Feuertaufe für die Demokratie
23. Oktober 2019Der "strahlende Diamant" unter den afrikanischen Demokratien - so wird Botsuana gern genannt. Denn das diamantenreiche Land im südlichen Afrika gilt seit Jahrzehnten als eine der stabilsten Demokratien auf dem Kontinent. Bisherige Regierungswechsel seien stets sehr sanft vonstatten gegangen, so Gladys Mokhawa, Politikwissenschaftlerin an der Universität von Botsuana in der Hauptstadt Gaborone. Dies würde an einer Besonderheit in der politischen Tradition Botsuanas liegen. Üblicherweise tritt der Präsident nämlich anderthalb Jahre vor dem Ende seiner zweiten Amtszeit zurück und überlässt seinem designierten Nachfolger die Partei- und Regierungsführung, um einen reibungslosen Machtwechsel zu gewährleisten.
Doch die Parlamentswahl vom 23. Oktober und der darauffolgende Regierungswechsel stehen jetzt unter neuen Vorzeichen. Denn innerhalb der Regierungspartei "Botswana Democratic Party" (BDP) ist ein heftiger Machtkampf ausgebrochen. Zwar hat auch in der zu Ende gehenden Legislaturperiode der Staatschef vorzeitig sein Amt an einen Nachfolger übergeben. Im April 2018 überließ der damalige Präsident Ian Khama seinem Vizepräsidenten Mokgweetsi Masisi die Amtsführung. Aber schon kurze Zeit später zerstritten sich die beiden. Sie werfen dem jeweils anderen vor, autokratisch zu agieren. Die gegenseitigen Anschuldigungen haben die Atmosphäre in der BDP vergiftet.
Zum ersten Mal könnte die Opposition gewinnen
Dieser Streit könnte dazu führen, dass zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahre 1966, Botsuanas Opposition als Siegerin aus der Wahl hervorgeht und somit den Präsidenten stellt, der vom Parlament bestimmt wird. Denn das Zerwürfnis zwischen den beiden einstigen Verbündeten ging so weit, dass Ian Khama im Mai dieses Jahres mit der BDP gebrochen hat und nun die von seinem Bruder neu gegründete Partei "Botswana Patriotic Front" (BPF) unterstützt.
Gleichzeitig sucht der Ex-Präsident, dessen Vater Seretse Khama einst die BDP gegründet hatte, die Nähe zum größten Oppositionsbündnis "Umbrella for Democratic Change" (UDC), um so die Wahl seines Nachfolgers Mokgweetsi Masisis zu verhindern. Geht Ian Khamas Rechnung auf, wäre es die erste Wahlniederlage der BDP seit 53 Jahren.
Doch wie die Parlamentswahl tatsächlich ausgeht, ist weiter offen. Denn es ist nicht auszumachen, wer durch Khamas Kurs tatsächlich Stimmen für sich verbuchen kann. So gibt es nach Einschätzung von Gladys Mokhawa keinerlei Klarheit darüber, welcher Partei der ehemalige Präsident derzeit tatsächlich angehört. Offiziell sei Ian Khama nie aus der BDP ausgetreten. Es verärgert zudem Teile der Opposition, dass der Ex-Präsident ausgerechnet für das linke Oppositionsbündnis UDC Wahlkampf betreibt. "Deren Führer Duma Boko wird dafür kritisiert, dass er es Khama ermöglicht, die UDC zu unterstützen", sagt die Politologin. Denn während Khamas Regierungszeit war Boko einer seiner schärfsten Kritiker.
Und tatsächlich hat die zweitgrößte Gewerkschaft des Landes BOFEPUSU - die traditionell die linke Opposition UDC unterstützt - sich in diesem Jahr einer Wahlempfehlung enthalten. In einer Pressemitteilung heißt es, sie nehme eine neutrale Haltung ein und schließe sich keiner der politischen Formationen an. Khamas Unterstützung für die UDC könnte also angestammte Oppositonswähler abschrecken. Zumal der aktuell regierende Präsident Masisi in der Bevölkerung nicht schlecht ankäme, sagt Politologin Mokhawa, auch wenn einige ihn als populistisch bezeichneten. Andererseits, gibt Matthias Basedau vom GIGA-Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg zu bedenken, war Khama in seiner Heimatregion sehr beliebt. "Wenn er in diesen Wahlkreisen gegen die BDP antritt, würde er der BDP Stimmen wegnehmen", meint der Politologe.
Unvorhersehbares Wahlergebnis
Dass der Wahlausgang so schlecht vorhersehbar ist, liegt auch am botsuanischen Wahlsystem, das sich am britischen Mehrheitswahlrecht anlehnt. In 57 Wahlbezirken gewinnt jeweils der Abgeordnete, der die meisten Stimmen auf sich vereint. Sechs weitere Parlamentarier kommen aus der Regierungspartei. Dies führte bei der letzten Wahl 2014 dazu, dass die BDP die Mehrheit der Sitze im Parlament erhielt, obwohl die Oppositionsparteien gemeinsam auf mehr als 50 Prozent der Stimmen gekommen waren. Der Präsident wird nach der Parlamentswahl durch die Nationalversammlung gewählt.
Institutionell seien Reformen dringend nötig, meint Ulrich Golaszinski, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Hauptstadt Gaborone. Auch habe man es nicht verstanden, die Wirtschaft breiter aufzustellen. "Man hat den Zeitpunkt hierfür verschlafen", sagt der Afrika-Experte. Die Gesellschaft habe sich weiterentwickelt, das politische System hinke hinterher.
Dennoch dürfe man das Positive nicht übersehen. "Aus dem Nichts hat man nach der Unabhängigkeit eine parlamentarische Demokratie aufgebaut", sagt Golaszinski, "mit allen dazugehörigen Institutionen wie Parlament und unabhängiger Gerichtsbarkeit, einer Exekutive und einer unabhängigen Bürokratie." Das sei schon ganz erstaunlich, meint er. Außerdem seien die Regierungen stets ehrlich gewesen. Die Erlöse aus dem Bergbau, insbesondere aus der Diamantenindustrie, wurden tatsächlich in den Aufbau des Landes investiert.
Demokratisches Reifezeugnis
Die aktuelle Situation hingegen sei sehr uncharakteristisch für Botsuana, sagt Gladys Mokhawa: "Der Transfer von einem Präsidenten zu anderen verläuft nicht so reibungslos, wie wir das gewohnt sind." Aber das politische System sei von dem Streit zwischen Khama und Masisi nicht belastet, darin sind sich die Experten einig. Im Gegenteil: Politologe Basedau ist der Ansicht, dass die Demokratie als solche dadurch wahrscheinlich sogar gestärkt würde. "Einige Politikwissenschaftler sprechen erst dann von einer 'richtigen' Demokratie, wenn ein oder gar zwei Machtwechsel stattgefunden haben." Gewissermaßen stecke Botsuanas Demokratie noch in den Kinderschuhen und könnte sich nun bewähren und reifen.