Norwegen hält am Walfang fest
31. März 2017Ab dem 1. April dürfen norwegische Fischer wieder aufs Meer fahren, um Zwergwale zu harpunieren. Die Quote liegt in diesem Jahr bei 999 Walen, 119 mehr als 2016. Während sich andere große Walfang-Nationen wie Australien schon lange vom Walfang abgewendet haben, hat Norwegen seine Quote über die Jahre insgesamt sogar gesteigert. Warum hält das Land so beharrlich an der umstrittenen Praxis fest?
Ole David Stenseth vom norwegischen Ministerium für Handel, Industrie und Fischerei hat eine scheinbar einfache Antwort: "Weil die Norweger Walfleisch auf ihrem Teller wollen." Solange die Menschen es weiterhin essen wollten, werde man die Tradition des Walfangs weiterführen.
Dagegen kommen mehrere Studien zu einem ganz anderen Schluss, nämlich dass Händler immer größere Probleme haben, das Walfleisch loszuwerden. Laut einer Umfrage der britischen Beratungsfirma für Umweltwirtschaft eftec aus dem Jahr 2011 verzehren lediglich fünf Prozent der Norweger oft Walfleisch. Fast 20 Prozent haben es noch nicht einmal probiert. Besonders die jüngeren Altersgruppen zeigen in der Umfrage wenig Interesse an dem Nahrungsmittel. Auch die NGOs Pro Wildlife, Ocean Care und Animale Welfare Institute sprechen in ihrem gemeinsamen Bericht "Frozen in Time. How Modern Norway Clings to its Whaling Past" von 2016 von "einer sinkenden nationalen Nachfrage".
Astrid Fuchs von der Wal- und Delfinschutzorganisation Whale and Dolphin Conservation (WDC) bestätigt: "Die meisten Norweger essen heutzutage höchstens noch hin und wieder beim Grillen Walfleisch. Die Industrie versucht zwar seit Jahren verzweifelt, das Interesse der Bevölkerung und des Tourismus-Sektors zu wecken, etwa mit 'hippen' Produkten wie Wal-Burgern, Wal-Sushi oder Wal-Salami. Aber das klappt nicht."
Walfleisch endet sogar als Tierfutter
Deswegen setze Norwegen verstärkt auf den Export von Walfleisch – vor allem nach Japan, das neben Island und den Faröer-Inseln einzige Land, das ebenfalls noch kommerziellen Walfang betreibt, und in dem der Handel mit dem Fleisch der Meeressäuger nicht verboten ist. Das Problem: Auch auf diesen Märkten stagniert die Nachfrage.
Für Diskussionen sorgt vor allem die Tatsache, dass norwegische Firmen dazu übergegangen sind, Zwergwale zu Tierfutter zu verarbeiten. So ist in Supermärkten "besonders proteinreiches" Hundefutter aus Walfleisch erhältlich. Dem Bericht "Frozen in Time" zufolge wurden 2014 mehr als 113 Tonnen – das entspricht rund 75 Zwergwalen – allein auf norwegischen Pelztierfarmen verfüttert.
Was für einen Sinn hat eine Erhöhung der Quote, wenn sich Walfleisch offenbar so schlecht verkauft, dass es sogar als Tierfutter endet? Astrid Fuchs erklärt: "Die Erhöhung der Quote soll ein politisches Signal der Stärke sein. Die norwegische Fischereilobby ist um ihre Eigenständigkeit besorgt und denkt, dass bei einem Nachgeben beim Walfang die Fischerei das nächste Thema ist, bei dem andere Länder ihr reinreden wollen."
Während die Fangquoten in den vergangenen Jahren immer wieder öffentlichkeitswirksam erhöht wurden, bleibt die Zahl der tatsächlich getöteten Zwergwale seit Jahren allerdings relativ gleich, zwischen 500 und 700 pro Jahr. Stenseth findet: "Dass die Quoten von der Industrie nicht ausgenutzt werden, ist schade. Das sind Ressourcen, die ausgenutzt werden sollten."
