Was läuft falsch beim BVB?
20. Januar 2021Da ist es wieder, dieses Problem, diese lästigen Fragen nach der Mentalität der Mannschaft, mit der sich Spieler, Trainer und Funktionäre bei Borussia Dortmund konfrontiert sehen. Kapitän Marco Reus und die Seinen hatten die These, beim BVB läge der Grund für inzwischen neun Jahre ohne Meisterschaft in den Köpfen der Spieler, immer wieder von sich gewiesen. Doch nun, nach der 1:2-Niederlage im Spitzenspiel der Bundesliga bei Bayer Leverkusen, kommt die Frage nicht nur von außen, sondern wird auch intern gestellt - und das öffentlich. BVB-Trainer Edin Terzic ging in seiner Analyse nach dem Spiel dahin, wo es den Profis sprichwörtlich noch mehr wehtut, als an Knöchel oder Schienbein: "Qualität ist das Ergebnis von Talent plus Mentalität. Wir haben uns zu sehr auf das Talent verlassen und uns zu wenig gewehrt", kritisierte Terzic sein Team deutlich.
Unter Terzic wie unter Favre
Dabei sollten doch die Probleme mit der Einstellung nach der Trennung von Lucien Favre, der zwar als fachlich qualifiziert, als Motivator jedoch ungeeignet gesehen wurde, Geschichte sein. Seit Mitte Dezember steht nun Terzic in der Verantwortung, doch nachhaltig geändert hat sich offensichtlich wenig. Auch wenn das Dortmunder Trainer-Urgestein mitbringt, was Favre eben nicht hatte: die gewisse Ausstrahlung und die Fähigkeit, die Sprache der Spieler zu sprechen. Seine Bilanz ist mit zehn Punkten aus sechs Bundesliga-Spielen dennoch überschaubar.
Die Ursache für die - gemessen an den eigenen Ansprüchen - Erfolglosigkeit kann also nicht nur am Übungsleiter liegen. Waren doch vor Favre auch schon Thomas Tuchel, Peter Bosz und Peter Stöger beim BVB ganz oder teilweise gescheitert. Der ehemalige Nationalspieler Dietmar Hamann, mittlerweile Fernsehexperte bei Sky, lederte nach der Niederlage in Leverkusen und der damit schon zum Ende der Hinrunde fast schon abgeschriebenen Meisterschaft los: "Der Auftritt heute war disziplinlos, herzlos und charakterlos", sagte der Ex-Profi von Bayern München, FC Liverpool und Manchester City. Wobei man natürlich beim Tabellendritten auch mal verlieren kann. Doch es handelte sich ja nicht um ein Augenblicksversagen der Dortmunder. Woher kommt also dieses nun auch vom aktuellen Trainer attestierte Mentalitätsproblem?
Talentabwanderung als Herausforderung?
Seit über einem Jahrzehnt macht der BVB regelmäßig aus Talenten, die er für kleines Geld auf der ganzen Welt aufspürt, große Spieler. Robert Lewandowski, Mario Götze, Shinji Kagawa, Ilkay Gündogan, Pierre Emerick Aubameyang oder Ousmane Dembele gingen für viel Geld zu größeren Klubs. Aus dem aktuellen Kader gelten Jadon Sancho und Erling Haaland als die Nächsten, die den Sprung vom BVB zu einer Elite-Adresse machen könnten. Die Dortmunder Scouting-Abteilung, zu der einst auch Terzic gehörte, funktioniert also nach wie vor bestens. Vielleicht ist der BVB hier sogar die Nummer eins in Europa.
Doch so regelmäßig, wie man in Dortmund diese Talente entdeckt, muss man sie dann auch wieder ziehen lassen. Die Jungprofis wissen inzwischen, dass sie in Schwarz-Gelb zu gefragten Topstars reifen können, sehen den Klub allerdings offenbar nur als Sprungbrett für die ganz große Karriere. Beide Seiten profitieren von diesem Modell - zumindest vordergründig. Der BVB kassiert Ablösen im zwei- bis dreistelligen Millionenbereich, die Akteure wechseln zu Real, Barca, Bayern oder Arsenal.
Sancho und Haaland auf dem Sprung?
Der Brite Sancho, so ist es immer wieder zu lesen, würde nur zu gerne zurück in seine Heimat wechseln und wird immer wieder mit Manchester United in Verbindung gebracht. Haaland hat dem Vernehmen nach eine Ausstiegsklausel im Vertrag, die ihm nach der Saison 2021/22 ganz neue Perspektiven eröffnen würde. Tatsächlich sieht in den letzten Jahren kaum noch ein Talent im BVB das Ziel seiner Träume. Sich "im Pott" einen großen Namen machen und bei anderen Klubs noch mehr Kohle und Titel holen, lautet das Credo vieler als "Juwelen" gelobter Jungprofis. Wenn diese Denke jedoch zu sehr das Tun bestimmt, raubt es möglicherweise den unbedingten Siegeswillen und ruiniert den Teamgeist.
Dazu ist schon länger klar, dass Sportdirektor Michael Zorc, der wie kein anderer für den Verein steht, bald sein Engagement nach über 40 Jahren als Spieler und Manager beenden wird. Eigentlich wollte er seinen zum Ende der Saison auslaufenden Vertrag nicht verlängern, entschied sich aber dann doch dafür, bis 2022 weiterzumachen, um den Klub durch die Corona-Krise zu führen. Das ehrt Zorc, der als Profi zweimal, als Funktionär dreimal die Meisterschaft mit dem BVB feiern durfte und auch beim Gewinn der Champions League 1997 dabei war. Es ehrt ihn, seine eigenen Interessen hintenanzustellen für das Wohl des Vereins.
In der Politik jedoch würde man wohl von einer "lame duck" sprechen, von einer" lahmen Ente". Vielleicht treffen da jetzt Spieler, die auf dem Absprung sind oder davon träumen, auf einen Chef, der auf dem Absprung ist oder davon träumt. Auf dem Platz kann diese Konstellation jedenfalls nicht positiv wirken. Zumindest nicht, wenn man nach neun Jahren mal wieder Meister werden möchte.