1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Der Kampfauftrag ist definitiv vorbei"

Sven Pöhle19. September 2014

Wie geht es weiter in Afghanistan nach dem Abzug der ISAF-Truppen? Bundeswehr-Generalmajor Dieter Warnecke spricht im DW-Interview über Probleme und Perspektiven des Landes.

https://p.dw.com/p/1DFZh
Bundeswehrsoldaten warten am 04.10.2013 auf den Transport zum Abflug aus dem Feldlager Kundus in Afghanistan (Foto: Foto: Michael Kappeler/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Herr General, wie hat sich die Sicherheitslage in Afghanistan seit den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr entwickelt?

Generalmajor Dieter Warnecke: Ich glaube, dass wir seit April leider eine Art Machtvakuum haben in Afghanistan, seit der Wahl und dem anhaltend schwierigen Prozess mit Blick auf das Wahlergebnis. Die afghanische Regierung ist de facto eingeschränkt funktionsfähig. Wir haben noch keine Klarheit darüber, wer als neuer Präsident das Land in die Zukunft führen wird. Und dadurch ist natürlich auch die Sicherheitslage durchaus schwierig geworden. Die Sicherheitskräfte brauchen Führung, sie brauchen Klarheit und Entscheidung aus Kabul. Bleibt dies aus, erhalten die Aufständischen durchaus wieder Raum, Dinge zu machen, die sie zuvor nicht machen konnten. Ich glaube aber, dass das heilbar ist, sobald über einen Präsidenten entschieden ist.

Generalmajor Dieter Warnecke (Foto: Bundeswehr /PIZ SKB)
Generalmajor Warnecke: "Das Kapital Afghanistan ist mit dem Ende des ISAF-Mandats nicht vorüber"Bild: Bundeswehr/PIZ SKB

Haben Sie Sorge, dass bald wieder Fahnen der Aufständischen über Städten in Afghanistan wehen könnten?

Zweifellos haben wir, wenn das Machtvakuum in Afghanistan weiter besteht, eine durchaus kritische Situation. Es ist dringend erforderlich, dass wir in Afghanistan eine Entscheidung bekommen, wie es weiter gehen soll. Die NATO ist vorbereitet zu unterstützen, eine Folgemission ist geplant. Was wir brauchen ist eine Entscheidung der Afghanen ob und wie sie die Zukunft ihres Landes gestalten wollen.

Weiter gehen soll es im Rahmen der Folgemission "Resolute Support" mit der Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte. Was sollen sie leisten und was können sie bereits leisten?

Der Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte ist ein Erfolgsmodell. Dies haben wir mit dem NATO-Einsatz erreicht. In den letzten zwölf Jahren haben wir sie aufgebaut, trainiert, ausgerüstet. Strukturell und quantitativ sind sie da. Was noch fehlt in qualitativen Bereichen: Sie brauchen noch Hochwertberatung im Beschaffungsprozess, in der Ersatzteilbeschaffung, in der Logistik, ein bisschen vielleicht auch in der Luftwaffenunterstützung. Es fehlen also noch hochqualifizierte Beratungsleistungen, die die Armee und die Polizei dann noch durchhaltefähiger machen. Kämpfen können die, das brauchen wir nicht mehr tun. Ein Kampfauftrag für die NATO ist kein Thema mehr.

Die Verluste der afghanischen Sicherheitskräfte sind in letzter Zeit deutlich gestiegen. Zudem desertieren viele Soldaten. Benötigt die afghanische Armee eine Attraktivitätsoffensive, wie sie derzeit die Bundeswehr durchläuft?

Es stimmt, die afghanische Armee hat sicherlich hohe Personalverluste, vor allem durch verwundete oder durch gefallene Soldaten, aber auch durch Soldaten, die aus den verschiedensten Gründen von der Fahne gehen. Ich glaube aber, das System ist so stark, dass man das verkraften kann. Die afghanische Armee kann jedes Jahr ausreichend Rekruten gewinnen und ausbilden. Sie werden nicht schwächer, sie halten ihre Stärke. Eine Attraktivitätsoffensive brauchen die afghanischen Sicherheitskräfte nicht. Was sie brauchen sind bessere Führungsqualitäten.

Wie geht es weiter mit der Bundeswehr in Afghanistan - vor allem falls es kein Sicherheitsabkommen geben sollte?

Wir sind darauf eingestellt, dass wir die Folgemission "Resolute Support" leisten aus Masr-i-Sharif und aus Kabul. Unsere Pläne sind fertig, alles ist bereit für deren Umsetzung. Das wäre unsere Priorität. Wenn es kein Abkommen geben sollte, dann ist das natürlich eine schwierige Situation für die NATO. Denn ohne Sicherheitsabkommen ist der Einsatz der Soldaten in Afghanistan rechtlich schwierig. Das könnte bedeuten, dass man bis Ende des Jahres aus Afghanistan herausgehen müsste und das würde natürlich dann schon jetzt einen ziemlichen Druck ausüben. Ich glaube allerdings nicht, dass es soweit kommt.

Wenn es ein Abkommen gibt, was wären die Aufgaben der Bundeswehr?

Eins steht fest: Falls es eine Einladung der afghanischen Regierung in Form eines neuen Abkommens geben sollte, werden wir keinen Kampfauftrag mehr haben. Das ist definitiv vorbei. Das können die afghanischen Sicherheitskräfte - und das ist ja auch unser Erfolg - alleine. Sie brauchen die Unterstützung in ihrem System, sie brauchen diese Hochwertberatung. Sie brauchen "train, advise and assist" (Anm. d. Redaktion: fortgesetzte Ausbildung und Unterstützung), so nennen wir das mit unserer operativen Sprache. Ein ganz einfaches Beispiel: Sie müssen etwa lernen sich Ersatzteile zu beschaffen und einzukaufen. Dahinter steht ein System, das sich viele Armeen erst im Laufe der Jahre erarbeitet haben. Das fehlt dort noch ein bisschen.

Hat denn eine Folgemission in Afghanistan ausreichend Rückhalt in der deutschen Bevölkerung?

Das wäre natürlich sehr wünschenswert. Das Kapitel Afghanistan ist mit dem Ende des ISAF-Mandats noch nicht vorüber. Wir als deutsche Nation sind mit Afghanistan eine langfristige Partnerschaft eingegangen. Der militärische Anteil in Form von Hochwertberatung wird vielleicht noch eine kurze Periode andauern, aber der zivile Anteil hat noch sehr viele Aufgaben zu bewältigen, die im Moment noch nicht vollständig gelöst sind.

Generalmajor Dieter Ernst Warnecke (58) ist Abteilungsleiter Einsatz im Kommando Streitkräftebasis in Bonn. 2013 war er stellvertretender Kommandeur im ISAF Joint Command in Afghanistan. Zuvor war er bereits als Kommandeur des Regional Command North in Masar-i-Sharif im Land.

Das Interview führte Sven Pöhle