Warum Widerstand?
15. März 2013"Die zehn Gerechten" - lautete ursprünglich der Arbeitstitel des Buches "Stauffenbergs Gefährten". Geschrieben haben es die Grünen-Politikerin Antje Vollmer und der Journalist Lars-Broder Keil. In ihrem Buch stellen sie zehn Personen vor, die exemplarisch für die Beteiligten des Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944 stehen. Dabei fällt den meisten Deutschen der Name Claus Graf Schenk von Stauffenberg ein, jener Mann, der den Sprengsatz platzierte, der Hitler töten sollte. Dass hinter dem misslungenen Attentat ein ganzes Netzwerk von Verschwörern stand, ist beinahe in Vergessenheit geraten. Ewald Heinrich von Kleist war ein solcher "Gerechter". Ihn hat das Autorenduo im Sommer 2012 interviewt. Von Kleist war der Jüngste unter den Verschwörern und kam mit dem Leben davon. 180 Mitstreitern des militärischen Widerstands vom 20. Juli war das nicht vergönnt. Auch das macht deutlich, wie lebensgefährlich der Mut war, den von Kleist bewies.
Von Kleist entstammte einer alten Gutsbesitzerfamilie und wurde 1922 auf dem Besitz der Familie in Pommern geboren. Heute heißt der Ort Smecino und gehört zu Polen. Es war gute Familientradition, dem Staat in militärischen und administrativen Funktionen zu dienen. Doch den Nationalsozialismus lehnten die von Kleists ab. Ewald Heinrichs Vater gehörte schon vor Hitlers Machtübernahme zu den Gegnern der NSDAP. 1938 reiste er sogar nach London, um auszuloten, ob das westliche Ausland einen Putsch der Wehrmachtsspitze gegen das NS-Regime unterstützen würde.
Schockierende Erfahrungen im Russlandfeldzug
Auch der junge von Kleist nahm am Zweiten Weltkrieg teil. Während des Russlandfeldzugs meldete er sich zur Kompanie des späteren Mitverschwörers Klausing im Infanterie-Regiment 9. Was der junge Mann von knapp 20 Jahren an der Front sah, schockierte ihn zutiefst. Daraus leitete er seine persönliche Motivation ab, sich dem Widerstand anzuschließen: "Mich interessierte vor allem das Schicksal der vielen Millionen Menschen." Er selbst habe das Glück gehabt, auf unterer militärischer Ebene viele Kriegseinsätze zu überstehen. Dabei habe er hautnah erlebt, wie Soldaten qualvoll starben, für deren Schicksal er als Befehlender verantwortlich war. "Ein Bauer, der immer nur traurig war, weil er an seine Felder und an seine Familie dachte. Oder der Mensch, der für uns immer gesungen hat, der dann plötzlich mit Bauchschuss dalag und sagte: 'Herr Leutnant, jetzt kann ich nicht mehr für sie singen.' Schrecklich."
Von Kleist und seine Mitstreiter schwammen gegen den Strom. "Alles, was sie planten und taten, war durch einsame Entscheidungen und unsichere Erfolgsaussichten gekennzeichnet", schreiben Vollmer und Keil. Sie mussten davon ausgehen, dass sie nicht Volkes Willen ausführten, selbst wenn ihnen der Tyrannenmord gelang, konnten sie nicht mit Zustimmung rechnen. "Sie waren allein", fassen die Autoren zusammen. Was die zehn Porträts ihres Buches zeigen, ist, dass jeder einzelne der Verschwörer, aufgrund seiner Werte und Überzeugungen nicht anders konnte, als sich zum Widerstand zu entschließen. Dabei waren Motive und Wege zur Verschwörung völlig unterschiedlich, wobei auffallend viele Mitverschwörer Militärs und zudem adliger Herkunft waren.
"Klagen hilft da nicht weiter"
"Man hat abschätzig über den 'Gefreiten aus Braunau' gesprochen", schildert von Kleist. "Mir war klar, eine solche Diktatur kann man nicht mit solchen Sprüchen bekämpfen. Man muss überlegen, wie man das System abschaffen kann, im Zimmer zu sitzen und zu klagen, wie schrecklich Hitler ist, hilft da nicht weiter." Von Kleist war bereit, diesen Gedanken konsequent zu Ende zu denken. Als er Anfang 1944 gefragt wurde, ob er bereit sei, Hitler und dabei auch sich selbst in die Luft zu sprengen, wandte er sich an seinen Vater um Rat. "Ich stand vor der Frage: Sage ich Ja, bin ich tot. Sage ich Nein, bin ich ein Schwein. Beides ist nicht gut." Der Vater riet: "Du musst das tun." Von Kleist hatte Glück, der Termin wurde immer wieder verschoben.
