Wahmhoff: "Deutschland muss beim Artenschutz vorweg gehen"
3. März 2015Natur- und Artenschütz gehen davon aus, dass weltweit jährlich etwa 50.000 Tier- und Pflanzenarten aussterben. Ursachen sind Jagd, Überfischung, Zerstörung oder Schädigung der Lebensräume von Tieren wie der Regenwald, Export oder Einschleppung fremder Tierarten, aber auch die Verdrängung durch den Menschen, sei es durch Bevölkerungszuwachs oder Nutzung des Lebensraumes durch Landwirtschaft, Industrie, Tourismus.
DW: Herr Professor Wahmhoff, Biber, Wolf, Bär, Luchs, ausgewilderte Wisente, sogar der Elch - alles gefährdete Tierarten, die vom Menschen nahezu ausgerottet wurden - sind zurück in Deutschland. Ist das für sie eine gute Nachricht?
Werner Wahmhoff: Das ist auf jeden Fall eine gute Nachricht. Diese Tiere finden mittlerweile Bedingungen vor, die eine Wiederbesiedlung erlauben. Und das sind durchaus Erfolge des deutschen Naturschutzes.
Aber gleichzeitig wird über die Schäden diskutiert, die beispielsweise Biber anrichten, indem sie Bäume fällen und fließende Gewässer aufstauen. Auch Elche, die sich auf den verkehrsarmen und oft langen Straßen Skandinaviens bewegen und dort oft gut sichtbar sind, würden doch, in größerer Zahl, im dicht besiedelten Deutschland zu großen Problemen führen, oder nicht?
Das sehe ich so nicht aufgrund der Anzahl der Tiere. Richtig ist aber, dass der Mensch sich in jedem Fall auf diese Tiere einzustellen hat. Beim Biber haben wir das längst getan. Wenn Biber Hochwasserdeiche unterhöhlen werden sie eben umgesiedelt. Schafe werden wir in Zukunft durch Pferche vor Wolfsrissen schützen. Außerdem werden Herdenschutzhunde die Schafe behüten. Das sind reale Szenarien.
Aber wozu brauchen wir überhaupt Biber, Wölfe und Elche in Deutschland?
Diese Tiere gehörten zur Natur ehe sie ausgerottet wurden. Beim Biber hatte es der Mensch aufs Fell abgesehen. Nur wenige überlebten. Die haben sich von der Elbe aus wieder ausgebreitet. Und Naturschutz ist letztlich eine Kulturaufgabe. So steht es im Naturschutzgesetz. Wir haben uns als Gesellschaft die Aufgabe gestellt, die Natur - so wie sie in Deutschland vorkommt oder vorkam - zu schützen. Das heißt, dass wir gemeinsam mit den einheimischen Tieren und Pflanzen leben wollen.
Andererseits siedeln sich durch Einschleppung neue Arten an, wie der Waschbär aus Nordamerika, der asiatische Marienkäfer, der die einheimischen Marienkäferart verdrängt, das Grauhörnchen, dass das europäische Eichhörnchen bekämpft oder die chinesische Wollhandkrabbe. Besonders großen Schaden richtet die aus dem Indopazifik ins Mittelmeer gelangte Grünalgenart "Caulerpa taxifolia" an, die den Meeresboden überwuchert, sodass Lebewesen keinen Sauerstoff zum Leben haben. Können und müssen die invasiven Arten nicht aufgehalten werden?
Bei vielen Arten wird das nicht möglich sein. Generell muss man aber sagen, dass es an keinem Ort und zu keiner Zeit in der Welt eine starre Artenordnung gab. Das hat die Natur gar nicht vorgesehen. Die Evolution schreitet unaufhaltsam voran. Die Bedingungen an einzelnen Standorten verändern sich ständig im Laufe von Jahrhunderten, Jahrtausenden. Die Arten passen sich demzufolge an. Manche Menschen sehen das System eher statisch. Sie glauben, Naturschutz müsse nur konservieren. Das entspricht aber nicht dem Wesen der Natur, die sich fortlaufend ändert. Und da der Mensch die Globalisierung vorantreibt und er dafür verantwortlich ist, dass die Arten über Kontinente verschleppt werden, muss er in Kauf nehmen, dass sich Lebensräume und Artenzusammensetzungen verändern.
Wilderei, Verlust von Lebensraum, der Klimawandel. Es gibt zahlreiche Ursachen für den weltweit anhaltenden Rückgang der biologischen Vielfalt. Wie regelt Deutschland den Erhalt der Biodiversität?
