Wege aus dem Verkehrskollaps
20. September 2013"Mobilität ist ein Menschenrecht und Mobilität ist etwas völlig anderes als Verkehr", sagt Udo Becker, Verkehrsökologe der Technischen Universität Dresden. Auch wenn der Begriff Mobilität in der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen nicht vorkommt, so kann ein Recht darauf möglicherweise aus anderen Grundrechten abgeleitet werden. "Mobilität meint Menschen, wie diese zum Arzt, zum Restaurant, zum Amt, ins Kino, zur Freundin, zur Universität oder zur Schule kommen", so Becker.
Darüber, wie man diese Mobilität bestmöglich organisiert, wird viel diskutiert. Klar ist, dass schon heute viele Städte auf der ganzen Welt vor einem Verkehrskollaps stehen. Pendler stehen auf der Fahrt zur Arbeit im Stau, da die Straßen zu den Stoßzeiten dem hohen Verkehrsaufkommen nicht gewachsen sind. Wer auf Busse und Bahnen ausweicht, muss häufig noch längere Reisezeiten in Kauf nehmen, da die Verkehrsmittel teils schlecht aufeinander abgestimmt sind oder nicht zuverlässig operieren. Und kürzere Wege per Fahrrad zurückzulegen, ist auch nicht jedermanns Sache: Wer will schon verschwitzt und vom Regen durchnässt morgens im Büro ankommen?
Lärm, Schmutz und Treibhausgase
Gerade der Autoverkehr sorgt in den Städten für große Probleme. Neben den ständigen Verkehrsstaus werden die Anwohner durch Lärm und Schadstoffe belastet - hinzu kommen die klimagefährdenden Treibhausgase. "Dass man jemanden, der am Nachmittag nur einen Kaffee in der Innenstadt trinken möchte, mit einem schweren Geländewagen da rein fahren lässt und dem in der Innenstadt einen Parkplatz garantiert, das ist einfach nicht zeitgemäß", sagt Verkehrsökologe Becker.
Doch wie könnte die Lösung aussehen? Eine Zufahrtbeschränkung für Fahrzeuge, die besonders viel Dreck ausstoßen, haben viele deutsche Städte durch sogenannte Umweltzonen in den vergangenen Jahren eingeführt. An der Luftverschmutzung hat das jedoch nur wenig geändert, da nur ein geringer Teil vor allem älterer Fahrzeuge ausgesperrt wurde. Der Benzinverbrauch der Fahrzeuge blieb dabei unberücksichtigt.
Eine generelle City-Maut ist nach Einschätzung des Verkehrsexperten Michael Schreckenberg von der Uni Duisburg-Essen auch nicht sehr wirksam: "Ich halte eine City-Maut nicht für ein probates Mittel, um den Verkehr in den Innenstädten zu regeln. Eine gewisse Zeit wirkt so etwas, das hat man auch in Sao Paolo gesehen, und danach ist der Effekt weg. Danach hat man wieder das alte Wachstum und ist auf dem alten Stand zurück." Für wichtiger hält er es, den Menschen Anreize zu bieten, alternative Verkehrsmittel zu nutzen.
Kostenlos mit Bus und Bahn?
Im Ausland ist man da teilweise schon einen Schritt weiter. Die estnische Hauptstadt Tallin bietet ihren Bürgern seit Jahresbeginn eine völlig kostenlose Nutzung von Bussen und Bahnen an. Erste Untersuchungen zeigen, dass der Autoverkehr in der Stadt dadurch um etwa 15 Prozent zurückgegangen ist. Im amerikanischen Portland gab es bereits seit 1975 ein solches Projekt - im vergangenen Jahr musste es allerdings eingestellt werden, da sich die Stadt die hohen Ausgaben nicht mehr leisten konnte.
In Deutschland wird der öffentliche Personennahverkehr zwar subventioniert, trotzdem sind die Fahrpreise in den vergangenen Jahren laut einer Studie stärker angestiegen als die Kosten für das Autofahren. Die Piratenpartei fordert eine kostenlose Bereitstellung des öffentlichen Nahverkehrs. Da die meisten Städte und Kommunen jedoch hoch verschuldet sind, stellt sich die Frage, wer die Kosten tragen könnte.
Rückbau statt Ausbau
Die Stadt Chemnitz hat wie viele andere Metropolen in Ostdeutschland ein anderes gravierendes Problem: Sie hat mit einem massiven Rückgang der Einwohnerzahl zu kämpfen. Dadurch ergeben sich völlig andere Probleme als in den stark wachsenden Regionen. Statt an einen Ausbau des Straßennetzes wird hier eher an Rückbau gedacht: "Wir haben hier nicht das Problem wie in anderen Städten, dass wir hier ständig Stau haben, das gibt es in Chemnitz nicht", sagt Pia Sachs von der Stadtverwaltung. "Bei uns gibt es eher die Überlegung, die Straßen etwas einzuengen und die Innenstadt dadurch wieder etwas kompakter zu machen." Ziel sei es, die Innenstadt als Lebensraum dadurch attraktiver zu gestalten.
Im Rahmen der so genannten Mobilitätswoche der Europäischen Union versucht die Stadt auch, das sogenannte "Chemnitzer Modell" ihren Bürgern und dem Umland näher zu bringen. Durch die Verknüpfung von Straßenbahn- und Eisenbahngleisen bieten die Verkehrsbetriebe umsteigefreie Verbindungen zwischen der Stadt und dem Umland. Straßenbahnen können auf Eisenbahnschienen direkt aus der Stadt herausfahren - und wieder hinein. Durch die weitgehend barrierefreie Gestaltung von Fahrzeugen und Bahnsteigen kann man an fast allen Haltestellen ebenerdig ein- und aussteigen. So soll auch der alternden Bevölkerung der Region der Umstieg auf die Schiene erleichtert werden.
Verkehrsökonom Becker fordert jedoch ein völliges Umdenken, denn er sagt: "Wir wollen immer, dass es billiger wird und dass es schneller wird. Wir vergessen dabei jedoch auf der gesellschaftlichen Ebene, dass wir Verkehr damit attraktiv machen." Gut ausgebaute Verkehrswege würden dazu führen, dass nicht mehr im kleinen Laden um die Ecke, sondern im großen Supermarkt eingekauft werde. "Dann schließt jedoch der kleine Laden und nun sind alle gezwungen, zum großen Supermarkt zu fahren - wir erzeugen Zwangsverkehre."