Cum-Ex-Skandal: Ermittlungen gegen Journalisten
12. Dezember 2018Die deutsche Investigativ-Plattform CORRECTIV ist noch vor wenigen Wochen dafür gefeiert worden, dass sie einen Riesen-Skandal aufdeckte. Gemeinsam mit 19 europäischen Medienpartnern enthüllte sie, wie Banker, Aktienhändler und Steuerberater Staatskassen geplündert hatten.
Mit steuergetriebenen Aktiengeschäften, sogenannten Cum-Ex-Geschäften, hatten die Kriminellen in Nadelstreifen mindestens 55,2 Milliarden Euro illegal an den Steuerbehörden Deutschlands und mindestens zehn weiterer europäischer Länder vorbei manövriert.
Schweizer Bank löst Ermittlung aus
Die Strafverfolgungsbehörden haben allerdings nicht nur die Spur der Täter aufgenommen, sondern auch das journalistische Recherchezentrum anvisiert. Die Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelt jetzt gegen CORRECTIV-Chefredakteur Oliver Schröm. Er wird verdächtig, zum Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen angestiftet zu haben.
"Ich war total überrascht, als ich erfahren habe, dass die Hamburger Staatsanwaltschaft gegen mich ermittelt", sagt Oliver Schröm im Gespräch mit der DW. Das Verfahren geht zurück auf eine Anzeige der Schweizer Privatbank Sarasin, die in Cum-Ex-Geschäfte verwickelt war.
Schröm hatte dies bereits vor vier Jahren enthüllt. Presserechtlich habe die Bank nicht gegen ihn vorgehen können, "weil die Geschichte schlicht und ergreifend stimmte", so Schröm. Die Bank zeigte Schröm wegen eines Verstoßes gegen das Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs an. Daraufhin nahm die Schweizer Justiz die Ermittlungen auf und trat diese später an die Hamburger Staatsanwaltschaft ab.
Angriff auf die Pressefreiheit?
Der Deutsche Journalisten-Verband DJV sieht die Ermittlungen gegen den renommierten Investigativ-Journalisten und Buchautor sehr kritisch. Der DJV-Vorsitzende Frank Überall spricht im DW-Interview von einem "Angriff auf die Pressefreiheit".
Er bezweifelt die Rechtsgrundlage der Ermittlungen. "Der Anstiftung zum Verrat von Geschäftsgeheimnissen kann man sich aber eigentlich nur schuldig machen, wenn man in einem Konkurrenzverhältnis steht", erklärt Überall.
Demnach müsste der beschuldigte CORRECTIV-Chef, der für seine Recherchen mehrfach ausgezeichnet wurde, Bankbesitzer sein oder zumindest ein wesentliches Aktienpaket von Banken haben, damit man ihn belangen könnte. Dies sei nicht der Fall, betont Überall. "Insofern sind die Beschuldigungen an den Haaren herbeigezogen. Ich verstehe nicht, wie man solch umfangreiche Ermittlungen - erste Zeugen sind ja schon befragt worden - überhaupt einleiten konnte."
Der Fall wirft kein gutes Licht auf den Zustand der Pressefreiheit in Deutschland. Ruckelt man hier möglicherweise an presserechtlichen Hürden?
Mögliche Redaktions-Razzien
Aus der Sicht von DJV-Chef Überall könnte das Vorgehen gegen Schröm möglicherweise ein verfassungswidriger Versuch sein, an Informanten und Informationen zu kommen. Er verweist darauf, dass bei strafrechtlichen Ermittlungsverfahren Abhör-Maßnahmen und Redaktions-Durchsuchungen möglich sind. Dies sei geeignet, "an Material zu kommen, das normalerweise wegen des Zeugnisverweigerungsrechts von Journalisten nicht herausgegeben werden muss." Außerdem sei ein solches Vorgehen auch geeignet, Informanten abzuschrecken, die auf Missstände aufmerksam machen wollten.
Oliver Schröm sieht diese Gefahr ebenfalls. Eine strafrechtliche Ermittlung sei kein Kavaliersdelikt. "Die Staatsanwaltschaft hat theoretisch alle Möglichkeiten gegen mich vorzugehen und zu ermitteln. Wenn sie einen richterlichen Beschluss hat, kann sie auch mein Telefon abhören."
Der CORRECTIV-Chef hatte von den Ermittlungen nur durch Zufall erfahren. Gesprächspartner von ihm wurden staatsanwaltschaftlich vernommen und warnten Schröm, dass gegen ihn ermittelt wird.
Finanzieller Druck auf CORRECTIV
Schröm sieht sich zu Unrecht verdächtig und betont, dass der investigative Journalismus heute wichtiger denn je sei. "Ich bin jetzt seit über 35 Jahren Journalist und kann sagen, dass das Niveau noch nie so hoch war. Wir haben uns wahnsinnig professionalisiert - auch durch Kooperationen und dem Aufbau von Reporter-Pools. Die Themen werden größer und globaler und wir haben darauf geantwortet."
Allerdings habe die Gegenseite auch aufgerüstet, räumt der Journalist ein. Dies gelte vor allem bei Wirtschaftsthemen. "Dann haben sie es mit Multimillionären oder gar Milliardären zu tun. Die schicken eine Armada von Anwälten auf sie los."
Dabei kann auch finanzieller Druck erzeugt werden. Dies gilt besonders für eine journalistische Plattform wie CORRECTIV. Das erste gemeinnützige Recherchezentrum im deutschsprachigen Raum finanziert sich nur durch Spenden, monatliche Mitgliedsbeiträge sowie Fördergelder von Stiftungen.
Es gibt also kein üppiges Polster, um langwierige Prozesse unbeschadet zu überstehen. "Was hilft es mir, wenn das Verfahren in drei Jahren eingestellt wird oder ich freigesprochen werde? Ich habe dann drei Jahre lang extreme Kosten zu tragen. Wer bezahlt das?", fragt Schröm.