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Wahnsinn mit Methode: Das deutsche Schulsystem

Louisa Schaefer suc
6. Februar 2019

Eltern wollen immer das Beste für ihr Kind, gute Bildung ist da keine Ausnahme. Aber es ist gar nicht so einfach, in Deutschland die richtige Schule zu finden, findet unsere amerikanische DW-Reporterin Louisa Schaefer.

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Mädchen vor einer Schultafel
Bild: picture alliance/BeyondFoto

Man sollte meinen, es sei nicht schwer, sein Kind an einer weiterführenden Schule anzumelden. Man füllt ein paar Formulare aus, unterschreibt und reicht sie ein. Nicht so in Deutschland. Machen Sie sich auf eine Odyssee gefasst.

Meine ausländischen Freunde und ich machen uns manchmal über die berüchtigte deutsche Bürokratie lustig. "Warum einfach, wenn's auch kompliziert geht?" Das trifft definitiv auch auf das Bildungssystem zu. Erst letztens merkte ein australischer Freund an: "Man braucht einen Doktor, um das staatliche deutsche Schulsystem zu verstehen."

Bloß nicht die falsche Entscheidung treffen!

In Deutschland sind die 16 Bundesländer und nicht die Bundesregierung für das Schulsystem zuständig – und deswegen ist es auch alles andere als einheitlich. Okay, auf einige Dinge hat man sich geeinigt. Nach der Grundschule kommen Kinder in die 5. Klasse einer weiterführenden Schule (außer eben in Berlin und Brandenburg, da wechseln sie erst zwei Jahre später). Für die meisten Eltern beginnt das große Grübeln, wohin sie ihr Kind schicken sollen, aber schon, wenn die Sprösslinge noch die 4. Klasse besuchen. Von September bis Februar, also den ganzen Herbst und die Weihnachtszeit hindurch bis ins neue Jahr hinein überlegt man hin und her, um bloß nicht die falsche Entscheidung zu treffen.

Schulkinder mit Ranzen auf dem Rücken
In den meisten Bundesländern dauert die Grundschule vier JahreBild: picturealliance/dpa/P. Pleul

Fast jeden Samstag besucht man irgendeine Schule, die gerade einen Tag der Offenen Tür anbietet. Mit dem Kind im Schlepptau schaut man sich Klassenräume an und redet mit Lehrern und Schülern, um herauszufinden, ob die Tochter oder der Sohn hier gut aufgehoben wären. Das ist ziemlich zeitaufreibend. Ganz zu schweigen davon, dass man sich vor lauter wohlklingenden Angeboten wie im Supermarkt fühlt, wo man von Reihen unterschiedlichster Salatsoßen quasi erschlagen wird. Welche nehme ich nur? Man möchte eigentlich nur noch auf dem Absatz kehrtmachen und weglaufen.  

Im Februar wird es ernst: Die Kinder bekommen ihre Zwischenzeugnisse und die Eltern eine Empfehlung des Klassenlehrers, auf welcher weiterführenden Schule der Nachwuchs am besten aufgehoben wäre. Man muss sich entscheiden und kann dann nur hoffen, auch einen Platz auf der Schule seines Verlangens zu ergattern.

Ein hierarchisches System

Viele Deutsche hören das zwar gar nicht gern, aber das Schulsystem ist ziemlich hierarchisch aufgebaut und zwingt Schüler schon sehr früh, eine bestimmte Richtung einzuschlagen. Ich lebe in Nordrhein-Westfalen, wo es ein dreigeteiltes System weiterführender Schulen gibt. Da ist einmal das Gymnasium für die aufgeweckten Kinder meist wohlhabender Eltern, die mal studieren sollen. In der Realschule  finden sich Kinder wieder, die vielleicht einen Schreibtischjob anstreben, vielleicht aber auch nicht. Und  schließlich gibt es die Hauptschule, die zukünftige Handwerker und Arbeiter ausbildet. Daneben gibt es noch schulformübergreifende Gesamtschulen und Gemeinschaftsschulen.

