Was tun mit Hitlers Geburtshaus?
27. Mai 2013Das Haus in Oberösterreich mit der Adresse Braunau, Salzburger Vorstadt 15, steht leer. Was mit dem Gebäude zu tun ist, in dem im April 1889 Adolf Hitler geboren wurde, darüber herrscht seit geraumer Zeit große Ratlosigkeit in Braunau. Untergebracht waren dort schon: die Stadtbücherei, eine Bank, eine Schule - allesamt eher hilflose Versuche, das Haus einer sinnvollen Verwendung zuzuführen. Der Bürgermeister von Braunau, Johannes Waidbacher, brachte im vergangenen Jahr die Idee ein, dort ein ganz normales Wohnhaus einzurichten.
Nach einem Sturm der Entrüstung ruderte er zurück, die Idee war schnell vom Tisch. "Das war am Anfang der Diskussion. Ich habe damals eine Nutzung für soziale Wohnzwecke überlegt. Hier bin ich nicht richtig verstanden worden", sagt Waidbacher heute. Dem russischen Duma-Abgeordneten Franz Klinzewitsch platzte offenbar der Kragen: Er wollte zwei Millionen Euro sammeln, das Haus kaufen und abreißen. Womöglich wäre das den Braunauern sogar am liebsten gewesen. Doch abreißen geht nicht. Es steht als Teil der Braunauer Altstadt unter Denkmalschutz.
Braunau - Hitler. In dieser Verkürzung genießt der kleine Ort mit seinen gut 16.000 Einwohnern an der deutsch-österreichischen Grenze traurige Berühmtheit. Wer weiß schon, dass Braunau ein hübsches, kleines Städtchen ist und auf 750 Jahre Geschichte zurückblickt. Oder, dass Lew Tolstoj dem Ort ein literarisches Denkmal gesetzt hat: In seinem epochalen Roman "Krieg und Frieden" schildert er das russische Heerlager von 1805 bei Braunau. Und als wäre dem nicht genug, heißt der Ort auch noch Braun-Au, und man sieht förmlich die Braunhemden vor dem geistigen Auge martialisch aufmarschieren.
Warum taucht eine alte Theorie gerade jetzt wieder auf?
Vor gut einem Monat erschien nun in der Wiener Tageszeitung "Die Presse" ein Artikel mit dem Titel "Eine Geburt zu viel". Der Autor hatte eine alte Theorie herausgekramt: Angeblich habe Adolf Hitlers hochschwangere Mutter dem Vater das Mittagessen ins Zollhaus bringen wollen. Braunau liegt am Fluss Inn, der dort die österreichisch-deutsche Grenze markiert. Auf der deutschen Seite habe Frau Hitler dann eine Sturzgeburt erlitten. Um Ärger zu vermeiden, sei man dann klammheimlich mit dem Neugeborenen unter dem Arm auf die österreichische Seite zurückgeeilt.
Hitler also kein gebürtiger Österreicher? Sondern Deutscher? Wäre Braunau dann seine Sorgen mit einem Schlag los? Wohl kaum, denn die Theorie ist hanebüchen und zudem nicht neu. Die Geschichte von der Sturzgeburt auf der deutschen Inn-Seite geht zurück auf den deutschen Hobby-Historiker Egon Fein. Er veröffentlichte sie in seinem Buch "Hitlers Weg nach Nürnberg" und nannte sie schon damals "abenteuerlich". Fein hatte die Geschichte von einem Kapuziner-Pater, der sie wiederum einem Pfarrer aus dem Ort Maria Alm bei Salzburg weitererzählte. Alles Kolportage, so scheint es. Nachfragen kann man aber nicht, denn Egon Fein und der Kapuziner-Pater sind tot.
Erstmals öffentlich geworden ist die Theorie von der Sturzgeburt Adolf Hitlers im Jahr 2002, weiß Florian Kotanko. Er ist Direktor des Braunauer Gymnasiums und Vorsitzender des ortsansässigen Vereins für Zeitgeschichte. "Die Theorie hat seinerzeit zu vielen Pressereaktionen geführt - von der BILD-Zeitung bis hin zu 'Die Presse'." Er hält die These ebenfalls für nicht stichhaltig. Warum die Theorie ausgerechnet jetzt hervorgeholt wird, wo wieder einmal über die künftige Nutzung des Hauses in der Salzburger Vorstadt kontrovers diskutiert wird, kann Kotanko auch nicht sagen.
