Was will die Opposition in Bolivien erreichen?
8. November 2019Am 2. November stellte der Chef des Bürgerkomitees "Pro-Santa Cruz", Luis Fernando Camacho, Boliviens Präsidenten ein Ultimatum. Er gebe Evo Morales 48 Stunden Zeit, sein Amt niederzulegen. Was der Präsident geflissentlich ignorierte, der nach einer umstrittenen Wiederwahl vor seiner vierten Amtszeit steht. Kritiker Camacho kann auf eine breite Unterstützung in der Bevölkerung zählen und ist zu einem der bekanntesten Köpfe der jüngsten Proteste geworden, bei denen die Demonstranten Morales des Wahlbetrugs beschuldigen. Der ist schon seit 13 Jahren in Bolivien an der Macht und bestreitet einen Wahlbetrug.
Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ist dabei, eine Überprüfung des Wahlergebnisses durchzuführen, derweil sich die Situation im Land aufgrund der Proteste verschlechtert. "Es wird wahrscheinlich zu einer Verschärfung des Konflikts kommen", sagt die Politologin Belén González vom deutschen GIGA-Institut in Hamburg.
"All dies nahm seinen Anfang im Jahre 2016, als Evo Morales in einem verbindlichen Referendum mit seinem Ansinnen verlor, für eine vierte Amtszeit antreten zu dürfen. Danach gelang es ihm die Justiz dazu zu bringen, doch einer weiteren Kandidatur zuzustimmen, was wiederum die Opposition veranlasste, dieses Thema ganz groß auf ihre politische Agenda zu setzen", fügt González hinzu.
Führenden Köpfe der Opposition
Luis Fernando Camacho ist der radikalste Anführer der bolivianischen Opposition: konservativer Katholik, Anwalt und Geschäftsmann, geboren 1979 in der Wirtschaftsmetropole Santa Cruz. Ziel seines Bürgerkomitees sei es, das Wahlrecht und die Demokratie zu schützen, so Camacho. Nach Ansicht von Gonzalo Rojas Ortuste von der Universität San Andrés in La Paz ist Camacho "ein außerordentliches politisches Talent, von dem man aber wenig über sein politisches Programm weiß, außer dass er den Abgang von Evo Morales fordert", so der Politologe.
Camacho habe sich nur vage über eine echte politische Alternative und einen demokratischeren Führungsstil geäußert. "Er verfügt über eine gewisse Kühnheit, ist aber politisch noch ein Leichtgewicht", sagt Rojas Ortuste im Gespräch mit DW.
Camacho gehört dem Oppositionsbündnis "Koordination zur Verteidigung der Demokratie" an, einer Vereinigung, die vom Mitte-Links-Politiker und Morales wichtigsten Gegenkandidaten bei der Präsidentenwahl, Carlos Mesa Gisbert, gegründet wurde. Darin zusammengeschlossen sind große Teile der oppositionellen Kräfte des Landes. "Carlos Mesa ist ein gebildeter Intellektueller und hat sehr gute Leute um sich versammelt", sagt Rojas Ortuste. "Korruption ist in Bolivien weit verbreitet. Was die Menschen verlangen und die Opposition fordert, ist der Schutz der demokratischen Institutionen, die unter der derzeitigen Regierung Schaden genommen haben", so der Experte.
Auf der Gegenseite gibt es die "Nationale Koalition für den Wandel" (CONALCAM), in der sich andere Teile der Zivilgesellschaft für die Regierung einsetzen und für Gegendemonstrationen verantwortlich sind. In dieser Woche kam es zu heftigen Zusammenstößen zwischen beiden Gruppen, vor allem in der Hauptstadt La Paz.
Kritik der Opposition
Evo Morales ist zwar umstritten, kann aber durchaus Erfolge vorweisen: Als Präsident gelang es es ihm, laut Daten der Wirtschaftskommission für Lateinamerika (CEPAL), die bolivianische Wirtschaft um durchschnittlich 4,9 Prozent pro Jahr anzukurbeln. Und wie eine Studie von Oxford Economics ergab, ist der Anteil der Bolivianer, die in Armut leben in den Jahren zwischen 2006 und 2018 um etwa 25 Prozentpunkte gesunken.
Doch mittlerweile ist Evo Morales der dienstälteste Präsident Lateinamerikas und viele beschuldigen ihn, Personenkult zu betreiben und endlos an der Macht bleiben zu wollen. Für die Hamburger Politologin Belén González ist das wichtigste Ziel der Opposition in Bolivien einen Wahlbetrug anzuprangern und zu verhindern, dass Evo Morales weiter an der Macht bleibt.
Darüber hinaus gebe es "keine konkreten politischen Vorschläge", sagt sie. Anders als beispielsweise in Chile und Ecuador würden in Bolivien ökonomischen Motive bei den Protesten keine Rolle spielen, so González. "Die Proteste konzentrieren sich nicht auf die Wirtschaft, sondern auf die Gefahr der Machtkonzentration der Regierung, die sich mittlerweile auf das oberste Gericht und die Justiz auswirkt, mit unvorhersehbaren mittel- und langfristigen Folgen."
Für Gonzalo Rojas Ortuste gehen die Forderungen auch gegen die um sich greifende Korruption im Land, "zum Beispiel bei der Verteilung von Leistungen und Erlösen unter den Anhängern von Morales". Nach Ansicht von Ortuste will die Opposition erreichen, dass Bolivien für alle Bolivianer da ist, und nicht nur für die Anhänger der Regierung.