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Politik

Hilfsorganisationen können Myanmar nicht helfen

14. Juni 2021

Das Entwicklungsprogramm der UN (UNDP) warnt vor einer humanitären Katastrophe in Myanmar. Doch viele Regierungen und Geber haben ihre Gelder eingefroren. Hilfsorganisationen brauchen bald pragmatische Lösungen.

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Ein Mädchen steht vor einer ärmlichen Bambushütte in einem Vorort von Yangon
Bild: Str/AFP

Die Menschen in Myanmar brauchen Hilfe. Seit dem Putsch vom 1. Februar 2021 befindet sich das Land in einer Abwärtsspirale: die Wirtschaft schrumpft, die Armut nimmt rasant zu. Die Zunahme der Konflikte insbesondere in den Gebieten der ethnischen Minderheiten zwingen nach Angaben der UN schon jetzt allein im Osten des Landes 100.000 Menschen zur Flucht aus ihren Wohngebieten.

Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) geht in einem Bericht vom April 2021 davon aus, dass fast jeder zweite Einwohner als Folge der Pandemie und des Putsches vom 1. Februar akut von Armut bedroht ist. Auf dem Spiel stehen die Entwicklungsfortschritte, die seit der Öffnung des Landes ab 2010 erzielt wurden.  

Der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Peter Meurer, sagte bei seinem Besuch in Myanmar Anfang Juni: "Gefangen zwischen bewaffneten Konflikten, Covid-19 und der aktuellen Situation brauchen die Menschen in Myanmar dringend Hilfe und Schutz."

Hilfe braucht Vertrauen

Es gibt neben dem IKRK viele andere, gut vernetzte NGOs in Myanmar, die das Know-how und den Willen haben, die Arbeit im Land fortzusetzen, aber sie stehen vor großen Problemen. Das zeigt sich auch daran, dass keine Organisation, mit der die DW für diesen Bericht gesprochen hat, zitiert werden möchte. Die NGOs fürchten, dass ein falsch verstandenes Wort ihre Arbeit im Land dauerhaft gefährden würde. Selbst Regierungsvertreter waren nur zu Hintergrundgesprächen mit der DW bereit. Sie wollen den Eindruck vermeiden, dass sie in irgendeiner Form die Militärregierung ("State Administrative Council”, SAC) unterstützen oder legitimieren.

Es gibt auch praktische Gründe, die die Hilfe erschweren, etwa die sich verschlechternde Sicherheitslage oder dass die Banken nur eingeschränkt arbeiten, was die Bezahlung der Mitarbeiter erschwert. Allerdings sagen die Organisationen der DW auch, dass es Möglichkeiten zur Umgehung solcher Probleme gibt, die in anderen Konfliktregionen wie Syrien oder Libyen bereits zum Einsatz kommen.

General Min Aung Hlaing bei der Parade am "Armed Forces Day" in Naypyitaw"
Regierungen und Organisationen wollen vermeiden, den Putschisten um General Min Aung Hlaing legitimität durch Kooperation zu verleihenBild: AP Photo/picture alliance

Aktuell ist es aus Sicht der NGOs vor allem die politische Gesamtlage, welche die Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe blockiert. Beides ist nämlich nur möglich, wenn ein gewisses Grundvertrauen herrscht und die Zusammenarbeit von drei Akteuren gelingt: der Regierung des betroffenen Landes, den NGOs und den Mittelgebern, in der Regel Regierungen oder regierungsnahen Organisationen wie etwa die Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die oft mit lokalen Partnern kooperieren. 

Mit dem Putsch hat die Militärregierung in Myanmar das Vertrauen massiv gestört. Viele NGOs haben ihre Mitarbeiter abgezogen, Regierungen und Entwicklungsorganisationen haben die Mittel eingefroren, fast alle warten ab.

Dilemma der Helfer

Für die NGOs kommt es jetzt zuerst darauf an herauszufinden, inwiefern und in welchem Umfang die Militärregierung überhaupt Hilfe zulässt. Am vergangenen Mittwoch meldete die englischsprachige Tageszeitung "The Irrawaddy" die Schließung einer Klinik für HIV- und Tuberkulosekranke, die von der NGO "Ärzte ohne Grenzen" (MSF) betrieben wurde, in der südmyanmarischen Stadt Dawei. MSF sagte, dass die Schließung zum Tod von Patienten und einer weiteren Ausbreitung der Krankheiten beitragen könne.

Gegenüber der DW sagte eine andere NGO, dass sie von der Militärregierung gefragt wurden, ob sie unter vertraglichen Bedingungen, wie sie vor dem Putsch geherrscht hatten, die Arbeit weiterführen wolle. Von Seiten des SAC scheint also eine Fortsetzung der Entwicklungszusammenarbeit, zumindest in politisch nicht sensiblen Bereichen wie der Armutsbekämpfung oder der Unterstützung von Binnenvertriebenen, teilweise erwünscht zu sein. Die gegensätzlichen Signale zeigen, wie chaotisch und volatil die Situation derzeit ist.

Eine Frau in Yangon trägt einen Sack Reis auf dem Kopf
Obwohl mehr Hilfe nötig ist, kommt immer weniger an. Die politische Situation verzögert und erschwert den Organisationen die Arbeit vor OrtBild: Aung Kyaw Htet/Sopa/Zuma/picture alliance

Auch juristische Fragen sind ungeklärt, etwa was die Registrierung von NGOs betrifft, die Gültigkeit von Vereinbarungen ausländischer Regierungen mit der abgesetzten Regierung sowie Visafragen. Die Uhr tickt und mit jedem Tag läuft die Zeit ab, die die NGOs und die verbliebenen Mitarbeiter noch legal in Myanmar arbeiten können. 

