Waffensysteme: Deutschland und Frankreich im Zwist?
21. September 2023Mehr Symbolik geht nicht. Um die Krise der deutsch-französischen Rüstungskooperation zu überwinden, hat Frankreichs Verteidigungsminister Sébastien Lecornu seinen deutschen Amtskollegen Boris Pistorius nach Evreux eingeladen. Gut 90 Kilometer nordwestlich von Paris funktioniert die Zusammenarbeit beider Ländern so, wie es Politiker seit Jahrzehnten in Sonntagsreden beschwören.
In der Normandie operiert die binationale Lufttransportstaffel. Ein Meilenstein für die im Élysée-Vertrag 1963 vereinbarte enge militärische Zusammenarbeit. Während die Deutsch-Französische Brigade fast alle Einheiten national trennt, fliegen in Evreux gemischte deutsch-französische Besatzungen die Transporter - und auch das Bodenpersonal stammt aus beiden Ländern.
Viele deutsch-französische Projekte gescheitert
Dunkle Wolken dagegen bei der Rüstungskooperation. Industrielle Rivalitäten und unterschiedliche politische Interessen lasten schwer auf dem deutsch-französischen Panzerprojekt MGCS - ein Prestigeprojekt von Präsident Emmanuel Macron. Gerade erst ins Amt gewählt, hatte er im Juli 2017 mit der Bundeskanzlerin eine mehr als 100 Milliarden Euro teure Liste gemeinsamer Rüstungsprojekte beschlossen.
Das Luftkampfsystem FCAS war genauso darauf wie ein Seefernaufklärer, eine bewaffnungsfähige Drohne - und eben ein neuer Kampfpanzer. Das Main Ground Combat System (MGCS) sollte ab 2035 den französischen Leclerc und den deutschen Leopard 2 ablösen.
Paris oder Berlin? Streit um die Führung
Die Entwicklungskosten für den Panzer wollen sich Paris und Berlin aufteilen - die Führung des Projektes liegt bei Deutschland. Frankreich wiederum übernimmt die Regie beim Kampfflugzeug FCAS. Entwickelt werden sollte das MGCS zunächst von KNDS, einer Holding, zu der sich die deutsche KMW und der staatsnahe französische Panzerbauer Nexter zusammengeschlossen haben. Seit Rheinmetall 2019 in das Projekt eingestiegen ist, beklagen die Franzosen nun ein deutsches Übergewicht. Nun könnte das Projekt auch anderen Staaten offenstehen. Italien und die Niederlande hätten Interesse an einem Beobachterstatus, so Lecornu.
Eine "Flucht nach vorn" sieht Jacob Ross von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in diesem Manöver. Auch die Änderung des Zeitplans - der Panzer soll nun erst nach 2040 einsatzbereit sein - folgt diesem Muster. "Ein Durchbruch für das Projekt ist das aber nicht", so Ross. Zumal Deutschland und Frankreich auch in Evreux keine Einigung in inhaltlichen Fragen erzielt haben.
Nachbarn mit unterschiedlichen Panzer-Pläne
Vor allem die Hauptbewaffnung des MGCS sorgt für Streit. Während Rheinmetall eine 130mm-Kanone favorisiert, beharrt Nexter auf seiner 140mm-Entwicklung. Das Ringen um die Millimeter ist militärisch wichtig, denn das Kaliber entscheidet über die Fähigkeiten der Waffe. Wer sich in dieser Frage durchsetzt, wird wohl den NATO-Standard für Jahrzehnte bestimmen. Ein informelles Treffen zwischen Bundeskanzler Scholz und Präsident Macron im Sommer führte zu keiner Einigung.
In den vergangenen Wochen haben nun die Militärstäbe in Berlin und Paris ihre Anforderungen auf eine gemeinsame Bedarfsliste geschrieben. Pistorius und Lecornu haben diese Liste in Evreux gebilligt. Bis Dezember wird nun ausgelotet, bei welchen Teilbereichen des Panzersystems Frankreich oder Deutschland die Führung übernehmen.
Die Folgen des Ukraine-Krieges
Dass beide Länder unterschiedliche strategische Ziele haben und die Unternehmen gegensätzliche Interessen verfolgen, verhinderte in der Vergangenheit immer wieder Fortschritte. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine erlebt die Nachfrage nach Leopard-2-Kampfpanzern einen Boom. Diesen Markt wollen sich die deutschen Panzerbauer mit einem Leopard-2-Update zügig sichern.
In Evreux betonten die Minister, dass die Staaten als Besteller die genauen Anforderungen definieren - nicht die Industrie. Gerade Frankreich pocht auf ein grundlegend neu entwickeltes System. Es soll neben klassischen Gefechten auch elektromagnetisches Feuer, Laser-Feuer und ein über künstliche Intelligenz vernetztes Kämpfen ermöglichen. Den mit Soldaten besetzten Panzer können auch autonome Fahrzeugen begleiten.
Greift Deutschland nach mehr Macht?
Die Zwischenbilanz der deutsch-französischen Rüstungsinitiative von 2017 fällt derweil bescheiden aus: Der gemeinsame Seefernaufklärer wurde gestrichen, Deutschland kauft für diesen Zweck US-Maschinen. Selbst aus dem gemeinsamen Kampfhubschrauber-Projekt Tiger hat sich Berlin verabschiedet.
Die deutsche "Zeitenwende" habe zu Machtverschiebungen geführt, analysiert Élie Tenenbaum vom außenpolitischen Thinktank IFRI in Paris. Deutschland habe sich unter Kanzler Olaf Scholz dazu entschieden, die treibende Kraft im europäischen Pfeiler der NATO zu werden. "Deutschland will - wie bei der Europäischen Raketenabwehr - mit einer Gruppe kleinerer europäischer Nationen kooperieren. Frankreich hat in dieser Formation keinen Platz", glaubt Tenenbaum.
Nur Symbolik reicht nicht für das deutsch-französische Rüstungsprojekt
Geradezu überschwänglich feierte Gastgeber Lecornu in Evreux die besondere Beziehung zu seinem Ministerkollegen, der seine Liebe zu Frankreich betonte. Land und Sprache kennt Pistorius nicht nur aus dem Urlaub, sondern auch vom Französisch-Studium an der katholischen Universität Angers.
Ob das Milliardenprojekt mit dem Ruf nach Symbolik zu retten ist, erscheint indes fraglich. Gut möglich, dass den Parlamenten am Ende die unangenehme Aufgabe zufallen wird, ein weiteres deutsch-französisches Rüstungsprojekt zu beerdigen. Die Abgeordneten müssen schließlich für jeden größeren Entwicklungsschritt die Finanzierung genehmigen - und die Kritik an dem Projekt wird zunehmend lauter im Bundestag.
In der Nationalversammlung ist Macron sogar auf die Unterstützung der Opposition angewiesen, die MGCS äußerst kritisch sieht. Ohne Kollateralschäden wird sich der Ausstieg aber wohl nicht bewältigen lassen, glaubt Frankreich-Experte Ross: "Wenn MGCS scheitert, dann folgt auch das Aus für den Kampfjet FCAS. Das hat der Bundestag klar entschieden. Gerade für Macron wäre das ein großer Gesichtsverlust, den die Opposition entsprechend ausschlachten würde."