Dann kam der 20. Juli 1944. Von Kleist war ein vergleichsweise kleines Rad im Getriebe der "Operation Walküre", wie der Umsturzplan hieß: Er war an diesem Tag im Bendlerblock, jenem Gebäude, in dem das Oberkommando des Heeres und das Kommando des Ersatzheeres ihren Sitz hatten. Dann erhärtete sich die Nachricht, Hitler habe überlebt. Der psychische Druck auf die Attentäter, als ihnen aufging, dass ihre Sache auf Messers Schneide stand, sei unbeschreiblich gewesen. Hektik, Ratlosigkeit und schließlich sicher auch Verzweiflung.
"Es ist aus!"
Sein Freund Kompaniechef Klausing habe ihn aufgefordert, mitzukommen. Er wolle die Pistolen holen. "'Was willst du jetzt damit?', fragte ich. Er antwortete: 'Ich habe dir immer gesagt, wir schaffen das, wir kommen durch - in Russland und an all den anderen gefährlichen Orten. Aber jetzt sage ich dir: Es ist aus!'" Als der Staatsstreich in sich zusammenbrach, war von Kleist nicht im Bendlerblock. Er war gerade im benachbarten Tiergarten, als er eine Schießerei höre. Ob Klausing in die Schießerei verwickelt gewesen sei, könne er nicht sagen. Denn zurück im Bendlerblock wurde er sofort verhaftet. Im Konzentrationslager Ravensbrück, rund 100 Kilometer nordöstlich von Berlin wurde er verhört.
Sein Vater wurde in Sippenhaft genommen, vor den berühmt-berüchtigten Volksgerichtshof gestellt und zum Tode verurteilt. Noch kurz vor Kriegsende wurde er hingerichtet. Auch von Kleists Freund Klausing wurde der Prozess gemacht. Weil er Stauffenbergs Adjutant war, statuierte Volksgerichtshof-Präsident Freisler ein Exempel und führte Klausing geradezu vor. Dessen Wunsch, er möge als Soldat durch die Kugel sterben, lehnte das Gericht ab. Klausing wurde in der Berliner Haftanstalt Plötzensee ermordet: Dort war es üblich, die Verurteilten an Fleischerhaken zu erhängen. So nahm das NS-Regime den Opfern nicht nur das Leben, sondern auch die Würde.
Ewald Heinrich von Kleist kam im Dezember 1944 überraschend frei. Ihm gelang es, die Rückkehr an die Front zu umgehen. Nach dem Krieg gründete der studierte Jurist einen Fachverlag für rechtswissenschaftliche Publikationen. Die Erfahrungen der NS-Zeit und seine Teilnahme am Widerstand motivierten ihn, 1962 die sogenannte Münchner Wehrkundetagung ins Leben zu rufen. Einmal im Jahr treffen sich in der bayerischen Landeshauptstadt hochrangige Politiker und Militärs. Sie ist inzwischen weltweit bekannt als Internationale Sicherheitskonferenz, das Motto "Dialog für den Frieden" ist geblieben. "Es geht mir um das Verhältnis zum Krieg." Er habe Brücken bauen wollen, so von Kleist: "Mit der Erkenntnis, etwas präventiv machen zu können und eine Gesprächsebene zwischen Menschen zu schaffen, die sonst nicht so leicht zueinandergefunden hätten."
Was die beiden Autoren der zehn Porträts resümierend feststellen, gibt zu denken: Sie schreiben, das Interesse an ihren Schicksalen sei immer merkwürdig gering gewesen, als ob sie als Vorbild nicht geeignet schienen. Zu Unrecht.
Antje Vollmer, Lars-Broder Keil: Stauffenbergs Gefährten. Das Schicksal der unbekannten Verschwörer, 2013, fester Einband, 256 Seiten
mit ca. 50 S/w-Abbildungen, Preis: 19,90 € (D) ISBN 978-3-446-24156-5
Hanser Berlin