Wall Street skeptisch
12. November 2008Gleich nach Barack Obamas Wahlsieg sagte der viel zitierte New Yorker Ökonom Peter Cardillo zu den Plänen des künftigen Präsidenten nach mehr staatlichen Eingriffen: "Regulierung ist gut, zuviel Regulierung bringt Probleme." Das ist das allgemeine Credo an der Wall Street, wenn es um staatliche Eingriffe in Form von Rettungsaktionen geht, wie die Welt sie in den letzten Wochen eindrücklich besichtigen konnte.
Geschrei um den sich ausbreitenden Sozialismus wird leiser
Am 15. November findet der erste so genannte Weltfinanzgipfel statt, zu dem der noch amtierende US-Präsident George W. Bush nach Washington lädt. Die Wall Street zeigt sich skeptisch. Dabei hat staatliche Regulierung schon längst Einzug gehalten in die Welt der freien US-Märkte. Ob der weltweit tätige Versicherungskonzern AIG, dessen Rettungspaket erst kürzlich auf 150 Milliarden Dollar aufgestockt werden musste, das 700 Milliarden Dollar schwere Rettungspaket für die US-Banken oder das mögliche Carepaket für den angeschlagenen Autokonzern General Motors - der Staat hilft wo er kann.
Auch in politisch konservativen Kreisen ist das Geschrei um den sich verbreitenden finanziellen Sozialismus "made in USA" leiser geworden. Traditionelle Bedenkenträger bei staatlichen Eingriffen in die Märkte sind allerdings nach wie vor die Händler an der Wall Street. Sie halten den Weltfinanzgipfel für wenig sinnvoll, wie der Chefökonom bei Nomura Securities, David Resler, erklärt: "Man kann mit einer derartigen Konferenz unrealistische Hoffnungen wecken. Wir werden keine signifikanten Resultate sehen."
In den Schwellenländern fängt das Abenteuer Kapitalismus gerade erst an
Zwanzig Nationen werden sich an den runden Tisch setzen, dabei geht es um viel: Um Machtverschiebungen in der Welt, um Geld und nicht zuletzt um ideologische Grundsätze. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy fordert eine Moralisierung der Märkte, einen Verhaltenskodex für Bankmanager. Bush möchte die Demokratie und mit ihr die uneingeschränkt freien Märkte weitestgehend erhalten. Für Ökonom Resler bestehen die aber schon lange nicht mehr. Die massive Staatsintervention der letzten Monate habe dieses Konzept vorerst einmal zerstört.
Auch die großen Schwellenländer müssen mit einbezogen werden. Für viele von ihnen, wie Brasilien, China oder Indien fängt das Abenteuer Kapitalismus gerade erst an. Eine Regulierung der Märkte könnte je nach ideologischem Blickwinkel entweder das frühe Einschränken wirtschaftlicher Innovation oder aber ein Wachstum in kontrollierteren Bahnen bedeuten. Schwellenländer könnten den Eindruck gewinnen, mehr Regulierung werde ihr Wachstum beeinträchtigen, sagt der Ökonom Lakshman Achuthan vom Economic Cycle Research Institute: "Die Schwellenländer aber sind auf starkes Wachstum angewiesen, um ihre Zielvorgaben zu erfüllen."
Ein zweites Bretton Woods?
So manch einer glaubt gar an eine Wiederauflage des Abkommens von Bretton Woods. In Bretton Woods, einem Ort im US-Bundesstaat New Hampshire, fand 1944 eine Konferenz der Vereinten Nationen zu internationalen Fragen der Finanzen und Währungen statt. An dieser Konferenz nahmen 44 Staaten teil und beschlossen die Errichtung der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds. Es wurde ein System fester Wechselkurse mit dem US-Dollar als Leitwährung eingeführt. Das System von Bretton Woods endete 1973. Der Finanzprofessor Terrence Martell vom Baruch College in New York aber hält eine Neuauflage von Bretton Woods für ausgeschlossen, "weil die historische Situation damals einzigartig war und sich so heute nicht darstellt."
Auf der Konferenz wurden damals zwei Pläne für ein Weltwährungssystem diskutiert: Ein Vorschlag des Amerikaners Harry Dexter White und der Entwurf des Engländers John Maynard Keynes. Die unterschiedlichen Vorstellungen in den beiden Plänen lassen sich durch unterschiedliche Ausgangslagen erklären. Die Briten waren durch die Kriegsfolgen in eine ausgeprägte Schuldnerposition mit starkem Handelsdefizit geraten. Zudem war die Wiederherstellung der Vollbeschäftigung eines der Hauptziele ihrer Wirtschaftspolitik, der die beschäftigungspolitischen Möglichkeiten der Theorie von Keynes entgegenkamen. Auf die Amerikaner als Gläubigernation traf genau das Gegenteil zu.
Was also wird der Weltfinanzgipfel am Wochenende bringen? "Ich erwarte keine andere Erkenntnis, als die Erkenntnis, dass wir ein gemeinsames Problem haben", sagt Professor Martell. Er fordert mehr Transparenz und mehr Sicherheit, dass genug Kapital vorhanden ist. Martell weiß, dass es schwer ist, den Informationsfluss zwischen den Nationen zu vereinheitlichen, aber dass damit dem Problem von Kreditausfällen und schwindendem Vertrauen in die Märkte Abhilfe geschaffen werden könnte.
Die Erwartungen an den Gipfel sind also im Gastgeberland USA und insbesondere an der Wall Street, dem Ausgangsort der Tragödie, gering. Und deshalb wird die Enttäuschung, wenn im Anschluss keine Ergebnisse präsentiert werden, auch nicht so groß sein.