Waldexperte: "Alte Wälder sind wie Kathedralen"
14. August 2019DW: Im Nordwesten der Türkei werden im Ida-Gebirge Zehntausende Bäume abgeholzt, um Gold zu gewinnen. Dagegen gibt es vor Ort viel Protest. Was bedeutet die Abholzung für die Region?
Peter Wohlleben: Gerade für die Türkei ist das eine Katastrophe. Im Sommer kann es dort sehr heiß sein und ohne Wald ist es im Gebirge staubtrocken. Und wir wissen aus der aktuellen Forschung in Deutschland, dass Wald die Temperaturen im Sommer teilweise um bis zu zehn Grad im Durchschnitt absenkt. Das ist in der Türkei nicht anders.
Gerade mit Blick auf den Klimawandel, wo es noch heißer, noch trockener wird, ist eigentlich jeder Baum unverzichtbar und sind solche Rodungen nicht schön. Zudem gibt es Pläne, diesen Bergbau zu erweitern und auch andernorts solche Minen zuzulassen. Das heißt: Dieses Projekt ist zugleich ein Symbol wie in Deutschland der Hambacher Wald.
Der Hambacher Wald ist nur zwei Quadratkilometer groß, aber ein Symbol für eine Waldrodung, die wir uns heutzutage nicht mehr leisten können. So ähnlich ist es in der Türkei. Nur, dort gibt es noch weniger Wald.
Das kanadische Bergbauunternehmen Alamos Gold will Cyanid zur Gewinnung des Goldes verwenden. Welche Auswirkungen hat Cyanid?
Wir wissen, dass Cyanid sehr giftig für die Umwelt ist. Wenn Cyanid ins Wasser gelangt, dann hat das ganz üble Auswirkungen für Bevölkerung und Natur. Im Januar 2000 gab es in Rumänien einen Dammbruch und auch die Türkei hat üble Erfahrungen mit einem Dammbruch in einem Silberbergwerk gemacht.
Aus diesem Grund sollte man Cyanid nicht verwenden und in der EU ist der Einsatz seit 2010 auch verboten. Auch gibt es Alternativen, sanfte Verfahren unter anderem auf der Basis von Mais. Deswegen ist es doppelt verwerflich, dass jetzt mit diesem Umweltkiller Cyanid weitergearbeitet wird.
Alamos Gold hat versprochen, die Wälder in der Türkei nach dem Ende des Goldabbaus in sechs Jahren wieder neu zu bepflanzen. Kann der Wald wieder so werden, wie er mal war?
Das halte ich fast für ausgeschlossen. Auch dazu gibt es Untersuchungen aus Deutschland. Wir hatten in Deutschland früher auch Urwälder und selbst nach 100 Jahren entsteht kein richtiger Wald durch Aufforstung.
Man muss wissen, dass die Zahl der Bäume nicht entscheidend ist. Es werden jetzt sehr viele alte Bäume gefällt und dafür sehr viele junge neu gepflanzt. Aber selbst 100 junge Bäume ersetzen nicht einen alten Baum. Die Bäume, die jetzt gefällt werden, sind teilweise mehrere hundert Jahre alt. Und die jungen sind ein billiger Ersatz und können wahrscheinlich den alten Wald zumindest in den nächsten Jahrhunderten nicht ersetzen. Es sieht zwar grün aus und klingt sehr plausibel. Tatsächlich ist und bleibt dies eine Katastrophe.
Wie lange würde es dauern, bis es wieder einen entsprechenden Wald gibt?
Wir kennen diese Anpflanzungen, diese Rekultivierungen auch aus dem Braunkohletagebau in Deutschland. Wenn es überhaupt gelingt, so werden rund 500 Jahre vergehen, bis ein richtiger Wald entsteht. Wir haben im Moment drängende Probleme in Bezug auf den Klimawandel, in Bezug auf Erosion und so weiter. Da sind 500 Jahre einfach zu lang. Die beste Lösung ist, einfach den Wald stehen zu lassen.
Wie wichtig sind diese Altwälder?
Wir betrachten Ökosysteme heutzutage immer unter dem Gesichtspunkt der Dienstleistung. Was tun sie für uns, für das Klima? Unbestritten leisten alte Wälder einen enormen Beitrag, in dem sie CO2 aus der Luft ziehen und in dem sie ihre Umgebung kühlen.
Aber eine ganz andere Frage: Warum wird Notre-Dame in Paris wieder aufgebaut? Was leistet Notre- Dame zum Klimaschutz, für die Umwelt? Gar nichts. Es ist ein Kulturobjekt und es ist es wunderbar, dass dies gemacht wird.
Und alte Wälder sind wie Kathedralen. Wenn wir sagen, dass wir uns den Erhalt dieser alten Wälder nicht mehr leisten wollen, dann sagt das sehr viel aus über unsere heutige Gesellschaft. Wir haben nicht mehr viel Natur. Das bisschen, was wir noch haben, sollten wir jetzt wirklich in Ruhe lassen.
Wie alt ist denn überhaupt ein Altwald?
Ein alter Wald ist natürlich relativ. In Deutschland sind die Bäume im Durchschnitt 77 Jahre alt. In einem Urwald sind die alten Bäume vielleicht im Durchschnitt 500 Jahre alt. Ich würde einen alten Wald so definieren, dass dort Bäume stehen, die mindestens über 100 Jahre alt sind. Und von solchen Wäldern gibt es in Deutschland nur noch wenige.
Auch in der Türkei gibt es kaum noch richtig alte Wälder. Wir haben hier in Europa und den angrenzenden Staaten eine Verantwortung und sollten vielleicht nicht so sehr nach Brasilien gucken. Dort gibt es noch 70 Prozent der ursprünglichen Amazonas-Regenwälder. Im Moment brennt hier bei uns, in dieser Weltregion die Hütte.
Peter Wohlleben ist Förster und Autor von "Das geheime Band zwischen Mensch und Natur" und andere Sachbüchern zum Thema Wald.
Das Interview wurde gekürzt und redigiert. Die Fragen stellte Tamsin Walker.
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