Warum altern unsere Zellen?
6. Oktober 2009Die Forschungsergebnisse der drei kreativen Molekularbiologen aus den USA finden sich mittlerweile in jedem einschlägigen Lehrbuch und könnten eines Tages zu neuen Medikamenten führen, etwa gegen Krebs und Erbkrankheiten.
"Sehr originell, eigentlich geradezu frech!"
Das Trio, das sich die mit umgerechnet mehr als 900.000 Euro dotierte höchste wissenschaftliche Auszeichnung der Welt teilt, arbeitete in den vergangenen drei Jahrzehnten "in verschiedenen Kombinationen" zusammen. Gemeinsam, auf die Forschungsergebnisse der jeweils anderen aufbauend, fanden sie heraus, was eine Zelle altern lässt, was sie dagegen tun kann und was passiert, wenn diese Reaktion aus dem Ruder läuft. Die langjährige Zusammenarbeit der drei wurde gekrönt durch völlig neuartige Therapieansätze gegen das Altern und gegen Krebs.
"Die Experimente, die Blackburn und Szostak 1982 zusammen durchgeführt haben, waren sehr originell, eigentlich geradezu frech", sagt Nils-Göran Larsson, Mitglied der Nobelversammlung und Jury-Mitglied.
"Ende" heißt "TAGGG", 3000 Mal wiederholt
Elizabeth Blackburn, die als kleines Mädchen in ihrem Geburtsland Tasmanien gerne mit Tieren sprach und ihnen vorsang, lernte die lautlose Sprache der Chromosomen und entzifferte grundlegende Kommandos in der Erbgutsprache. "Das Chromosom endet hier", lässt sich zum Beispiel mit der Baustein-Kombination TAGGG, 3000 Mal hintereinander, schreiben.
Dass diese Endstücke, diese Telomere (griechisch für "End-Stück"), eine wichtige Funktion haben, fand schließlich ihr Kollege Jack Szostak heraus.
Er konnte beweisen, dass die Telomere die Chromosomenfäden vor dem Ausfasern und Zusammenkleben schützen wie Plastikhülsen die Schnürsenkel. Er beobachtete außerdem, dass sich diese Schutzhülsen abnutzen und bei jeder Teilung der Zelle kürzer werden. Damit hatte Szostak nichts geringeres als das Geheimnis des Zell-Alterns gelüftet.
Jungbrunnen entdeckt
Jacks Szostaks Erkenntnisse regten Elizabeth Blackburn zu neuen Untersuchungen an. Mit von der Partie: ihre damalige Doktorandin Carol Greider, die sich trotz ihrer Legasthenie durch die Fachbücher kämpfte und die Sprache der Gene so gut buchstabieren lernte wie kaum ein anderer. Am Weihnachtstag 1984 entdeckte die damals erst 23-jährige Doktorandin einen Hinweis auf einen Jungbrunnen in ihren Zellkulturen: ein Enzym, dass die abgenutzten Telomere wieder verlängert und so die Zelle vor dem Altern schützt. Dieses Jungbrunnen-Enzym, über das die Medien schon damals begeistert berichteten, tauften die beiden Forscherinnen Telomerase.
Lässt sich die Uhr des Lebens anhalten?
"Ihre Entdeckung wird sehr, sehr viele Konsequenzen für die Medizin haben. Aber wann, das kann man nicht sagen", urteilt Nobel-Jurymitglied Larsson. Ähnlich sieht das Lenhard Rudolph, der die Max-Planck-Forschungsgruppe für Stammzellalterung der Uni Ulm leitet und dort ebenfalls an Telomeren forscht. Noch sei es zu früh für die Anwendung von Telomerase-Medikamenten, die kürzer gewordene Telomere in den Zellen wieder nachwachsen lassen. Über kurz oder lang ist aber auch er überzeugt, dass "Telomerase die Regenerationsfähigkeit von Geweben verbessern kann".
"Zum Beispiel könnte eine Telomer-Therapie die Blutbildung verbessern", so Rudolph, "denn viele Menschen entwickeln gerade im Alter eine Blutarmut." Auch Abwehrzellen des Körpers, so genannte Lymphozyten würden im Alter schwächer. Auch die könnten durch so etwas wie eine Telomerase-Therapie gestärkt werden, hofft Rudolph.
Doch so verlockend die Jungbrunnen-Therapie klingt, Rudolph hält sie für ein zweischneidiges Schwert. "Der Alterungsprozess, die Begrenzung der Teilungsfähigkeit unserer Zellen, ist kein Unfall, sie ist ein Schutz vor Tumorentstehung." Tatsächlich haben Krebszellen zu viel Telomerase in sich und hören gar nicht mehr auf, sich zu teilen.
Auch bei der Anwendung von Telomerase im Gewebe würde sich das Krebsrisiko erheblich erhöhen, fürchtet Lenhard Rudolph. Man dürfe das aktive Enzym "nur zeitlich begrenzt" einsetzen.
Autorin: Ulrike Wolpers
Redaktion: Judith Hartl