Iran: Was bleibt von der "grünen Bewegung"?
15. Juni 2019Vor zehn Jahren stand der Iran am "Rande des Abgrunds", so die Worte von Chomeinis Nachfolger Ali Chamenei als geistlicher Führer. Eigentlich gemeint hatte er allerdings das 1979 von Ayatollah Chomeini installierte Klerikerregime, die Islamische Republik Iran. Grund waren die landesweiten Massenproteste gegen die von Fälschungsvorwürfen überschattete Wiederwahl des Präsidenten Mahmud Ahmadineschad Mitte Juni 2009.
Die herrschende Schicht wollte unbedingt den drohenden Sieg des Oppositionskandidaten Mir Hossein Mussawi verhindern. Ihr stand das warnende Beispiel von 1997 vor Augen: Damals hatte die Wahl des Reformers Mohammed Chatami zum Präsidenten das herrschende System herausgefordert; dies sollte nicht noch einmal geschehen. Nach der Bekanntgabe des Ergebnisses - unglaubwürdige 63 Prozent für Amtsinhaber Ahmadineschad - gingen Hunderttausende Iraner in den Großstädten auf die Straße.
Bei seiner Siegesparade am 14. Juni bezeichnete Ahmadineschad seine Gegner als "Schmutz und Abfall". Die so Beschimpften versammelten sich schweigend zu einer Gegendemonstration am 15. Juni im Zentrum von Teheran, es sollen bis zu drei Millionen gewesen sein.
Schock und Gegenreaktion
Die Proteste dieser "grünen Bewegung" - nach der politischen Erkennungsfarbe des Herausforderers Mussawi - dauerten sporadisch bis in den November des folgenden Jahres an, bis sie schließlich vom Sicherheitsapparat erstickt wurden. Die Oppositionsführer Mussawi und Mehdi Karubi wurden im Frühjahr 2011 unter Hausarrest gestellt, der bis heute andauert.
"Nach dem ersten Schock reagierte das Regime mit genau abgestimmter Gewalt, so dass die Demonstranten schließlich von den Straßen vertrieben wurden. Dutzende wurden dabei getötet, es kam zu Schauprozessen, bei denen Aktivisten zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt wurden", schreibt Borzou Daraghani vom Washingtoner Institut Atlantic Council.
Die spontane und landesweit ausgebrochene Protestbewegung richtete sich nicht nur gegen "gestohlene Stimmen", wie es auf den Transparenten hieß; sie war Ausdruck der Unzufriedenheit der städtischen Mittelschicht mit dem System und des Wunsches nach seiner tiefgreifenden Veränderung.
Ambivalente Rolle des Auslands
Dabei konnten die Regimegegner zwar auf die Sympathie von Exil-Iranern und der internationalen Öffentlichkeit, auch der der USA, zählen. Schwerer aber als solch letztlich folgenlose Sympathie wog für die verfolgten Oppositionellen die Nahostpolitik der USA und ihrer Verbündeten Israel und Saudi-Arabien. Denn eben diese Politik sahen sie als wesentlichen Grund für die Stärkung der iranischen Hardliner und des theokratischen Systems im Iran an.
Das hat sich heute, zehn Jahre nach dem Beginn der "grünen Bewegung" und ihrem Ende Anfang 2011, bewahrheitet: Die verschärften Spannungen zwischen Washington und Teheran haben die Position der Hardliner unter dem religiösen Führer Ali Chamenei gestärkt, während sich Präsident Rohani, der mit dem Atomabkommen das Land enger an Westen heranführen wolle, an den Rand gedrängt sieht. "Ein Waffengang mit den USA wäre für die iranischen Hardliner ein Geschenk des Himmels", sagt Ali Vaez von der International Crisis Group der DW. "Sie würden diese Gelegenheit nutzen, um die Innenpolitik weiter unter militärischen Einfluss zu bringen und um alle Hebel der Macht an sich zu reißen."
Im Schatten der Konfrontation mit den USA
Die derzeitige Konfrontation am Persischen Golf hat nach Ansicht von Beobachtern die Möglichkeiten für politische Aktivitäten der Reformkräfte stark eingeschränkt. Noch Ende 2017, Anfang 2018 waren in verschiedenen Landesteilen Proteste gegen die Regierung aufgeflammt, die sich an der schlechten Wirtschaftslage entzündet, aber auch politische Elemente enthielten. Es folgten Aktionen von Iranerinnen gegen den Schleierzwang. Solche oppositionellen Regungen seien derzeit vor dem Hintergrund der alles beherrschenden außenpolitischen Spannungen kaum denkbar. Wie seit Beginn der Islamischen Republik wüssten die Herrschenden die Konfrontation gegen die USA und Israel für ihren Machterhalt einzusetzen.
Bewegung mit Langzeitwirkung
Dennoch sei das Erbe der "grünen Bewegung" keineswegs irrelevant im Iran von heute, meinen frühere Aktivisten. Reza Alijani, der seit 2009 im Pariser Exil lebt, räumte im Gespräch mit der DW zwar ein: "Die grüne Bewegung ist physisch nicht mehr präsent." Dennoch seien die demokratischen Forderungen der Mittelschicht latent vorhanden, man wisse, dass man auch durch Straßenproteste anstatt durch Stimmabgabe seine Positionen vorbringen kann, und schließlich hätten sich die Anführer von damals, Mussawi und Karrubi, nicht gebeugt. Auch hätten die Proteste vom Winter 2017/18 gezeigt, dass die ärmeren Schichten zur politischen Gefahr für das Regime werden können.
"Die 'grüne Bewegung' steht für Gewaltfreiheit, Individualismus, Bürgerrechte und Pluralismus", sagte die Frauenrechtlerin Mansoureh Shdjaei, die in den Niederlanden lebt, der DW. Trotz des Verschwindens der Bewegung als solcher aus dem öffentlichen Leben im Iran habe sie mit ihren Forderungen und Methoden eine andauernde gesellschaftliche Wirkung entfaltet.