Wang Pengs erster Streik
5. Juli 2014In seinem kleinen Zimmer im Norden der Stadt Dongguan zuckt Wang Peng (Name geändert) mit den Schultern. "Die Bedingungen sind doch überall ähnlich", sagt der 24-Jährige. Dann denkt er kurz nach. "Naja", fügt er zögerlich hinzu. "Es ist schon sehr heiß in den Fabrikhallen." Die kleinen Ventilatoren an der Decke kämen nicht gegen die Hitze an, die entsteht, wenn Tausende Arbeiter die Nähte an Turnschuhen schweißen. Seit mehr als einem Jahr arbeitet er für den taiwanesischen Turnschuhhersteller Yue Yuen, der in diesem Frühjahr mit einem der größten Streiks in der chinesischen Geschichte in die Schlagzeilen gekommen war. Der Grund: Die Firma hatte für die Arbeiter jahrelang nicht in die Sozialversicherung einbezahlt.
"Als ich erfahren habe, dass sie unsere Beiträge hinterzogen haben, wurde ich wütend", erinnert sich Wang. "Morgens haben wir gehört, dass drei Abteilungen die Arbeit niedergelegt haben. Bereits am Nachmittag standen alle Fabriken still." (Artikelfoto oben) Für Wang Peng war es die erste Erfahrung mit Rebellion. Seit er 16 ist hat der Bauernjunge in den Fabriken von Chinas Industrieprovinz Guangdong gearbeitet. Selten habe er mehr als die 2000 Yuan verdient, die er jetzt bekommt. Das sind knapp 250 Euro und auch für Industriearbeiter in der Industrieprovinz Guangdong eher wenig. "Wenn man keine Ausbildung hat, kann man nicht auf mehr hoffen", sagt er.
"Werkbank der Welt"
Die taiwanesische Firma Yue Yuen hat gleich mehrere große Fabriken hier in Gaobu, einem Vorort der Industriestadt Dongguan. Außerdem unterhält der Hersteller Wohnheime und ein eigenes Krankenhaus. Yueyuen ist eine jener Fabriken, die der südchinesischen Provinz Guangdong - früher wurde sie im Westen Kanton genannt - den Beinamen "Werkbank der Welt" eingebracht haben. Yue Yuen produziert die Turnschuhe fast aller großen Weltmarken: Adidas, Nike, Puma, Reebok. 300 Millionen Paar Schuhe verlassen die Fabrik jedes Jahr. Als die Maschinen im April plötzlich stillstanden, strömten rund 50.000 Arbeiter aus den Werkshallen auf die Straßen.
Der Streik bei Yue Yuen war einer der größten in China in den letzten Jahren. Aber es war bei weitem nicht der einzige in der Provinz. Schlagzeilen machten in den vergangenen Jahren große Streiks bei Weltmarken wie Honda oder Nokia. Der Soziologe Sun Liping von der Tsinghua-Universität in Peking schätzte vor einigen Jahren, dass es jährlich in China zu 180.000 so genannten "Massenzwischenfällen" - also spontanen Protestaktionen - kommt. Darunter sind Proteste gegen Umsiedelungen, gegen die Willkür von Beamten, den Verkauf von Land in Gemeinschaftseigentum und eben Arbeiterproteste und Streiks.
"Diese spontanen Streiks entstehen, weil die Arbeiter keine Möglichkeit haben, gleichberechtigt mit den Arbeitgebern zu verhandeln", sagt Chen Huihai. Auch er war einmal Industriearbeiter. Stolz fingert er aus seinem Kragen einen Jadebuddha an einer roten Schnur - ein Andenken an seine Zeit als Arbeiter in Schmuckmanufakturen. Dann geriet er in Streit mit seinem Arbeitgeber und begann sich für die Arbeitsgesetze zu interessieren. Heute arbeitet er für eine gemeinnützige Organisation. Das Anwaltsbüro "Laowei" berät Arbeiter und verteidigt sie vor Gericht. Chen, der ehemalige Goldschmied, vertritt Arbeiter in Verhandlungen mit dem Arbeitgeber und informiert sie über ihre Rechte. "Wenn wir kein Verfahren finden, um die Arbeiter als Gruppe in Verhandlungen zu vertreten, wird es immer mehr solcher wilden Streiks geben", prophezeit er. Diese Botschaft ist inzwischen auch bei der Provinzregierung angekommen. Seit einiger Zeit wird dort über ein "Gesetz über Kollektivverhandlungen" diskutiert.
Regierungstreue Gewerkschaften
Nur: Wer soll die Arbeiter vertreten? In China ist es strengstens verboten, unabhängige Gewerkschaften zu bilden. Die einzige zugelassene Arbeitnehmerorganisation ist der Allchinesische Gewerkschaftsbund, der sich vor allem durch seine Treue zur Regierung auszeichnet. "Die Gewerkschaft soll die Arbeiter anleiten, gewissenhaft die Produktion voranzubringen und ihre Arbeit zu erledigen", heißt es im Gesetz.
Immer öfter übernehmen deshalb kleine Organisationen und Aktivisten wie Chen die Aufgabe, Arbeiter über ihre Rechte aufzuklären. "Caogen Zuzhi" nennen die Chinesen solche Organisationen - Graswurzelorganisationen. Häufig werden sie von Arbeitern gegründet, die selbst in Konflikt mit ihrem Arbeitgeber geraten sind. Arbeiter werden Opfer von Unfällen, sie beginnen sich mit den Gesetzen über Entschädigungen auseinanderzusetzen und fangen dann an, selbst ihre Informationen weiterzutragen. Bei ihrem ersten Besuch in China im Jahr 2006 erregte Angela Merkel Aufsehen, als sie darauf bestand, drei solcher Wanderarbeiter-Aktivisten zu treffen. Seitdem ist Bewegung in die chinesische Arbeiterschaft gekommen. Etwa hundert solcher Graswurzelorganisationen gebe es im Bereich Arbeitsrechte, schätzt Apo Leong, Präsident der Gesellschaft für Soziale Sicherheit in Hong Kong. "Die jungen Arbeiter sind heute eher bereit, gemeinsam für ihre Rechte zu kämpfen", sagt Leong. Wir erleben gerade eine neue Etappe der chinesischen Arbeiterbewegung."
Die Grenzen für diesen Aktivismus sind allerdings eng. Als zwei Aktivisten Kontakt zu den Streikenden bei Yue Yuen aufnahmen, wurden sie von der Polizei festgenommen und mehrere Wochen festgehalten. Und auch gegenüber den Arbeitern war die Reaktion des Staates harsch. Während der Proteste riegelte die Polizei das Gebiet ab. "Plötzlich waren überall Agenten der Regierung", erinnert sich Wang Peng. Mit Polizeigewalt wurde der Streik schließlich beendet. Die Firma versprach zwar, ab dem ersten Mai 2014 alle Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen. Die fehlenden Beiträge der letzten Jahre wurden aber nicht nachgezahlt.
"Jeder konnte sich auf einer Liste eintragen", sagt Wang Peng. Er gehe davon aus, dass die Beiträge jetzt abgeführt werden, sagt er. Nachgeprüft hat er es noch nicht. "Ich bin nur halb zufrieden", seufzt er dann. "Der Lohn ist immer noch genauso niedrig."