Was der Timoschenko-Prozess über den Zustand der Ukraine aussagt.
1. Juli 2011Wenn am Montag (04.07.2011) der Prozess gegen Julia Timoschenko fortgesetzt wird, ist damit zu rechnen, dass ihre hartgesottenen Anhänger wieder für sie auf die Straße gehen. Die Frau mit der markanten Zopffrisur hat Fans, für die sie eine Lichtgestalt ist. Am vorerst letzten Verhandlungstag (29.06.2011) waren rund 200 Fans auf die Kiewer Prachtstraße, den Kreschtschatik, gezogen und hatten trotz strömendem Regen Zelte aufgestellt, Fähnchen mit Symbolen von Timoschenkos „Vaterland-Partei“ geschwenkt und Musik gespielt: "Julia! Julia! Ukraine!"
Worum es geht
Die ukrainische Justiz lässt nun die Muskeln spielen. Das Gericht hat einen Teil von Timoschenkos beträchtlichem Vermögen eingefroren. Ein Betrag von rund 1,45 Millionen Euro soll als Sicherheit für den Streitwert diesen. Die Anklage legt Timoschenko drei Vergehen zur Last: 2009 soll die damalige ukrainische Regierungschefin ihre Amtsbefugnisse missbraucht haben, als sie Lieferverträge mit dem russischen Gasgiganten Gazprom unterschrieb. Auf diese Weise soll dem Staat ein Schaden von 150 Millionen Euro entstanden sein. Zudem soll sie Gelder aus dem Handel mit CO2-Emmissionsrechten verwendet haben, um Löcher in der Rentenkasse zu stopfen.
Der Prozess hat vor gut einer Woche (24.06.11) turbulent begonnen. Dabei hatten die Fernsehzuschauer dank der TV-Übertragung mitverfolgen können, wie Richter Kirejew der Schweiß von der Stirn auf die Unterlagen vor ihm tropfte. Der Vertreter der EU-Kommission in Kiew, José Manuel Pinto Teoxeira, der den Prozess beobachtete, war nach eigener Aussage heilfroh, als der Richter die Verhandlung vertagte. Die Zustände in dem heillos überfüllten Raum ohne Klimaanlage seien schlicht unmenschlich gewesen, sagte er.
Wahrheitssuche vor Gericht
Timoschenko teilte inzwischen mit, sie habe sich mit einer Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt. "Wir werden uns verteidigen. Wir werden die Wahrheit nicht in ukrainischen Gerichten suchen." Sie wiederholte ihre Anschuldigung, dass Präsident Janukowitsch den Strafprozess nutze, um die Zerschlagung der Opposition zu betreiben. Dem Richter unterstellte sie, die Fakten nicht zu beachten: "Er lässt außer acht, dass die Unterzeichnung der Gasverträge in meine Zuständigkeit fielen und nicht in die des Kabinetts." Daher könne von Kompetenzüberschreitung keine Rede sein.
Sie glaubt, der Richter habe eine Aufgabe zu erfüllen, nämlich mit ihr politisch abzurechnen. Dem Vorwurf, Erlöse aus dem Handel mit CO2-Emissionsrechten veruntreut zu haben, entgegnet Timoschenko, sie habe die Gelder inmitten der schweren Wirtschaftskrise vorübergehend für die Auszahlung von Renten verwendet. Später habe sie Gelder wieder zurückgeführt und wie vorgesehen für Umweltprojekte ausgegeben. "Ich habe keine Gesetze verletzt!", sagt Timoschenko und bezeichnet den Richter als Marionette des Präsidenten Janukowitsch.
Letzterer reagiert betont gelassen auf die Anschuldigungen seiner Gegenspielerin. Er findet ihre Strategie durchsichtig, denn sie versuche, strafrechtliche Handlungen mit einer politischen Auseinandersetzung zu überdecken. "Was ist mit den rechtlichen Argumenten?", fragte Janukowitsch vor der jüngsten Verhandlungsrunde im Ukrainischen Fernsehen. "Ich bin wie niemand anderes daran interessiert, dass alles transparent und offen ist. Ich wünsche mir, dass diese Leute das Recht und die Möglichkeit haben, sich zu verteidigen", beteuerte Janukowitsch.
Spiel mit den Medien
Tatsächlich muss Julia Timoschenko davon ausgehen, dass die Öffentlichkeit und das mediale Interesse ihre stärksten Waffen sind. Vor rund 10 Jahren saß sie bereits für eine kurze Zeit im Gefängnis. Damals wurde ihr Betrugsdelikte zur Last gelegt. Auch seinerzeit gab es Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verfahrens. Timoschenko weiß, wie sie die Medien bedienen muss, sich mit großen Gesten in Szene setzt. Einst war sie die gefeierte Heldin der "Orangenen Revolution" von 2004 neben Viktor Juschtschenko, dem späteren Präsidenten. Während dessen Amtszeit wurde sie Regierungschefin. Doch schon bald schwand auch ihre Popularität rapide. 2010 verlor sie schließlich gegen Erzrivale Janukowitsch bei der Präsidentenwahl.
Beobachter äußern den Verdacht, Janukowitsch könnte den Prozess instrumentalisieren, um mit der Opposition aufzuräumen. Im Falle einer Verurteilung drohen Timoschenko mindestens sieben Jahre Haft. Sergej Taran, Direktor des Internationalen Instituts für Demokratie, geht im Gespräch mit DW-WORLD.DE davon aus, dass das Gericht zu einer schnellen Verurteilung kommen werd, um auf diese Weise Timoschenkos Teilnahme an den Parlamentswahlen 2012 zu verhindern.
Reaktionen in Brüssel
Das Verfahren in der Ukraine löst auch in Brüssel ein politisches Echo aus. Timoschenkos „Vaterland-Partei“ ist Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP), dem Bündnis von konservativ-bürgerlichen Parteien aus 39 Staaten Europas. Zum EVP-Gipfel am 23. Juni in Brüssel hatte Timoschenko nicht reisen dürfen, weil ihr die ukrainische Staatsanwaltschaft trotz Bitten des Europäischen Parlaments und des Europarates die Ausreise verweigert hatte. In einer Erklärung der EVP heißt es dazu, die autoritäre Vorgehensweise basiere nicht auf Recht und Demokratie. "Sie verstößt gegen fundamentale europäische Werte und widerspricht internationalen Verpflichtungen der Ukraine." Solche Entwicklungen würden das Image der Ukraine beschädigen und europäischen Ambitionen zuwiderlaufen. Die EVP appellierte an die Staatsführung in Kiew, das Reiseverbot für Timoschenko aufzuheben sowie die Inhaftierung von drei weiteren Oppositionspolitikern aufzuheben. In ukrainischen Gefängnissen warten zurzeit drei ehemalige Minister aus dem früheren Kabinett Timoschenkos ebenfalls auf ihre Prozesse.
Achselzucken bei den Ukrainern
Und die Menschen in der Ukraine? In aller Regel nehmen sie die Schlammschlacht der beiden Erzrivalen Janukowitsch und Timoschenko achselzuckend hin. Denn abgesehen von den glühenden Timoschenko-Anhängern sind sie von der politischen Kaste insgesamt enttäuscht. Sie beobachten, wie Politik und Wirtschaft einträglich verbandelt sind, die Parteien sich gegenseitig bekämpfen und die Korruption sich trotz aller gegenteiligen Versprechungen in den Behörden breit macht.
Autorin: Birgit Görtz
Redaktion: Bernd Johann