Ideen zur Nutzung gibt es viele
Der Historiker Andreas Maislinger kommt aus der Nähe von Braunau. Ihn empört es, dass die Presse die alte Geschichte wieder aufgewärmt hat. Stattdessen fordert er ein klares Bekenntnis: "Ja, wir sind die Geburtsstadt Hitlers. Wir können nichts dafür, aber machen wir was daraus. Wir stellen uns dem und mit dem Märchen, Hitler sei gar nicht hier geboren worden, setzen wir uns nicht auseinander."
Unterdessen grübeln auch die Braunauer Verantwortlichen über eine Nutzung des Hauses in der Salzburger Vorstadt. Laut Auskunft von Bürgermeister Waidbacher wird derzeit diskutiert, in den Räumlichkeiten die Volkshochschule und die Volkshilfe unterzubringen, einer den österreichischen Sozialdemokraten nahestehende Sozialeinrichtung. "Ich halte das für eine sehr gute und langfristige Lösung", findet Waidbacher.
Der Historiker Maislinger hatte auch einen Vorschlag eingebracht, genauer bereits im Jahr 2000. Er wollte im Geburtshaus ein "Haus der Verantwortung" einrichten, eine internationale Begegnungsstätte, die sich auch Zukunftsthemen widmen sollte. Sponsoren hatte er auch schon an der Hand: Der zweifache Oscar-Preisträger Branko Lustig, Produzent von "Schindlers Liste" und "The Gladiator", wollte die Idee unterstützen und in Los Angeles weitere Geldgeber finden.
Florian Kotanko vom Braunauer Verein für Zeitgeschichte hält einen dritten Vorschlag parat: "Mein Favorit ist eine Lösung, die sich am Vorbild des sogenannten T-Gebäudes im Konzentrationslager Sachsenhausen orientiert." Nahe dem ehemaligen Lagergelände befand sich dieser von Häftlingen errichtete Bau, der wegen seines Grundrisses "T-Gebäude" genannt wurde. Es diente von 1938 bis 1945 als Verwaltungszentrale des gesamten KZ-Systems. Heute beherbergt das Gebäude einerseits das Finanzamt Oranienburg, andererseits informiert die Dokumentation "Die Inspektion der Konzentrationslager 1938 bis 1945 - Das System des Terrors" im ehemaligen Dienstzimmer des KZ-Inspekteurs Theodor Eicke über die Geschichte des Hauses und die Funktion der KZ-Inspektion.
Die Eigentümerin entscheidet mit
Wer auch immer welche Initiative auf den Weg bringt: Die Entscheidung liegt letztlich bei der Eigentümerin des Hauses und der Republik Österreich in Gestalt des Innenministeriums. Das Gebäude gehört Gertrud Pommer. Ihre Familie hat das Haus vor der NS-Zeit erworben und damals dort eine Gastwirtschaft betrieben. Seit 1972 ist die Republik Österreich Hauptmieter des Geburtshauses. Laut Historiker Maislinger zahlt sie der Eigentümerin, die sich offenbar schon positioniert hat, monatlich 4700 Euro. "Meines Wissens hat sich die Eigentümerin klar gegen eine zeithistorische Nutzung - Gedenkstätte, Haus der Verantwortung etc. - ausgesprochen", sagt Bürgermeister Waidbacher. Hingegen wäre ein Einvernehmen "mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einer Nutzung durch die Volkshochschule und Volkshilfe zu erreichen".
Der Historiker Maislinger fügt noch an, im Prinzip sei nichts dagegen einzuwenden, dort eine soziale Einrichtung einzuquartieren. "Nur man soll darüber nachdenken, ob es nicht so aussieht, als ob eine soziale Einrichtung dafür benutzt wird, dem Haus ein positives Image zu geben." Zünglein an der Waage ist nun das Innenministerium. Bis vor gut anderthalb Jahren beherbergte das Haus schon einmal eine wohltätige Organisation: eine Behindertenwerkstatt war dort untergebracht.