Wagner und Werner sammeln Punkte für das WM-Ticket
19. März 2018Sandro Wagner breitete die Arme aus und drehte ab Richtung Gästekurve zu den mitgereisten Bayern-Fans. Auf den letzten Metern schlug er sich mehrmals triumphierend auf die Brust, als wolle er sagen: Ich bin da, wenn man mich braucht. Mich kann keiner abschreiben. Es war ein typisches Wagner-Tor. Im Rücken des Gegenspielers hatte er sich frei gelaufen und die perfekt getimte Flanke von James Rodriguez aus kurzer Distanz zum 1:0 eingeköpft (12. Minute). So verwertet ein Mittelstürmer.
Nach dem Abpfiff spielte Wagner seinen Jubel allerdings gekonnt herunter: "Ich habe mich einfach gefreut, das sind Emotionen." Dass er ein emotionaler Typ ist, zeigte auch eine Szene kurz nach der 2:1-Niederlage der Bayern im Topspiel, als der 30-Jährige auf dem Weg in die Kabine einer Wand einen heftigen Tritt verpasste. "Ich war enttäuscht. Es ist mir lieber, wir gewinnen und ich schieße kein Tor", sagte Wagner.
Seine Trefferquote bei den Bayern kann sich jedoch sehen lassen. Es war sein fünftes Tor im neunten Spiel seit seinem Winter-Wechsel zum Rekordmeister. Zwar bekommt er meistens nur Kurzeinsätze hinter Star-Angreifer Robert Lewandowski, gegen Leipzig ließ Trainer Jupp Heynckes ihn allerdings von Beginn an stürmen. Und nicht nur aufgrund seiner orangefarbenen Treter war Wagner einer der auffälligsten Spieler in einer an diesem Abend eher schwachen Bayern-Mannschaft. "Ich bin angekommen in München", verkündete Wagner dementsprechend nach dem Spiel. Das kann man auch als Statement verstehen - an Bundestrainer Joachim Löw. Wer bei den Bayern ankommt, ist immer eine Alternative für die Nationalelf.
Ganz klar, wer der Matchwinner war
Mehr als eine Alternative, womöglich sogar die erste Geige in Löws WM-Sturm, spielt allerdings Timo Werner. Leipzigs Jungstar war der Matchwinner im Topspiel zum Abschluss des 27. Spieltags und verhalf RB zum ersten Sieg in der Vereinshistorie gegen die Bayern. Dabei fand er sich zu Beginn in ungewohnter Rolle wieder. Trainer Ralph Hasenhüttl gönnte Werner eine Verschnaufpause nach dem schweren Rückspiel in St. Petersburg am Donnerstag in der Europa League (Anm. d. Red. 1:1, Leipzig steht im Viertelfinale). Doch nach zehn Minuten war diese bereits wieder beendet und Werner mittendrin im Geschehen, eingewechselt für den verletzten Sabitzer.
Werner belebte sogleich Leipzigs Offensive und lieferte sich immer wieder interessante Hochgeschwindigkeits-Duelle mit Gegenspieler Joshua Kimmich. Nach dem zwischenzeitlichen 1:1 durch Naby Keita (37. Minute) schlug er dann in der zweiten Hälfte selbst zu. Während eines Leipziger Konters erkannte Werner den freien Raum, sprintete zur richtigen Zeit los und entwischte dem Verteidiger, um genug Zeit und Platz für den Abschluss zu haben - und dann abgeklärt ins lange Eck flach zu vollenden (57. Minute). Ein typisches Werner-Tor. "Wenn es so ausgeht, dass wir gewinnen und ich auch noch ein Tor schieße, dann kann man auch gerne mal von der Bank kommen", sagte Werner nach dem Spiel. Mit wettbewerbsübergreifend 18 Toren ist er der treffsicherste deutsche Stürmer in dieser Saison. Damit dürfte er seinen Platz in Löws WM-Aufgebot wohl sicher haben.
Werner und Wagner könnten sich gut ergänzen.
Werner und Wagner sind Stürmertypen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, die aber beide im modernen Fußball unverzichtbar sind. Während Leipzigs Werner von seiner Antrittsstärke und Antizipation lebt, auf die Flügel ausweicht und ins Dribbling geht, ist Bayerns Wagner ein echter "Brecher", der vorne im Sturmzentrum als Wandspieler fungiert und sich immer wieder in Kopfballduellen aufreibt. Wagner steckt ein wie er austeilt und genießt es, wenn das ganze Stadion wie in Leipzig ihn auspfeift. Der flinke Werner dagegen will es mit seiner Schnelligkeit erst gar nicht zum Zweikampf kommen lassen. Echte und Falsche Neun, wie es im modernen Fußball heißt. Werner und Wagner könnten sich tatsächlich gut ergänzen.
Beide stehen im Aufgebot von Löw für die kommenden Test-Länderspiele gegen Spanien (23.03) und Brasilien (28.3.) - so wie auch der wiedererstarkte Mario Gomez vom VfB Stuttgart und Gladbachs Lars Stindl. Vier Stürmer für am Ende wohl zwei freie Plätze, da Löws Vorliebe für Mittelfeldspieler bekannt ist und er mit Thomas Müller (und eventuell auch WM-Held Mario Götze) noch weitere Alternativen für die Position in der Spitze parat hätte. Tore in wichtigen Bundesliga-Duellen gegen starke Gegner sind da keine schlechte Werbung in eigener Sache. Sowohl Werner als auch Wagner haben im Topspiel geliefert.
Am Ende wird es wohl auf den Zweikampf Wagner gegen Gomez hinauslaufen. Beide sind zu ähnliche Stürmertypen, als dass Löw es sich leisten könnte, beide mitzunehmen. Gomez' Turniererfahrung oder Wagners Willensstärke? Loyalität oder Mentalität? Bundestrainer Löw hat die Qual der Wahl.