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KonflikteSerbien

War die Schusswaffenamnestie in Serbien ein Erfolg?

4. Mai 2024

Im Mai 2023 haben zwei Amokläufe in Serbien eine Debatte über Schusswaffen ausgelöst. Nach Regierungsangaben wurde seither der legale Schusswaffenbesitz deutlich reduziert. Doch Experten sehen andere Gefahren.

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In einer Halle liegen zahllose ausgestellte Waffen am Boden, ein Polizist steht davor
Für die serbische Regierung ein Erfolg: Ausstellung der abgegebenen registrierten WaffenBild: OLIVER BUNIC/AFP/Getty Images

"Wir alle besitzen Schusswaffen, aber niemand gibt es offen zu", sagt Ivan M. aus Novi Sad. Die vollständigen Namen der Personen, die mit der DW gesprochen haben, sind der Autorin bekannt. Ivans Familie hält sich bedeckt, wie viele Schusswaffen sie besitzt.

Ivona R. aus Novi Sad gibt zu, dass sie eine Waffe von ihrem verstorbenen Vater geerbt habe. Auch Goran P. aus einer Kleinstadt in der Provinz Wojwodina sagt, dass er schon fast sein ganzes Leben lang eine Schusswaffe besitzt.

Alle, die mit der DW über Waffenbesitz in Serbien gesprochen haben, führen ein ruhiges Leben und fühlen sich sicher. In Serbien ist der Besitz von Schusswaffen oft eher auf Traditionen als auf echte Sicherheitsbedrohungen zurückzuführen.

Das deckt sich auch mit der Einschätzung der Sicherheitsexpertin Branislava Kostic: "Die Zivilbevölkerung ist hier oft besser bewaffnet als die Polizei. Viele besitzen Waffen aus traditionellen Gründen, weil sie glauben, dass das Familienoberhaupt eine Waffe besitzen sollte. Diese kulturelle Norm wird bei Veranstaltungen wie Hochzeiten und Feiern deutlich."

Viele Zivilisten in Serbien besitzen Waffen

Diese kulturelle Affinität zu Schusswaffen wird durch das Forschungsprojekt Swiss Small Arms Survey bestätigt, das Serbien 2017 beim zivilen Schusswaffenbesitz auf Platz drei der Weltrangliste führt, hinter dem Jemen und den USA. Der Umfrage zufolge gibt es in Serbien etwa 39 leichte Waffen pro hundert Einwohner.

Zwei Amokläufe im Mai 2023 mit 17 Toten und 21 Verletzten lösten jedoch ein kurzfristiges Umdenken aus.

Ein weinender Mann und eine junge Frau vor abgelegten Blumen
Tauer um die Opfer eines Amoklaufs an eine Schule in BelgradBild: Zorana Jevtic/REUTERS

Serbische Schusswaffenamnestie im Jahr 2023

Der Staat reagierte mit einer umfassenden Entwaffnungskampagne. Zwei Monate lang konnten die Bürger nicht registrierte Schusswaffen abgeben, ohne dass ihnen Konsequenzen drohten. Dabei wurden mehr als 80.000 Schusswaffen, über vier Millionen Schuss Munition und mehr als 26.000 Sprengkörper eingesammelt. Die Regierung feierte die Aktion als durchschlagenden Erfolg.

"Was nicht gut war, war die Art und Weise, wie diese Waffen abgegeben wurden, denn wir haben Informationen, dass Leute Bomben in öffentlichen Verkehrsmitteln transportiert haben", erzählt Marina Kostic Sulejic vom Berufsverband der Sicherheitsbranche. Sie betont, dass sicherere Verfahren und ein professioneller Umgang mit abgegebenen Waffen erforderlich seien.

Wo sind die abgegebenen Waffen geblieben?

Die Sicherheitsexpertin Kostic kritisiert, wegen fehlender Aufsicht und Dokumentation sei es zu Missbrauch und Diebstahl von abgegebenen Schusswaffen gekommen. "Die mangelnde Transparenz über den Verbleib der abgegebenen Waffen gibt Anlass zur Sorge", so Kostic. "Ohne die Dokumentation, ob die Waffen vernichtet, gelagert oder möglicherweise verkauft und anderweitig verteilt wurden, wissen wir nicht, was mit einer großen Menge an Schusswaffen geschehen ist", sagt auch Kostic Sulejic.

Blick auf zahlreiche Waffen
Nur ein Tropfen auf den heißen Stein? Abgegebene Waffen hier in SarajewoBild: OLIVER BUNIC/AFP/Getty Images

"Ich kaufe einfach illegal eine neue"

Die Personen, die mit DW gesprochen haben, haben ihre Schusswaffen nicht bei der Polizei abgegeben. Und sie waren nicht die Einzigen. Daher führten die serbischen Strafverfolgungsbehörden Tür-zu-Tür-Kontrollen durch, um die Genehmigungen für den Besitz von Schusswaffen zu überprüfen.

Goran P. erzählt, er habe gute Erfahrungen mit der Polizei gemacht. "Die Beamten waren sehr freundlich. Ich sollte etwa 200 Euro zahlen, um meine Schusswaffe zu behalten", sagte er. "Daraufhin beschloss ich, sie abzugeben. Ich werde einfach eine andere illegal kaufen. Was macht das schon für einen Unterschied?"

Expertinnen und Experten sind wenig überrascht von dieser Einstellung. Kostic schätzt, dass es bis zu 80.000 solcher Fälle gegeben haben könnte. Die Serben halten offenbar unbeirrt an ihrem Wunsch fest, Schusswaffen zu besitzen.

Zunahme von illegalem Waffenbesitz in Serbien?

Ist der von der Regierung gefeierte Rückgang von etwa 766.600 auf 575.600 registrierter Schusswaffen nur ein Tropfen auf den heißen Stein? Tatsächlich deutet alles darauf hin, dass der illegale Waffenbesitz in Serbien derzeit zunimmt.

"Wir sehen, dass die Zahl der Waffen auf den Straßen zunimmt, was bedeutet, dass es mehr davon auf dem Schwarzmarkt gibt", sagt Kostic Sulejic. "Die Frage ist, woher sie kommen. Es ist möglich, dass es sich um Missbrauch der abgegebenen Waffen handelt. Zudem gehen viele Waffen in die Ukraine, aber es kann sein, dass einige dieser Waffen wieder auf den Schwarzmarkt gelangen."

Demonstrierende mit Plakaten
Unter dem Motto "Serbien gegen Gewalt" sind nach den Amokläufen viele Serben auf die Straße gegangenBild: Vesan Lalic/AA/picture alliance

Wenn Gewalt in der Gesellschaft normal wird

Die Wirksamkeit der Regierungsmaßnahmen bleibt also fraglich. Laut einer Untersuchung des Belgrader Zentrums für Sicherheitspolitik zögert die Regierung, die Vorschriften für Schusswaffen zu verschärfen. Vorgeschlagene Reformen, wie etwa strengere Zulassungskriterien und Gesundheitsprüfungen, werden mit Hinweis auf rechtliche Beschränkungen nicht umgesetzt.

Außerdem gibt es nur wenige Statistiken über Gewalt in der Gesellschaft. Trotz der Bemühungen, die Zahl der Waffen zu reduzieren, kommt es immer wieder zu Gewalttaten. Branislava Kostic zeichnet ein düsteres Bild: "Wir sind definitiv dabei, eine Gewaltgesellschaft zu werden. Eines dieser Kriterien ist, dass die Menschen mit der Zeit Gewalt als normal akzeptieren", so Kostic.

Eine Adaption aus dem Englischen von Sabine Faber.