Warum Kinder schon früh online gehen sollten
14. Dezember 2018Dass Kinder in Deutschland dringend besser an digitale Kompetenzen herangeführt werden müssen, darüber besteht Einigkeit. Sogar Geld dafür ist da, aber trotzdem verzögert sich der Digitalpakt nach einem Streit zwischen Bund und Ländern.
Wie entscheidend digitale Kompetenzen schon in jungen Jahren sind, ist das Thema von Linda Liukas, Jahrgang 1986. Die EU-Kommission kürte die Programmiererin 2013 als "digitaler Champion" ihres Heimatlands Finnland. Sie ist Autorin einer Kinderbuch-Reihe namens "Hello Ruby", die Grundlagen des Programmierens, von Algorithmen und des Internets kindgerecht aufbereitet. In diesem Jahr nahm das Forbes-Magazin sie in seine Top-50-Liste europäischer Tech-Frauen auf.
Deutsche Welle: Frau Liukas, Sie haben eine Kinderbuch-Reihe entwickelt, die Kindern das "Computational Thinking" näher bringen soll, also eine Problemlösungstechnik, die in ihrem Denken Computersprachen nachempfunden ist. Warum packen Sie dieses digitale Thema ausgerechnet in gedruckte Bücher?
Linda Liukas: Ich habe mich entschieden, Bücher zu machen, weil die Vorstellung, man könne Wissen über Computer nur am Computer vermitteln, dann doch etwas überholt ist. Es gibt das Sprichwort, Computerwissenschaft hat so wenig mit Computern zu tun wie Astronomie mit Teleskopen. Ich hoffe, dass die Kinder Computer oder Programmieren als Teil der Selbstentfaltung und als Werkzeug zur Problemlösung sehen. Sozusagen vermittle ich die zugrundeliegende Idee, dass es bei Computerwissenschaften um Denkvermögen geht.
Gibt es ein optimales Alter, um damit anzufangen?
Ich glaube schon, aber wir kennen es noch nicht. Die Computerwissenschaften sind mit ihren ungefähr 70 Jahren eine sehr junge Disziplin, wenn man sie mit Mathematik, Physik oder Chemie vergleicht. Für Kinder unter acht Jahren ist am wichtigsten, dass sie spielerisch herangeführt werden. Ich dachte lange, dass Kinder mit etwa zwölf Jahren in ihrem Denken die Kategorie einführen, wer ein Programmierer ist und wer nicht. Aber schon bevor sie in die Schule kommen, haben viele Kinder das Gefühl, dass sie darin nicht gut sein könnten.
Geben Sie mal ein Beispiel, wie man einem Kind einen Computerbegriff erklärt.
Letztendlich ist ein Cupcake-Rezept nichts anderes als ein Algorithmus. Man schreibt sozusagen ein Rezept, um ein Problem Schritt für Schritt zu lösen. Daran erkläre ich gerne Seiten wie YouTube, Suchmaschinen oder soziale Netzwerke. Ich frage die Kinder, wo der Algorithmus versteckt ist und erkläre, wie jemand dem Computer beigebracht hat, welches Video er als nächstes abspielen oder welche Werbung beim Suchen angezeigt werden soll. Hier ist ein Programm am Werk, das deine demografischen Daten und deinen Browserverlauf mit einbezieht, um zu erarbeiten, welche Inhalte am besten zu dir passen. Ich erkläre nicht nur, wie man Algorithmen schreibt, sondern auch, was sie tun und wofür sie gut sind.
Wie ist die Vermittlung digitaler Kompetenzen im finnischen Schulsystem verankert?
Es ist wichtig, im Kopf zu behalten, dass Bildungssysteme immer sehr eng mit der Kultur und den Werten einer Gesellschaft verknüpft sind. Finnland als sozialdemokratischer nordischer Wohlfahrtsstaat hat Bildung immer als Weg gesehen, in der Welt voranzukommen und sieht sich als Land, in dem Technologie einen großen Anteil am Gedeihen und dem Wohlstand unserer Gesellschaft hat.
Fast alle finnischen Schulen sind staatlich und müssen sich an einen Kern-Lehrplan halten. Darin ist festgelegt, dass Kinder im Alter von sieben Jahren an das Konzept des Programmierens herangeführt werden. Der Lehrplan wird alle zehn Jahre erneuert, deshalb war ich sehr froh, als das Bildungsministerium in der Reform von 2016 dieses Thema einführte. Vor zwei Jahren hatten noch nicht viele Länder einen so frühen Zugang zum Programmieren auf dem Schirm.
Wie grundlegend hat sich das Digitale innerhalb des letzten Zehn-Jahres-Zeitraums gewandelt?
Vor zehn Jahren haben wir vieles noch sehr anders betrachtet. Für Kinder von heute ist es selbstverständlich, dass sie ihren Heimweg über GPS finden und sich über Facetime mit Verwandten in anderen Ländern unterhalten. Die große Herausforderung ist, im Bildungssektor mit diesem Wandel Schritt zu halten.
Damit das gelingen kann, müssen zwei Entwicklungen Hand in Hand gehen: Computer müssen angeschafft werden, Lehrer weitergebildet werden. Welche der beiden Seiten ist die größere Herausforderung?
Ich würde fast behaupten, dass wir uns in Finnland zu stark auf die Hardware-Seite konzentrieren, oder das zumindest lange getan haben. In gewisser Weise war das auch richtig, Schulen haben mit der Infrastruktur zu kämpfen. Ich glaube aber, dass dies die letzte Generation ist, die bei Computern zuerst an Bildschirme, Tastaturen und Mäuse denkt. Das ändert sich gerade, und die nächste Generation wird in einer Welt aufwachsen, in der sie mit Computern wie Alexa reden und Computer in Zahnbürsten und Teddybären verbaut sind. Ich glaube, wir sollten unseren Fokus auf die grundsätzlichen Denkmuster der Problemlösung erweitern. Aus diesem Grund würde ich definitiv eher in Lehrer als in Infrastruktur investieren.
Ihre Bücher sind darauf ausgelegt, dass Kinder sie gemeinsam mit ihren Eltern lesen. Ansonsten wird digitale Bildung aber vor allem als öffentliche Aufgabe begriffen, auch wir haben über das Schulsystem gesprochen. Wie gehören Elternhaus und Schule hierbei zusammen?
Schulen sind der demokratischste Ort, um Kompetenzen zu vermitteln, die sonst sehr ungleich verteilt wären. Gleichzeitig ist die Rolle der Eltern im Leben ihrer Kinder nicht zu unterschätzen. Früher sagte man, es braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen. In diesem modernen Zeitalter müssen alle zusammenarbeiten: Schulen, Eltern und die Gesellschaft als Ganzes.