Waffenruhe hält, Propaganda bleibt
6. September 2014Nach Inkrafttreten der ersten beidseitigen Feuerpause ist es in der ostukrainischen Krisenregion nach übereinstimmenden Berichten weitgehend ruhig geblieben. Allerdings warfen sich die Konfliktparteien gegenseitig vor, die Waffenruhe nicht völlig einzuhalten. Die ukrainische Armee habe mehrere Orte im Gebiet Donezk unter Feuer genommen, teilten die Aufständischen mit. Mindestens acht Kämpfer seien durch Granatwerferbeschuss am Flughafen von Donezk verletzt worden. Die Separatisten hätten das Feuer nicht erwidert, hieß es. Die Aufständischen riefen die Regierungseinheiten auf, die erst am Freitag in der weißrussischen Hauptstadt Minsk beschlossene Feuerpause einzuhalten. Die prowestliche Führung in Kiew wies die Vorwürfe zurück. Sie hatte zuvor ihrerseits den militanten Gruppen "Provokationen" vorgeworfen. Der regierungsnahe Militärexperte Dmitri Tymtschuk sagte, am Flughafen von Donezk hätten die Aufständischen versucht, die Regierungseinheiten mit Flammenwerfern zu provozieren.
Steinmeier zwischen Optimismus und Sorge
Wenige Stunden zuvor hatte sich Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier noch vorsichtig optimistisch gezeigt: "Die vereinbarte Feuerpause ist - wenn alles gut geht - allenfalls ein Anfang vom Ende der Krise", so Steinmeier. Ob die Waffen dauerhaft schwiegen, hänge weiter vom Willen Moskaus und Kiews ab, "die großen offenen Fragen politisch zu lösen." Entscheidend sei, dass die Politik das Heft des Handelns wieder in die Hand nehme und die militärische Eskalationsspirale endlich durchbrochen werde, sagte der SPD-Politiker weiter. Ein offener Krieg zwischen Russland und der Ukraine wäre eine europäische Katastrophe, die unbedingt verhindert werden müsse.
Bundeskanzlerin Angela Merkel brachte die geplanten schärferen Sanktionen gegen Russland ins Spiel: Ihre Umsetzung hänge auch davon ab, ob der Waffenstillstand tatsächlich halte und es zu einer deutlichen Entspannung der Lage komme. Auf dem Nato-Gipfel im walisischen Newport sagte Merkel, man müsse sehen, ob sich etwaige russische Truppen zurückzögen und ob Pufferzonen eingerichtet würden.
Neue Sanktionen zielen wieder auf den Finanzsektor
Am späten Freitag hatten sich die EU-Botschafter auf ein härteres Sanktionspaket gegen Moskau geeinigt. Es enthält Reise- und Kontensperren für rund 20 Entscheidungsträger aus der russischen Politik und Wirtschaft sowie einige ukrainische Separatisten. Zudem sollen russische Staatsbanken, Rüstungsfirmen und Unternehmen aus der Erdölförderung schwerer an Kredite kommen.
Auch den Export militärisch nutzbarer Güter nach Russland will die EU weiter einschränken und das europäische Exportverbot für bestimmte Technologien zur Ölförderung ausweiten. Die Reise- und Kontensperren sollen Entscheidungsträger aus der russischen Politik und Wirtschaft treffen sowie ukrainische Separatisten.
Russland kündigt "Reaktion" an
Obwohl die Eckpunkte der neuen Sanktionen bereits vom EU-Gipfel am vergangenen Wochenende vorgeben worden waren, hatten die Botschafter drei Tage lang über die konkreten Vorschläge verhandelt. Umstritten war vor allem die eingeschränkte Kreditvergabe an russische Firmen und Banken. Osteuropäische Regierungen befürchten schmerzhafte Folgen für ihren eigenen Finanzsektor, der eng mit Russland verflochten ist. Die Strafen können frühestens am Dienstag in Kraft treten. Am Montag müssen zunächst die EU-Hauptstädte grünes Licht dafür geben.
Russland kündigte für den Fall des Inkrafttretens der neuen EU-Sanktionen eine Reaktion an. Mit der Ankündigung neuer Sanktionen sende die EU ein "Signal der direkten Unterstützung der 'Kriegspartei' in Kiew", kritisierte das Außenministerium in Moskau. Die EU solle sich vielmehr für einen wirtschaftlichen Wiederaufbau des Donbass einsetzen.
Obama bleibt skeptisch
Alles hängt dabei von einem dauerhaften Waffenstillstand in der Ukraine ab, den US-Präsident Barack Obama angesichts früherer Erfahrungen jedoch zurückhaltend bewertet. Er bekräftigte, die westliche Militärallianz werde jeden Verbündeten gegen einen Angriff verteidigen. Vor allem die baltischen Staaten und Polen befürchten angesichts der Ukraine-Krise Übergriffe des großen Nachbarn Russland. Auf den Wunsch dieser östlichen Verbündeten beschlossen die Nato-Staaten auf dem Gipfel die Aufstellung einer schnelle Eingreiftruppe mit bis zu 5000 Soldaten.
Die Rebellen hatten sich am Freitag mit der ukrainischen Regierung auf einen umfassenden Plan geeinigt. Darin geht es nach Angaben der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) auch um den Abzug schwerer Waffen aus den Kampfgebieten. Der Status der Regionen, den die Rebellen im Osten der Ukraine halten, war nach Angaben der Separatisten kein Thema.
Bis kurz vor der Vereinbarung in Minsk wurde in der Ostukraine noch gekämpft. Vor allem die Lage in der 500.000 Einwohner zählenden Stadt Mariupol ist unklar.
haz/gmf (afp, ap, dpa, rtr)