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IS: Wasser als Waffe

Matthias von Hein3. März 2016

Der IS kontrolliert in Syrien und im Irak gut die Hälfte der Talsperren – und greift verstärkt den Rest an. Wasser wird in den Händen der Terrormiliz zur Waffe. Die größte Gefahr droht, sollte der IS schwächeln.

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Irak Staudamm in Mossul (Foto: picture-alliance/Anadolu Agency/E. Yorulmaz )
Bild: picture-alliance/Anadolu Agency/E. Yorulmaz

Gibt es genug davon, bedeutet Wasser Leben. Oder den Tod: Wenn es zu viel davon gibt oder zu wenig. Deswegen bereitet es Sorge, dass der sogenannte Islamische Staat gezielt Staudämme im Nordirak und in Syrien besetzt hat. Von acht wichtigen Talsperren an Euphrat und Tigris kontrolliert der IS fünf – und greift kontinuierlich die Übrigen an. Dabei setzt der IS diese Ressource gezielt als Waffe ein, hat der Konfliktforscher Tobias von Lossow von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) beobachtet: "Indem er einerseits Wasser aufgestaut, Wasser zurückgehalten hat, um Gebiete trocken zu legen, um Dörfer und Gemeinden von der Versorgung abzuschneiden. Andererseits hat er auch Gebiete geflutet, um dort die Bevölkerung zu vertreiben, um dort die Lebensgrundlage zu zerstören", so Lossow gegenüber der Deutschen Welle.

Dürre im Irak, Mann auf Boot ohne Wasser (Foto: ddp images/AP Photo/Hadi Mizban)
Dürren hat der IS künstlich herbei geführtBild: ddp images/AP Photo/Hadi Mizban

Menschengemachte Katastrophe

Der Einsatz von Wasser als Waffe ist keine Erfindung des IS. Im Ersten Weltkrieg öffnete Belgien bei Nieuwport die Schleusen an Flüssen, Kanälen und zum Meer hin. Damit wurde die umkämpfte Yser-Ebene überflutet. Die Maßnahme hatte Erfolg: Die vorrückenden deutschen Verbände wurden aufgehalten. Ein knappes Vierteljahrhundert später scheiterte ein ähnlicher Plan auf tragische Weise: Im Chinesisch-Japanischen Krieg ließ der chinesische Machthaber Tschiang Kai-Schek am 9. Juni 1938 in der Provinz Henan die Dämme des Gelben Flusses sprengen. In den Wassermassen sollte die japanische Armee untergehen. Deren Vormarsch wurde aber nur um eine Woche aufgehalten. Stattdessen fanden rund 800.000 Zivilisten den Tod.

Auch im Mittleren Osten wurde in der Vergangenheit Wasser als Waffe eingesetzt. In den 1990er Jahren ließ der irakische Diktator Saddam Hussein das Marschland im Süden des Irak trocken legen. Ziel: Die dort lebenden Schiiten für einen Aufstand gegen sein Regime zu bestrafen und ihnen die Lebensgrundlage zu nehmen.

IS zieht alle Register der Wasserwaffe

Auch jetzt, so SWP-Forscher von Lossow, setzten in Syrien alle Bürgerkriegsparteien Wasser als Waffe ein. Keine Gruppe aber mache das so häufig wie der IS, führt der Berliner aus. "Er setzt Wasser systematisch und konsequent ein. Er bedient sich des ganzen Portfolios und bringt alle möglichen Varianten der Waffe Wasser zum Einsatz". Von Lossow hat Beispiele: Im Mai 2015 hat der IS den Euphrat-Damm bei Ramadi erobert. Anschließend hat er die Wassermenge im Unterlauf des Euphrat um die Hälfte verringert und die Versorgung in fünf Provinzen eingeschränkt. Bei einem Damm am Euphrat in der Nähe des irakischen Falluja hat der IS 2014 Wasser innerhalb weniger Tage sowohl zur Verteidigung wie auch zum Angriff genutzt. Zunächst hat die Terrormiliz Wasser aufgestaut, um irakische Truppen am Oberlauf zu vertreiben. Dann hat sie massiv Wasser abgelassen und stromabwärts einen so massiven Schaden angerichtet, dass in der Folge 60.000 Menschen fliehen mussten.

Wegen dieser Vorgeschichte war die Welt besonders alarmiert, als IS-Kämpfer im August 2014 den Damm am Tigris bei Mossul eroberten. Von dieser größten irakischen Talsperre hängt knapp die Hälfte der Stromversorgung des Irak ab sowie die Wasserversorgung der kurdischen Gebiete. Mit der Kontrolle über diesen Damm hätte der IS weite Teile des Irak nach Belieben trocken legen können. Schlimmstenfalls hätte der IS den ohnehin brüchigen Damm sprengen können. Die Folge wäre eine Flutwelle gewesen, die in Mossul 20 Meter hoch, in Bagdad noch fünf Meter hoch gewesen wäre und eine halbe Million Menschen in den Tod gerissen hätte. Mit massiver amerikanischer Luftunterstützung konnten irakische Truppen und kurdische Peschmerga den wichtigen Damm nach einer guten Woche zurück erobern.

Zwei Frauen betrachten eine Wasser-Analyse. Foto DW Archiv
Sparsamer Umgang mit einem manchmal künstlich verknappten Gut: Wasser in SyrienBild: DW-TV

Massenvernichtungswaffe Wasser

Der IS hat neben Verknappung und Überflutung noch eine dritte Variante des Einsatzes von Wasser als Waffe genutzt: Die Verunreinigung oder Vergiftung. Im Dezember 2014 habe der IS südlich von Tikrit Trinkwasser mit Rohöl unbrauchbar gemacht, erklärt von Lossow. Diese Methode wollte der IS im Juli 2015 sogar auf europäischem Boden einsetzen: IS-Anhänger wollten den größten Wasserspeicher der kosovarischen Hauptstadt Pristina vergiften und wurden erst unmittelbar vor der Tat enttarnt.

Die größte Gefahr drohe ausgerechnet, wenn der IS stärker unter Druck gerate, analysiert von Lossow: Werde der IS militärisch zurückgedrängt und geschwächt, verlöre er weite Teile seines Territoriums und der Bevölkerung. Dann würde der IS sich im Endkampf mit seinen Feinden und an der Schwelle zur Apokalypse sehen. In dieser Situation könnte der IS an Euphrat und Tigris die Dämme sprengen und Schleusen öffnen. Wasser würde zur Massenvernichtungswaffe.