Die Internationale Walfangkommission – ein zahnloser Tiger?
Die Norweger pochen beim Walfang bereits seit Langem auf ihr Recht auf Selbstbestimmung – Als die Internationale Walfangkommission (IWC) 1982 das bis heute geltende internationale Verbot des kommerziellen Walfangs beschloss, konnten Mitglieder Widerspruch einlegen. Davon machte Norwegen Gebrauch und kann deshalb bis heute vollwertiges Mitglied der IWC sein, ohne an das Verbot gebunden zu sein. "Rechtlich gesehen ist das, was Norwegen macht, also leider in Ordnung" so Fuchs, "Die IWC kann Norwegen gegenüber nur Empfehlungen aussprechen. Sie verfügt über keine Sanktionsmöglichkeiten."
Seine jährlichen Quoten errechnet Norwegen zwar mithilfe eines Algorithmus, der auch von der IWC anerkannt ist. Doch das Land interpretiert den Algorithmus weniger konservativ als von der IWC empfohlen. Astrid Fuchs sieht die daraus resultierenden Quoten kritisch: "Zwergwale sind zwar nicht wie die meisten Wale vom Aussterben bedroht. Aber man muss berücksichtigen, dass sie sowieso schon unter Umweltverschmutzung und Beifang leiden." Bei einem Großteil der getöteten Zwergwale stelle sich zudem nachher heraus, dass es sich um trächtige Weibchen handele: "Sie sind langsamer und dementsprechend leichte Beute. Auf diese Weise tötet man die nächste Generation gleich mit."
WDC und andere Organisationen kritisieren außerdem immer wieder die Art und Weise der Tötung. Ein "optimaler" Harpunenschuss trifft den Wal direkt am Hinterkopf und tötet ihn mithilfe eines kleinen Sprengkopfs. Doch in der Realität zieht sich der Todeskampf oft minuten-, wenn nicht sogar stundenlang hin. Aufgrund des Wellengangs und der Bewegungen sowohl des Wals als auch des Fischerboots trifft der erste Schuss nur selten genau.
Walschutz ist Klimaschutz
Ob einem das Wohl der Wale nun am Herzen liegt oder nicht, ihr Schutz ist auch aus einem anderen Grund wichtig: Studien der vergangenen Jahre zeigen, dass Wale eine wichtige Funktion für das Ökosystem haben. Mit ihren Ausscheidungen düngen sie den Ozean, wodurch Phytoplankton wachsen kann. Dieser wiederum ist Nahrung für viele Tiere, produziert mindestens die Hälfte des Sauerstoffs in unserer Atmosphäre und absorbiert gleichzeitig CO2 aus der Atmosphäre.
Unterdessen unterstützt die norwegische Regierung offenbar entgegen eigener Aussagen den Walfang fleißig mit Subventionen. Während Stenseth behauptet, dass "der Wirtschaftszweig in keinster Weise subventioniert, sondern marktgesteuert" sei, haben verschiedenste Umweltorganisationen ganz andere Informationen. Pro Wildlife, Animal Care und Animale Welfare Institute sprechen von umgerechnet 2,4 Millionen Euro, mit denen die Regierung die Walindustrie seit den 1990er Jahren finanziell unterstützt haben soll. Dazu kämen weitere Maßnahmen wie etwa verbilligtes Benzin für Walfänger.
NGOs und zuletzt auch das weltweite Kampagnen-Netzwerk Avaaz versuchen, mit Unterschriftenaktionen Druck auf Norwegen auszuüben. Ziel ist unter anderem, dass andere Länder die Durchfahrt von norwegischen Walfleischtransporten verbieten. "Man sollte vor ökonomischen Schritten nicht zurückschrecken", findet auch Astrid Fuchs, "Es gibt einfach keinen Grund, der den so betriebenen Walfang rechtfertigen würde."