Zum einen über das Naturschutzgesetz. Auf EU-Ebene über die FFH-Richtlinie (Anm. d. Red. Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume). Und da Naturschutz eine Angelegenheit der Bundesländer ist, haben wir unterschiedliche Ländernaturschutzgesetze. Ein Küstenland hat andere Naturschutzziele als ein Alpenland.
Für den Artenschutz setzt sich auch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) ein mit ihrem Tochterunternehmen "DBU Naturerbe GmbH"?
Richtig. Wir betreuen 60.000 Hektar ehemalige militärische Übungsflächen in neun Bundesländern, die das Militär nicht mehr benötigt. Sie sind vom Bund ins Eigentum der DBU-Naturerbe GmbH übergegangen. Auf diesen Gebieten haben sich seltene Tier- und Pflanzenarten erhalten und angesiedelt. Sie gelten als "nationales Naturerbe". Unsere Aufgabe ist es, diese Flächen auf Dauer so zu bewirtschaften, dass diese Artenvielfalt erhalten und möglicherweise vermehrt wird. Das sind wirkliche Perlen der Biodiversität in Deutschland.
Welche Arten siedeln sich auf ehemaligen Truppenübungsplätzen an?
Eine Besonderheit auf unseren Gebieten ist es, dass man Rotwild auf Offenlandflächen beobachten kann, das sonst vor dem Menschen in den Wälder zurückgezogen lebt. Die DBU-Naturerbefläche Oranienbaumer Heide bei Dessau gehört mittlerweile zu den biotop- und artenreichsten Gebieten des Landes Sachsen-Anhalt. Wo von 1945 bis 1992 die Sowjetarmee Militärübungen abhielt, entstand eine Heidefläche. Auf einer 800 Hektar großen Weidefläche, die wir darauf eingerichtet haben, wurden kleine Konik-Wildpferde und Ur-Rinder ausgesetzt. Seitdem hat sich auch der bedrohte Wiedehopf dort angesiedelt, weil er dort nun große Insekten wie Grillen oder Mistkäfer zum Verzehr findet, die den Kot der Pferde und Rinder vertilgen. Wenn die Nahrungsgrundlage da ist, siedeln sich entsprechende Arten an.
Sie sagen, das reicht nicht. Und fordern, dass Deutschland als eine der führenden Industrienationen, in der Pflicht steht, eine herausragende Rolle beim Artenschutz zu übernehmen. In welcher Weise?
Deutschland muss vorleben, dass es gelingen kann, keinen weiteren Artenrückgang in einem Industrieland zuzulassen. Momentan haben wir noch einen Rückgang zu verzeichnen bei bestimmten Tier- und Pflanzenarten. Aber hier müssen wir ansetzen, diesen durch gezielte Maßnahmen zu stoppen. Wir müssen uns fragen: Welches sind die am meisten gefährdeten Lebensräume? Wo befinden sich diese? Und wie können wir sie managen, sodass sie erhalten bleiben und sich bestenfalls wieder ausdehnen können. Das halte ich für machbar und finanzierbar in einem reichen Industriestaat.
Gibt es Arten, die Sie als besonders schützenswert einstufen?
Nicht direkt. Ich finde es vielmehr wichtig, seltene Lebensräume zu schützen. Das sind zum Beispiel Quellen oder früher extensiv genutzte Feuchtstandorte wie Streuwiesen. Dort wurde Einstreu für Stallungen produziert. Seit vielen Jahren findet diese Nutzung nicht mehr statt. Bestimmte Arten sind genau auf diesen Lebensraum angepasst. Ich wünsche mir, dass diese Flächen, wenn auch in kleinerem Umfang, wieder hergestellt werden könnten, um viele, auch unscheinbare Arten, in Deutschland zu erhalten.
Was kann Deutschland für die Biodiversität weltweit leisten - also für bedrohte Tierarten wie Walross, Löwe, Elefant, das Nördliche Breitmaulnashorn oder die Primatenart Indri?
Wir können den Ländern helfen, Strukturen zu schaffen für Schutzgebiete und für deren Finanzierung - zum Beispiel durch Tourismus. Wenn seltene Tiere für diesen Wirtschaftszweig von hoher Bedeutung sind, dann werden sie auch lokal geschützt.
Prof. Dr. Werner Wahmhoff ist stellvertretender Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), Prokurist und Fachlicher Leiter der DBU Naturerbe GmbH als gemeinnützige Tochter der Stiftung.
Das Interview führte Karin Jäger.