren wird das Festival immer größer und bekannter. Hier tritt auf, was Rang und Namen im Metal-Geschäft hat: Rammstein, Scorpions, Deep Purple, Status Quo, Iron Maiden, Judas Priest, Ozzy Osbourne, Alice Cooper, Amon Amarth gleich mehrmals. Motörhead werden in Wacken beinahe religiös verehrt; sie waren ganze acht Mal hier. Lemmy Kilmister, dem Frontmann der Band, wurde nach dessen Tod 2015 sogar ein Denkmal errichtet. 2019 spielen in Wacken 190 Bands auf neun Bühnen, darunter Größen wie Airbourne, Slayer und Anthrax. Einer der Höhepunkt ist das Konzert von Sabaton anlässlich ihres 20-jährigen Bestehens. Die schwedische Power-Metal-Band, die bereits zum vierten Mal in Wacken weilt, darf auf zwei Hauptbühnen gleichzeitig spielen. Wie das funktioniert? Ganz einfach. Die Bühnen stehen direkt nebeneinander. Normalerweise wird auf der einen Bühne gerockt, während auf der anderen umgebaut wird. Nur bei Sabaton ist das dieses Jahr anders. Hier stehen auf beiden Bühnen Musiker und machen gleichzeitig einen infernalischen Lärm. Auch das ist Wacken. "Wir sind schon ein bisschen verrückt", meint Thomas Jensen und grinst. "Wenn wir außergewöhnliche Shows machen können, dann kommt in uns schon mal das Kind raus. Dann wollen wir schon noch einen draufsetzen, Grenzen verschieben und durchgeknallte Sachen machen."
Die Helden von morgen
Aber es gibt nicht nur große Namen in Wacken. Seit 2004 organisieren die Veranstalter den Metal Battle, einen internationalen Wettbewerb, an dem 30 Newcomer-Bands aus 30 Ländern teilnehmen - sozusagen die Olympischen Spiele der harten Klänge. Mit dabei sind auch die Band Trainwreck aus Dhaka in Bangladesch. Die fünf Musiker sind etwas aufgeregt. Gleich werden sie auf der "History Stage" stehen – der Bühne von 1990, die für das 30. Jubiläum des Festivals wieder fit gemacht wurde. Eine große Ehre. "Wir sind die erste Band aus Bangladesch, die es nach Wacken geschafft hat. Jetzt wollen wir beweisen, dass unser Land genauso gut rocken kann wie die ganze Welt", sagen sie. Auch wenn sie nicht gewinnen sollten - allein einmal im Mekka das Metals aufzutreten, ist für jede Rockband der Ritterschlag.
Nachhaltige Zukunft
Aber Wacken ist mehr als nur Musik. Neben Metal Yoga, Gaming Village, Filmfestival, Metal Church und Karaoke-Till-Death gibt es dieses Jahr erstmals auch eine "Wacken Future Factory". Dabei geht es um gesellschaftlich relevante Themen wie Nachhaltigkeit, Inklusion, Sicherheit, Festivalplanung, Digitalisierung und ganz allgemein um "Wertekultur". Auf dem Programm stehen Workshops wie "Mehr Festivalspaß durch künstliche Intelligenz" oder "Wacken zwischen Wahn und Wissenschaft".
Organisiert hat das Ganze unter anderem Inga Wiele. Für sie ist das Festival die ideale Plattform, Impulse zu setzen und die Zukunft mitzugestalten.
Bei einem "Stammtisch" geht es dann auch um das Festival der Zukunft - mit ökologischem Mehrwegsystem, Fan-T-Shirts, die recycelt werden können, und Klopapier ohne Plastik. Noch fallen jährlich rund 590 Tonnen Müll in Wacken an, aber vielleicht ist das Musikspektakel schon in wenigen Jahren ein Zero-Waste-Festival.
Wacken forever
Thomas Jensen treibt diese Ideen voran. Er glaubt, dass die Zukunft des Wacken-Festivals und des Heavy Metal gesichert ist: "Wir sind ja nicht am Ziel, wir sind auf der Reise durch das Metal-Universum. Ich habe immer das Gefühl, der Zug ist noch gar nicht richtig losgefahren. Wir sind erst an der ersten Haltestelle angekommen." Den meisten Besuchern ist das aber erstmal egal. Sie wollen vor allem Spaß und laute Musik. Auf der Bühne brennen gerade Powerwolf ihr Programm ab. Davor headbangen die Fans: Sie schütteln ihre Mähnen im Rhythmus. Die Zukunft kann kommen, die Party geht weiter.