Wenn sie ehrlich sind, müssen die meisten deutschen Eltern zugeben, dass sie stolz und erleichtert sind, wenn ihr Kind vom Lehrer eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommt. Ich hingegen finde, dass es viel zu früh ist, die schulische Laufbahn der Kinder schon in der vierten Klasse festzulegen. Meine Tochter hat zwar eine Empfehlung fürs Gymnasium, aber ich finde trotzdem nicht, dass sie schon in der 5. Klasse dorthin gehen sollte.

Schulkinder zeigen in der Klasse auf
Welche Empfehlung gibt die Klassenlehrerin wohl für den Nachwuchs? Bild: imago/photothek/F. Gaertner

Zu jung für den Wechsel 

Derzeit besucht sie noch eine Grundschule in einem Kölner Vorort - und da geht es fast zu wie im Märchen. Wenn ich sie und ihren Bruder dort abhole, gießen sie gerade die Petunien oder sind irgendwo auf dem Schulhof voller alter Baumriesen ins Spiel vertieft. Schafe und Hühner laufen auf dem Gelände herum und manchmal auch ins Gebäude hinein. Während der Pausen können sich die Kinder hier austoben. Sie lernen aber auch, was Empathie und Hilfsbereitschaft bedeutet: Denn in ihre Klasse gehen auch behinderte Kinder, denen sie wie selbstverständlich helfen. Und das alles in einer staatlichen Schule am Rand einer Millionenstadt.     

Ich bin mir sicher, dass das nicht die Regel ist. Aber wer würde seine Kinder im zarten Alter von zehn Jahren nicht gerne weiter hierher gehen lassen? Warum sollen sie schon im nächsten Jahr die gleiche Schule wie 15- und 16-jährige Teenager besuchen? Ich bin in den USA aufgewachsen, wo erst nach der Middle School (Klasse 6 bis 8) bzw. Junior High School (Klasse 7 und 8) die High School (Klasse 9 bis 12) besucht wird.

Spielende Kinder
In der Grundschule geht's nicht nur ums Lernen, sondern auch ums Spielen Bild: picture-alliance/dpa/R. Schlesinger

Warum können meine Kinder nicht bis zur sechsten Klasse in der Grundschule bleiben - so wie es in Berlin üblich ist? Und in vielen Ländern rund um den Globus? "In der vierten Klasse wollen die Kinder einfach nur spielen und nicht darüber nachdenken müssen, welche weiterführende Schule sie demnächst besuchen", sagte mir die Klassenlehrerin meiner Tochter. Da ist sie sich mit ihren Kollegen einig.  

Auch die in Frankfurt ansässige Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ist dieser Ansicht. "Es ist einfach zu früh, dann schon den weiteren Bildungsweg für Neunjährige festzulegen,  kommentierte die GEW gegenüber der Tageszeitung "Welt".

"In Brandenburg und Berlin setzen wir auf sechs Jahre Grundschule, damit die Kinder länger zusammen bleiben und gemeinsam lernen können", sagt Beate Stoffers, Pressesprecherin für Bildung in Berlin.

Der Weisheit letzter Schluss?

Ich habe mich entschieden: Meine Tochter (und ein Jahr später dann auch meinen Sohn) werde ich auf die Gesamtschule schicken und so das Dreiklassensystem umgehen. Es scheint mir gerechter und kommt der Amerikanischen High School, die ich besucht habe, am nächsten. Meine Tochter kann in der Gesamtschule Abitur machen, wenn sie möchte; ihr stehen aber auch andere Wege offen.

Ein Junge sitzt am Schreibtisc
Kinder brauchen Zeit, um ihre Fähigkeiten zu entwickeln Bild: picture-alliance/dpa/T. Eisenhuth

Ich bin mir sicher, das ist die beste Lösung. Zwar ist die Schule nicht gerade am Ende der Straße, sondern in einem ganz anderen Bezirk, circa 40 Minuten Busfahrt entfernt.  Ein langer Weg für eine Zehnjährige. Aber ich weiß, dass meine intelligente und charmante kleine Tochter ihren Weg auf der weiterführenden Schule machen wird. Und vielleicht wird sie ja tolle Lehrer haben, die ihr dabei helfen.

Und trotzdem: Warum muss es in Deutschland so kompliziert sein, die richtige Schule zu finden?  

 

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