Polen: Startschuss für eine Schicksalswahl
10. August 2023Inoffiziell läuft der Wahlkampf in Polen bereits seit Monaten auf Hochtouren. Der Chef des national-populistischen Regierungslagers, Jaroslaw Kaczynski und der liberale Oppositionsführer Donald Tusk reisen kreuz und quer durch das Land, um eigene Anhänger zu mobilisieren und enttäuschte Wähler der Gegenseite für sich zu gewinnen.
Seit Mittwoch (9.08.2023) müssen diese Veranstaltungen nicht mehr länger als Picknick getarnt werden. Denn Polens Präsident Andrzej Duda hat endlich den 15. Oktober 2023 als Termin für den Urnengang bekannt gegeben und damit den Wahlkampf offiziell eröffnet.
Wahlkampf-Fehlstart für die Regierungspartei PiS
Dudas langes Zögern, obwohl noch im verfassungsrechtlichen Rahmen, verschaffte dem Regierungslager einen nach Ansicht der Opposition ungerechten Vorteil. Denn die zahlreichen Veranstaltungen, auf denen die Regierungsvertreter sich selbst und ihre Politik in den Himmel lobten, wurden aus Haushaltsmitteln finanziert - aus einer Quelle, die der Opposition verschlossen ist. Nachdem nun der Wahlkampf offiziell begonnen hat, muss jeder ausgegebene Zloty aus der Wahlkasse der Partei stammen und abgerechnet werden.
Trotz dieses Startvorteils begann für die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) das Rennen um die Mandate alles andere als optimal. Regierungschef Mateusz Morawiecki musste am Dienstag (8.08.2023) seinen Gesundheitsminister Adam Niedzielski feuern.
Der Minister hatte in grober Weise die Datenschutzvorschriften verletzt, indem er auf Twitter offengelegt hatte, dass ein ihm gegenüber kritisch eingestellter Arzt sich selbst Psychopharmaka verschrieben habe. Das ist eine bittere Niederlage für die Regierungspartei, weil Niedzielski eine wichtige Rolle im Wahlkampf spielen sollte. Seine Nachfolgerin, die 37-jährige Abgeordnete und Ärztin Katarzyna Sojka, soll nun als Frau das Image der PiS verbessern.
Kaczynskis Wahlthemen: Deutschland und Sicherheit
Angesichts des Mangels an Erfolgen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik setzt Kaczynski weiterhin auf antieuropäische und antideutsche Ressentiments. In einem Interview für die rechte polnische Wochenzeitschrift Sieci nennt er Tusk einen "Abgesandten der Brüsseler Bürokratie, die von Deutschland stark dominiert ist und immer brutaler versucht, Polen sich unterzuordnen". Tusk sei ein "aus Berlin gesteuerter Brüsseler Bürokrat", so der PiS-Chef. Bei einem früheren Auftritt hatte er gewarnt, dass Tusks Sieg das "Ende Polens" bedeuten würde.
Die Propagandamaschine der Regierung reagiert sofort auf jede polnisch-kritische Äußerung aus Deutschland, um die antideutsche Stimmung im Lande wachzuhalten. Dabei schrecken die rechten Propagandisten vor keiner Manipulation zurück. Das letzte Opfer: der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber. In einem ZDF-Interview bezeichnete der bayerische Politiker Weber die PiS als Gegner. Die regierungsnahen polnischen Medien übersetzten das Wort mit "Feind" und gingen zum Angriff über: "Ein Schlag gegen Polen", titelte die katholische Tageszeitung Nasz Dziennik. Weber "hat uns seine Feinde genannt. Das ist eine weitere solche Äußerung. Es ist genug!", empörte sich Morawiecki in einer Video-Botschaft. Der polnische Premier forderte Weber zu einem Fernsehduell auf, doch der EVP-Chef lehnte ab.
Panzer und Kampfflugzeuge als Wahlkampfargument
Neben Beziehungen zu Deutschland spielt für Kaczynski die Sicherheitspolitik eine wichtige Rolle. Als Reaktion auf die Gefahr aus Russland hat Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak massiv aufgerüstet und die polnische Armee modernisiert. Polen ist gerade dabei, die modernste Generation des Luftabwehrsystems Patriot zu installieren. In den USA hat Warschau F-35-Kampfflugzeuge und Abrams-Panzer gekauft. Doch auch bei diesem Lieblingsthema der Regierung hapert es. Vor Kurzem verletzten zwei belarussische Hubschrauber den polnischen Luftraum, ohne jede Reaktion seitens der polnischen Luftabwehr.
Am 15. August 2023 hat die Regierung in Warschau eine Gelegenheit, das Image der Streitkräfte aufzupolieren. An diesem Tag, an dem traditionell der polnische Sieg über die Rote Armee 1920 gefeiert wird, soll in der polnischen Hauptstadt eine Militärparade stattfinden. Die modernen Waffen sollen die Bürger beeindrucken und sie bewegen, der PiS ihr Vertrauen und ihre Stimme zu schenken.
Um mehr Menschen an die Wahlurnen zu bekommen, hat Kaczynski sich einen Trick bei Viktor Orban abgeguckt. Zusammen mit der Parlamentswahl soll - wie in Ungarn - ein Referendum über die Migration stattfinden. 2015 hat dieses Thema die Wahl zugunsten der PiS entschieden, doch diesmal scheint die Stimmung im Lande weniger aufgebracht gegen Migranten zu sein.
Tusk will mit "Marsch der Million" mobilisieren
Seitdem die Pläne der Opposition, mit einer gemeinsamen Liste in die Wahl zu gehen, gescheitert sind, zielt Tusk auf den Alleinsieg seiner Partei. Seine Bürgerplattform (PO) müsse als stärkste Kraft mit einem Fünf-Prozent-Vorsprung aus der Wahl herausgehen, sagte er, denn das polnische Wahlgesetz begünstigt die stärkste Partei. In den meisten Umfragen belegt die PiS den ersten Platz, doch der Vorsprung zur PO ist auf wenige Prozentpunkte geschmolzen.
Sowohl die libertäre Antisystem-Partei Konfederacja als auch die potenziellen Koalitionäre der PO - die Linke und das christdemokratische Bündnis Polska2050/PSL - liegen weit hinten.
Der letzte Vorwahl-Test der liberalen Opposition vor dem Urnengang soll der "Marsch der Million" am 1. Oktober 2023 in Warschau sein, zu dem Tusk aufgerufen hat. Im Mittelpunkt sollen dabei die Frauenrechte stehen. Auch Tusk stilisiert die Parlamentswahl zum Kampf zwischen Gut und Böse.
In einem sind sich die beiden Hauptrivalen Tusk und Kaczynski einig: Der Urnengang am 15. Oktober 2023 wird die wichtigste Wahl seit der demokratischen Wende von 1989. Damals hatten die Polen das kommunistische Regime per Wahlzettel gestürzt. Jetzt geht es um die Entscheidung: ein liberales oder illiberales Polen.