Pragmatismus statt Polarisierung 

Bei der Entscheidung für die Fortsetzung der Arbeit sind die NGOs auch immer mit der Frage konfrontiert, ob die Wiederaufnahme der Entwicklungszusammenarbeit die Militärregierung nicht stabilisiert. Angesichts der anhaltenden Proteste und Bewegung des zivilen Ungehorsams (CDM) und dem in mehreren Gebieten der ethnischen Minderheiten wieder ausgebrochenen Bürgerkrieg ist keineswegs ausgemacht, dass die Militärs fest im Sattel sitzen. Wenn NGOs Hilfe leisten und Bedürfnisse der Bevölkerung befriedigen, reduziert das den Druck auf die Militärführung und trägt somit womöglich zur Festigung des repressiven Regimes bei. Ein Dilemma, mit dem NGOs nicht nur in Myanmar konfrontiert sind.

Hinzu kommt die starke Polarisierung in Myanmar. Unversöhnlich stehen sich die Militärregierung und ihre Gegner, bestehend aus CDM und dem "National Unity Government" (NUG), gegenüber. Dieses lehnt jede Kooperation mit der Militärregierung ab, denn Kooperation käme aus ihrer Sicht einer Legitimation der Putschgeneräle gleich. Wer erwägt, mit der Militärregierung zu verhandeln, bekommt in den sozialen Medien regelmäßig den Zorn der Opposition zu spüren, die sich als gewaltsam vertriebene Volksvertretung versteht. Es besteht insofern für die NGOs das Risiko, sozial geächtet zu werden, und, schlimmer noch, dass Mitarbeiter wegen vermeintlicher Kollaboration attackiert werden.

Oppositionsregierung ruft zu Hilfe auf

Es ist aber auch eine Tatsache, dass alle NGOs, die in Myanmar aktiv werden wollen, notgedrungen mit dem SAC kooperieren müssen, da nur die Militärregierung Zugang gewähren kann. Pointiert könnte man sagen: Das Militär, nicht das NUG kontrolliert die Checkpoints im Land. 

Das NUG scheint erkannt zu haben, dass hier eine pragmatische Lösung erforderlich ist. Es hat die UN und andere Hilfsorganisationen in einem Statement dazu aufgerufen, die humanitäre Hilfe fortzusetzen.

Die Organisationen, mit denen die DW sprechen konnte, haben erklärt, dass sie die Frage, wie weit Kooperation gehen darf, sehr ernst nehmen und ständig neu diskutieren. Wie weit ist Kooperation mit den Militärs möglich, ohne die eigenen ethischen Standards zu verletzen? Dabei sagen Gesprächspartner der DW auch, dass es in der aktuellen Lage keine absolut "sauberen" Lösungen geben kann. 

Flexibilität von Geberseite

Praktikable Fall-zu-Fall-Entscheidungen wünscht sich viele NGOs im Gespräch mit der DW auch von den Geldgebern, insbesondere von Regierungen und deren Entwicklungsorganisationen, die vor allem mit lokalen Partnern zusammenarbeiten. 

Geber unterscheiden zwischen humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Humanitäre Hilfe dient der unmittelbaren Überlebenssicherung etwa in gewalttätigen Konflikten oder nach Naturkatastrophen. Entwicklungszusammenarbeit zielt darauf ab, die Lebensbedingungen, die wirtschaftlichen sozialen und politischen Verhältnisse zum Wohl der Bevölkerung zu verbessern. Der entscheidende Unterschied: Humanitäre Hilfe wird direkt über UN-Organisationen oder beispielsweise das IKRK geleistet, so dass die Zusammenarbeit etwa mit dem Militärregime in Myanmar auf ein Minimum beschränkt ist. Entwicklungszusammenarbeit bedingt eine engere und anhaltende Kooperation mit der jeweiligen Regierung.

Ein Kachin trägt eine alte Frau auf der Flucht
Die Zahl der Binnenflüchtlinge steigt durch vermehrte Kämpfe in den Gebieten der ethnischen Minderheiten. Hier ein Archivbild mit Flüchtlingen im nördlichen Kachin-Staat 2018Bild: AFP/Getty Images/Z. R. Hpra

In Deutschland ist diese Trennung institutionell verankert. Das Auswärtige Amt (AA) ist für humanitäre Hilfe, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) für die Entwicklungszusammenarbeit zuständig. Deutschland hat letztere in Myanmar bereits 2020 beendet, da die Bundesregierung von Seiten der Regierung in Myanmar keine ausreichenden Reformbemühungen gesehen hat. Das Auswärtige Amt gab gegenüber der DW an, dass in diesem Jahr humanitäre Hilfe im Umfang von etwa acht Million Euro bewilligt worden sei. 

Hilfsorganisationen wollen erreichen, dass die strikte Trennung in der aktuellen Lage aufgeweicht wird. Sie glauben, dass es, um eine umfassendere und andauernde Krise zu vermeiden, notwendig ist, sowohl humanitäre Hilfe als auch Entwicklungszusammenarbeit zu ermöglichen. Es müssten pragmatische und vielleicht nicht immer orthodoxe Wege gefunden werden, um den Menschen in Myanmar zu helfen.

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia