Zum Umgang mit NS-"Vorbehaltsfilmen"
10. März 2014Wie soll man mit nationalsozialistischem Propagandamaterial heute umgehen? Soll man Bücher und Texte, Symbole oder Filme wegschließen und verbieten? Oder muss man sie zur Verfügung stellen, um zu erfahren, wie die Nazis ihre Botschaften damals unters Volk brachten? Doch, wenn ja, wer soll Zugang zu diesen Materialien erhalten? Nur Wissenschaftler? Oder alle? Ist die Gefahr nicht zu groß, dass solches Schriftgut bei Ewiggestrigen und jungen Rechtsextremen wieder auf fruchtbaren Boden stößt?
Fortwährende Debatte
Derzeit wird wieder verstärkt über das Thema diskutiert, beispielsweise im Kino in der Dokumentation "Verbotene Filme" von Regisseur Felix Moeller. Darin geht es auch um die seit zwei Jahren in vielen deutschen Kulturinstitutionen gezeigte Filmreihe der "Vorbehaltsfilme". Für Zündstoff sorgt auch die Tatsache, dass viele dieser Nazi-Filme immer wieder im Internet hochgeladen werden und so frei verfügbar sind. Auch im Ausland kann man sich "Vorbehaltsfilme" auf DVD besorgen. Der Historiker Pascal Metzger sagte zum Filmstart, es gebe Argumente für und gegen die Freigabe der Filme. So gibt es derzeit keine befriedigende Lösung.
Vielen Menschen können sich im Jahre 2014 unter dem Begriff "Vorbehaltsfilme" überhaupt nichts mehr vorstellen. Im Kern handelt es sich um 46 Filme. Die etwas umständliche Bezeichnung betrifft Werke, die nur unter einem bestimmten Vorbehalt gezeigt werden dürfen, nicht von jedem und auch nur im Rahmen einer wissenschaftlichen Einführung und Diskussion. Dazu gehören bekannte Propagandastreifen wie "Jud Süß" oder antisemitische "Dokumentationen" wie "Der ewige Jude". Die meisten Vorbehaltsfilme dürften heutigen Kinogängern unbekannt sein. Allen diesen Werken ist jedoch eines gemeinsam: Sie gelten als kriegsverherrlichend, als antipolnisch oder antibritisch, als Hassfilme mit antisemitischem oder anderen Propagandainhalten.
Schwieriger Nachlass
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs waren die über 1200 Filme, die während der Jahre 1933 und 1945 in Deutschland entstanden, zunächst von den Alliierten einkassiert und in drei Kategorien unterteilt worden. Die meisten wurden anschließend freigegeben, andere nur mit Schnittauflagen, ein kleinerer Rest wurde als Vorbehaltsfilm klassifiziert. Dieser Korpus veränderte sich in den folgenden Jahrzehnten, wurde den Zeitläufen angepasst. Es blieben schließlich rund 40 "Vorbehaltsfilme" übrig. Die in Wiesbaden ansässige Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung sowie das Bundesarchiv in Koblenz verwalten diese Werke, die Stiftung ist für die Spielfilme zuständig, das Archiv für Dokumentationen.
Immer wieder wird von verschiedenen Seiten der Vorwurf geäußert, dass die Vorbehaltsfilme von den Lizenzgebern zu Unrecht zurückgehalten würden. Es werde "Zensur durch die Hintertür ausgeübt, über das Urheberrecht" schrieb beispielsweise ein Journalist in der Tageszeitung "Die Welt" schon vor geraumer Zeit. Ein Vorwurf, den der Direktor der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung Ernst Szebedits nicht stehen lassen will: "Die Murnau-Stiftung hat qua Satzung den Auftrag, mit diesen Filmen sorgsam umzugehen und sie nicht unkontrolliert der Öffentlichkeit zugänglich zu machen." Dies sei ein öffentlicher Auftrag der Bundesregierung: "Das Urheberrecht ist keine Zensurmaßnahme."
Offenerer Umgang mit den Filmen angestrebt
Szebedits setzt sich seit seinem Amtsantritt vor zwei Jahren für einen offenen Umgang mit den Vorbehaltsfilmen ein. Die Stiftung sei in der Vergangenheit zu defensiv mit dem Thema umgegangen. Für die zuständigen Politiker seien die Nazi-Filme immer ein heißes Eisen gewesen, sie hätten lieber die Finger davon gelassen.
Schließlich hätte sich auch die Wirkung der NS-Filme auf die Zuschauer in den Jahrzehnten verändert. Manches, was noch von den Alliierten und nachfolgenden Generationen als gefährliche NS-Propaganda gebrandmarkt worden sei, wäre in seiner Plumpheit heute wohl kaum noch eine Gefahr, so Szebedits. Einige Filme auf der Vorbehaltsliste könnte man durchaus freigeben. Auf der anderen Seite gebe es Werke, die frei zugänglich sind, die also nicht zu den Vorbehaltsfilmen zählten, die aber psychologisch oder auch thematisch viel raffinierter seien.
Den Dialog mit den Zuschauern suchen
Auch Jörg Frieß vom Deutschen Historischen Museum spricht sich für einen neuen Umgang mit den NS-Filmen aus. Das "Zeughauskino" zeigte 2012 als eine der ersten Institutionen die Reihe mit den Vorbehaltsfilmen. "Wir befinden uns in einem offenen Prozess", sagt Frieß damals. Man sollte sich diese Filme zunächst einmal wieder alle anschauen und sich - im Dialog mit den Zuschauern - eine Meinung bilden.
"Der ganze Korpus der Vorbehaltsfilme ist kein genuiner ahistorischer, sondern ein Korpus, der immer in Bewegung war und immer in Bewegung bleiben wird“, so Frieß, der eine offene Diskussion forderte. Gerade im Hinblick auf Genres wie der Komödie, die ganz unterschiedlich ausgerichtete Interpretationen zulässt: "Der Rezeptionskontext ist heute ein ganz anderer als in den 1930er und frühen 40er Jahren." Eine Diskussion hat es in der Zwischenzeit gegeben, doch viel weitergekommen ist man nicht. Gerade die jüngste Diskussion um die Sichtung dieser Filme im Internet zeigt, dass weiterhin Klärungsbedarf besteht.
Unterschiedliche Reaktionen
Frieß hatte bei den Vorstellungen im Zeughauskino zwei unterschiedliche Positionen und Reaktionen im Zuschauerraum beobachtet. Viele ältere Zuschauer wiesen auf die fortbestehende Brisanz der Filme hin und sprachen sich für weiterhin geltende einschränkende Regeln für bestimmte Nazi-Filme aus. Jüngere Jahrgänge hingegen hatten ein deutlich anderes Verhältnis zu den Vorbehaltsfilmen. "Unsere Demokratie ist stark genug für den offenen Umgang mit diesen Filmen", sagte, so Frieß, diese Gruppe.
Nachwachsende Generationen verwehrten sich meist gegen die Einführungen, die ganz bestimmte Lesarten der Filme nahelegen. Der "Gestus der Didaktisierung, der Anleitung, der Medien- und Filmpädagogik" werde vom jüngeren Publikum nicht begrüßt, berichtete Frieß. Eine Reaktion, die auch Ernst Szebedits beobachtete und die er nachvollziehen konnte. Mit klaren Ausnahmen allerdings: Eindeutig antisemitische Hasswerke wie "Jud Süß" oder "Der ewige Jude" sollten auch in Zukunft nur unter "Vorbehalt" gezeigt werden.