Hass im Netz: Politiker wehren sich
27. Juli 2017"Wir machen schnell noch einen Bumerang", sagt der Grünen-Abgeordnete Özcan Mutlu. Sein Wahlkampf-Team stellt sich als Gruppe auf, einer drückt auf Aufnahme auf seinem Smartphone und veröffentlicht das Gif mit der im Takt winkenden Gruppe umgehend im Twitter-Kanal des Politikers, der um seinen Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag kämpft. Mutlu gehört zu den eifrigen Politikern im Netz. An einem Samstagnachmittag radelt er durch Berlin von einer Kuchentafel im Stadtteil Prenzlauer Berg, wo die gut ausgebildete Elite der Berliner Digitalwirtschaft wohnt, bis zu einer Antigewalt-Veranstaltung im Problembezirk Wedding mit hohem Migranten-Anteil. Seine Wähler würden von ihm erwarten, dass er auf Twitter und Facebook umgehend Stellung nimmt, wenn eines "seiner" Themen hoch kocht. Manche aber reizt es zu bösen Reaktionen.
Hassbotschaften von Deutschen wie Türken
Mutlu bekommt als Deutscher mit türkischen Wurzeln Hassbotschaften von deutschen Neonazis wie von türkischen Nationalisten. Dabei geht es nicht nur um Hasskommentare, sondern manchmal sogar um Morddrohungen. "Heil Kanacke", heißt es dann da - bis hin zum Aufruf, er möge "ins Gas" geschickt werden. "Ich bringe die Straftatbestände immer zur Anzeige", sagt Mutlu. Doch bis heute ohne Erfolg. Mehr als 40 Mal kassierte die Staatsanwaltschaft den Vorgang wieder per Einstellungsbescheid: Fast alles gedeckt durch die Meinungsfreiheit. Doch Mutlu ist wütend: Es habe schon Fälle gegeben, da "haben sich die Personen nach Vorladung bei der Polizei für ihren Hasskommentar gegen mich entschuldigt." Daraufhin wurde er aufgefordert, "dass ich jemandem verzeihen soll - das ist absurd!" Besonders bedroht fühlt sich der Bundestagsabgeordnete von Kommentaren, aus denen klar hervorgehe, "dass sie aus deiner unmittelbaren Nähe kommen, von jemandem, dem du auf der Straße begegnen kannst."
Kaum Widerstand gegen Löschgesetz
Seine Grünen-Kollegin Renate Künast hat daraufhin einmal den Spieß umgedreht und die Absender von Hassbotschaften zu Hause besucht. Manche fanden das witzig. Geholfen hat es wenig. Drohungen gibt es gegen Politiker aller Bundestagsfraktionen. Kein Wunder, dass es im Juli bei der letzten Sitzung des Deutschen Bundestages vor der Wahl kaum Widerstand gegen das neue Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG) gab. Die Grünen lehnten es in Details ab. Dass jetzt reguliert wird, wollten aber viele im Hohen Haus.
Meinungsfreiheit bedroht
Genau das ist aus der Sicht von Niko Härting problematisch: "Die Meinungsfreiheit hat in Deutschland eine schwache Lobby", sagt der renommierte Berliner Internet-Anwalt. "Alle schauen immer nur darauf, was denn alles verboten werden sollte", was man alles nicht hören wolle. Vor allem in der Politik glaubten manche, "es müsse jetzt die Meinungsfreiheit der Mehrheit geschützt werden gegen allzu lautstarke Äußerungen der Minderheiten, solche Äußerungen kommen gelegentlich. Das ist natürlich ein ganz gefährlicher Irrweg." Er hegt Verständnis auch gegenüber Facebook. Der Konzern unterhält in Berlin ein eigenes Löschzentrum, in das die Firma bislang nur einer kleinen Zahl von Journalisten Zutritt gewährt hat. Wer sich bei Facebook zum neuen Löschzentrum erkundigt, wird in der Regel abgespeist - trotz der intensiven Debatte in Deutschland. Anwalt Härting war dort: "Die Dinge, die man dort sieht sieht, machen keine besondere Freude", formuliert er vorsichtig.
Gewalt und Pornographie
Es geht um Gewaltszenen und harte Pornographie, die da gelöscht werden. Ein schwieriger Weg sei das: Am Ende entscheide eine Privatfirma, was erlaubt sei und was nicht. Deshalb lehnt Härting das neue Löschgesetz auch ab. Was ist mit jemandem, der "bei Facebook gesperrt wird, weil er einen satirischen Beitrag geliefert hat, den irgendein Mitarbeiter von Facebook falsch versteht?" Der habe keinerlei Beschwerderecht. Der Internet-Anwalt sieht deshalb vor allem die Staatsanwaltschaften in der Pflicht. Dort müssten Sondereinheiten gegründet werden mit Experten, die sich mit der Materie auskennen.
Das sieht auch der Grünen-Abgeordnete Mutlu so. Dennoch will er Facebook nicht so einfach aus der Verantwortung lassen: "Facebook hat Algorithmen, die Beiträge sperren, sobald du irgendetwas gepostet hast, was nackte Haut zeigt. Wenn Facebook will, könnte es Algorithmen einbauen, die Straftatbestände festhalten - aber das Unternehmen will das nicht tun."