Warum in Nigeria so viele Menschen entführt werden
14. März 2024Die Dorfschule von Kuriga im Nordosten Nigerias ist nur der jüngste Schauplatz: Fast 300 Kinder entführten die Täter dort am 7. März. Erst eine Woche zuvor ereignete sich im östlichen Bundesstaat Borno ein ähnlicher Vorfall.
Diese Ereignisse werfen ein Schlaglicht auf ein schon länger bekanntes Problem: In Nigeria stellen Entführungen eine immer präsente Bedrohung der öffentlichen Sicherheit dar.
Die auf Afrika fokussierte Beratungsfirma SBM Intelligence zeichnet in einem Bericht ein Bild der Größenordnung. Demnach wurden zwischen Juli 2022 und 2023 mindestens 3620 Menschen in Nigeria entführt. Im Schnitt kommen sechs Opfer auf einen Vorfall.
In dem Zeitraum wurden dem Bericht zufolge Lösegelder in Höhe von mindestens 5 Milliarden Naira gefordert - nach den Wechselkursen im Juni 2023 waren das 6,4 Millionen US-Dollar oder 5,8 Millionen Euro. Bezahlt wurden jedoch nur umgerechnet gut 350.000 Euro - was vermutlich mit Nigerias strauchelnder Wirtschaft und der gestiegenen Arbeitslosigkeit zu tun hat. Zwischen Juli 2021 und 2022 wurde laut SBM Intelligence mehr als 900.000 Euro bezahlt.
Wer steckt hinter den Entführungen?
Es gibt mehrere Gruppen in Nigeria, die Einnahmen über Entführungen generieren. Zunächst wären bewaffnete Banden zu nennen, die sich im Norden des Landes gebildet haben. In den letzten zwei Jahrzehnten haben sie sich von umherziehenden Viehdieben und Plünderern zu regelrechten Gangs entwickelt, die in Geschäftsfeldern der organisierten Kriminalität wie Drogen- und Waffenschmuggel involviert sind. Und nun eben auch in Massen-Entführungen lokaler Dorfbewohner oder Schulkinder mit dem Ziel, Lösegeld zu erpressen.
Der Norden, insbesondere der Nordosten, wird auch immer wieder von militanten Islamisten heimgesucht. Zu den bekanntesten Akteuren zählen der sogenannte Islamische Staat - Westafrika-Provinz (ISWAP) und Boko Haram. Letztere machten 2014 weltweit auf sich aufmerksam, als sie 276 Schülerinnen in Chibok entführten. Boko Haram nimmt hauptsächlich Mädchen und junge Frauen ins Visier, die oft in Internaten oder Wohnheimen für Studierende leben.
Auch im ölreichen und stark umweltbelasteten Niger-Delta sind bewaffnete Gruppen aktiv. Diese gehen oft auf die in den 1990er-Jahren gegründeten Milizen zurück, die den Staat gewaltsam zwingen wollten, sich der Ölverschmutzung anzunehmen. Der sorglose Umgang mit stark schädlichem Rohöl zerstörte die Lebensgrundlage vieler Landwirte, sodass die Armut im Niger-Delta trotz oder gerade wegen des Ölreichtums zunahm. Die Organisationen dort entführen immer wieder ausländische Ölarbeiter, was mediale Aufmerksamkeit sichert. Aber auch Regierungsbeamte, Kinder prominenter Personen und andere eher exponierte Personen sind ihre Ziele.
Was wollen die Entführer?
Viele der Entführungen gehen auf wirtschaftliche Not zurück und werden als Einnahmequelle angesehen. In der Regel fordern Entführer Lösegeld, allerdings gibt es auch Fälle, in denen Lebensmittel, Motorräder und sogar Benzin als Tauschobjekte gegen die Freilassung der Entführten gefordert wurden.
Manchmal haben Entführungen in Nigeria auch ein politisches Motiv. Die Aktionen von Boko Haram werden zum Beispiel als Mittel gesehen, um vor der Regierung und der nigerianischen Bevölkerung ein Image der Stärke aufzubauen. Der Name lässt sich frei mit "westliche Bildung ist Sünde" übersetzen. Viele Beobachter sehen in den Entführungen von Frauen und Mädchen auch das Ziel, diese einzuschüchtern und letztlich von ihrer Schulbildung abzubringen.
Wer wird entführt?
Die unterschiedlichen Täter nehmen klar voneinander abgegrenzte Gruppen ins Visier: Zum einen entführen sie vulnerable Personen wie Frauen, die allein auf der Suche nach Feuerholz unterwegs sind. Auch Schulkinder oder Dorfbewohner, die weit entfernt von der nächsten Polizeiwache leben, sind besonders gefährdet. Bei ihnen handelt es sich oft um Massenentführungen.
Eine weitere Gruppe sind Personen, durch die sie sich ein hohes Lösegeld erhoffen: Aktive oder ehemalige Regierungsvertreter, Politiker, reiche Nigerianer oder deren Angehörige.
Auch katholische Priester zählen zu einer Risikogruppe. Es gab sogar Fälle, in denen Priester vom Altar weg entführt wurden. Im Zeitraum vom Juli 2022 auf 2023 wurden insgesamt 21 Entführungen von Priestern registriert. Mutmaßlich wegen der Reichtümer der Kirche werden sie als ertragreiche Zielgruppe für Lösegeldforderungen gesehen.
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.